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Die Erfahrungen eines ehemaligen Waffeninspektors, die Falken in der US-Regierung und der Blutzoll eines Krieges
Was George W. Bush verschweigt
vonEr hetzt von Termin zu Termin und macht immer wieder Bekanntschaft mit dem FBI. In den meisten Medien wird er als "Verräter" beschimpft, und das alles aus einem Grund: Scott Ritter mutierte vom Parade-Republikaner zum schärfsten Gegner von Präsident George W. Bush. Viele Jahre hat Ritter als Offizier in der Marine gedient und im Golfkrieg gegen den Irak gekämpft. Dann suchte er sieben Jahre lang - von 1991 bis 1998 - als UN-Inspektor nach Waffen im Irak, "um die Sicherheit nicht nur der USA, sondern der betroffenen Region und der ganzen Welt zu gewährleisten". Noch im Jahre 2000 unterstützte er die Wahl von George Bush, doch jetzt packte er in einem Gespräch mit dem US-Journalisten William Rivers Pitt so richtig aus: Seither beginnt die Welt zu ahnen, was ihr die Politiker, vor allem die zum Krieg bereiten, lieber vorenthalten.
Der Irak und seine Waffen
Wenn Ritter inzwischen zum scharfen Gegner eines Krieges gegen den Irak wurde, so hat dies nichts mit Sympathie für den brutalen Diktator Saddam Hussein zu tun. Als Waffeninspektor hat Ritter die Tricks von Saddam und seinen Leuten hautnah erlebt: "In vielen Fällen versuchten die Iraker, die Existenz von Waffen geheim zu halten. Der Irak hat die internationale Staatengemeinschaft angelogen. Er hat die Waffeninspekteure angelogen." Doch dies dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass "der Irak 90 bis 95 Prozent seiner Massenvernichtungswaffen zerstört hat. Wir sollten uns vor Augen halten, dass die übrigen fünf bis zehn Prozent nicht unbedingt eine Bedrohung darstellen." Seine Informationen bezieht Ritter aus seiner Suche nach atomaren, chemischen und biologischen Waffen. Im Falle von Atomwaffen bestreitet Ritter nicht, dass der Irak noch immer über tausende von Wissenschaftlern verfügt, die an der Herstellung von Atomwaffen beteiligt waren. Andererseits stellt er klar fest: "Als ich den Irak im Jahre 1998 verließ, waren die Infrastruktur und die Anlagen zu 100 Prozent zerstört. Wir hatten von Fahrzeugen und von der Luft aus die Möglichkeit, die Gammastrahlung zu messen, die bei Versuchen zur Anreicherung von Uran und Plutonium freigesetzt wird. Wir haben nie etwas gefunden. Wir können ohne Abstriche sagen, dass die industrielle Infrastruktur, die der Irak zur Herstellung von Atomwaffen benötigt, zerstört wurde."
Ebenso klar sind die Aussagen Ritters über chemische und biologische Waffen. Nicht dass der Irak nie welche gehabt hätte. Noch Anfang der neunziger Jahre produzierte das Land drei Nervengase: Sarin, Tabun und VX. Hergestellt wurden die Gase in einer Fabrik in der Region Muthanna. Diese Fabrik wurde von den Waffeninspektoren Mitte der neunziger Jahre zerstört. Seitdem "besaßen die Iraker keine Möglichkeit mehr, neue Kampfstoffe dieser Art zu produzieren. Und Sarin und Tabun zerfallen binnen fünf Jahren und werden damit völlig nutzlos." Allein das Gas VX kann mit hoch komplizierter Technologie etwas länger stabil gehalten werden, doch auch daran glaubt Ritter nicht: "Schon eine geringfügige Abweichung von der Formel lässt Eiweißstoffe entstehen, die das VX binnen Monaten zerstören."
Das Gleiche gilt auch für biologische Waffen. Die Waffeninspektoren fanden nach langen Ermittlungen heraus, dass die Iraker die Gifte Anthrax und Botulinumtoxin herstellten. Doch auch diese Produkte seien längst zerfallen und die Produktionsstätten zerstört. "Wir haben im Irak überall gesucht, in jeder Forschungs- und Entwicklungseinrichtung, in jeder Universität, in jeder Schule, jedem Krankenhaus und jeder Bierbrauerei - überall, wo Fermentierungsprozesse stattfinden könnten, haben wir kontrolliert und nirgendwo einen Beleg dafür gefunden, dass weiterhin Forschung und Entwicklung betrieben oder Materialien zurückbehalten wurden."
Die UN-Inspektoren und die CIA
Doch Ritter und die anderen Waffeninspektoren hatten in den sieben Jahren seiner Tätigkeit nicht "nur" mit den Waffen des Irak zu kämpfen, sondern auch mit jenen der US-Regierung. Sie schmuggelte nämlich von Anfang an CIA-Mitarbeiter in die Inspektionsteams. Die Geheimdienstler waren so lange nützlich, wie die Inspektoren von ihnen Informationen über mögliche Standorte für die Waffenproduktion erhielten. Allerdings ließ der damalige Leiter der Waffeninspekteure, der australische Diplomat Richard Butler, zu, dass sich die Verhältnisse ins Gegenteil verkehrten: Bald gaben die CIA-Agenten den Ton an - mit dem einzigen Ziel, den Irak auszuspionieren. Dies hat die Inspektoren im Irak nachhaltig diskreditiert. "Die Iraker hatten das Gefühl, die Inspekteure würden in unzulässiger Weise in Bereiche eindringen, die die Souveränität, die Würde und die nationale Sicherheit des Irak verletzten." Auch deshalb zog Butler im Jahre 1998 die Inspekteure aus dem Irak ab.
Düstere Szenarien eines Krieges
Als erfahrenem Militär steht für Ritter fest, wie die US-Militärs gegen den Irak vorgehen werden. Der Hauptstoß werde aus dem Süden erfolgen, von den Militärbasen in Kuwait, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain, mit 70.000 bis über 150.000 Soldaten. "Dieser Vorstoß wird zum Ziel haben, den Süden des Irak einzunehmen, dort die irakische Opposition einzusetzen (die iranisch orientierten Schiiten, Anm. d. Red.), um Bagdad dann unter Druck zu setzen - in der Hoffnung, dass die irakische Armee auseinander fällt und das irakische Volk sich erhebt und Saddam stürzt." Wenn die Iraker sich jedoch zum Kampf entscheiden, dann verspreche nur ein schneller Durchbruch den Erfolg. Doch auch der koste hohe Verluste. Auf 30.000 bis 40.000 tote irakische Zivilisten und zehntausende tote irakische Soldaten schätzt Ritter die Zahl der Opfer. Denn: "Wir können wirkungsvoller töten als irgendwer sonst auf der Welt." Dennoch: "Auch unser Blutzoll wird in die hunderte, wenn nicht sogar in die tausende gehen."
Das nennt Ritter den aus militärischer Sicht noch günstigeren Fall. Den ungünstigsten Fall beschreibt der Bush-Kritiker apokalyptisch: "Falls die Sache schief läuft und 70.000 Amerikaner abgeschnitten im Irak nur mehr darauf warten können, vernichtet zu werden, werden wir die Atombombe einsetzen. Daran gibt es keinen Zweifel."
Bush und die Fürsten der Finsternis
Dass die US-Regierung vor allem auf Krieg setzt, hängt für Ritter nicht so sehr mit Öl zusammen, denn "wir können vom Irak schon heute das Öl bekommen, das wir wollen". Die entscheidende Ursache seien drei Hardliner unter den Bush-Männern. Sie kommen aus einer neokonservativen Denkfabrik, "die äußerst enge Beziehungen zu Israel unterhält und die den Irak als Bedrohung für Israel und die USA ansieht. Sie haben sich ideologisch, intellektuell und politisch darauf eingeschworen, Saddam Hussein zu beseitigen." Es handelt sich um Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, dessen Stellvertreter Paul Wolfowitz - für Ritter ein "tollwütiger Irrer von der extremen Rechten" - und Richard Perle, den Chef des Nationalen Sicherheitsrates, der "Fürst der Finsternis" genannt wird. Diese drei wollen, so auch die New York Times, den Krieg gegen den Irak als Ausgangspunkt für einen großen Kampf der Kulturen, bei dem die islamische Welt das Feindbild in einem neuen Kalten Krieg wäre.
William Rivers Pitt mit Scott Ritter, Krieg gegen den Irak, Köln 2002.110 Seiten. 6,90 Euro. Publik-Forum-Bücherdienst. Bestellnummer 5669