Militarisierung Europas

Was steckt hinter der „Euro-Armee“?

von Christine Buchholz

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat im März 2015 in einem Interview mit der Welt am Sonntag den Aufbau einer „Euro-Armee“ ins Spiel gebracht. Eine solche Armee könne dem russischen Präsidenten Putin zeigen, so Juncker, dass man es ernst mit der Verteidigung der Werte in der Europäischen Union meine. Wie sind diese Äußerungen einzuschätzen?

Junckers Worte wurden begierig von führenden deutschen Politikern aufgegriffen. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen meint, dass der Frieden in Europa „immer fester auch an unsere Bündnisse“ geknüpft werde. „Das Verflechten von Armeen mit dem Blick, eines Tages eben eine europäische Armee auch zu haben, ist meines Erachtens die Zukunft.“ Außenminister Steinmeier betonte: „Für die SPD ist das langfristige Ziel einer europäischen Armee ein wichtiges politisches Anliegen und seit vielen Jahren Teil des Parteiprogramms“.

Dass die europäische Armee die „Zukunft“ sei, impliziert zweierlei: Zum einen wird so getan, als ließe das Ziel sich irgendwann realisieren. Zum anderen wird davon ausgegangen, als sei eine Euro-Armee ein fortschrittliches, erstrebenswertes Ziel. Beides ist falsch.

Tatsächlich gibt es für den Aufbau einer solchen Armee keine konkreten Planungen. Um die ‚Gemeinsame europäische Außen und Sicherheitspolitik‘ (GASP) zu stärken, wurde das Amt der EU-Außenbeauftragten geschaffen. Doch die hat eine schwache Position. Denn die Nationalstaaten in Europa verfolgen nach wie vor rivalisierende wirtschaftliche Interessen.

Für militärische Angelegenheiten, dem Kernbereich der nationalen „Souveränität“, existiert kein gemeinsamer EU-Kommissar. Im Rahmen der ‚Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik‘ (GSVP) treffen sich die VerteidigungsministerInnen der EU auf „informeller“ Ebene – so die tatsächliche Bezeichnung – alle drei Monate. Dort werden Verabredungen getroffen, die bislang unter anderem zu ‚European Training Missions‘ geführt haben, z.B. in Mali. Andere Einsätze europäischer Mächte laufen an dieser Struktur vorbei und finden im Rahmen der NATO oder in Koalitionen von „Willigen“ statt. Die Westeuropäische Union ist als einzige Struktur, die einer potenziellen Euro-Armee einen Rahmen hätte geben können, gerade aufgelöst worden. Die Einrichtung erfüllte keinen realen Zweck mehr.

Würde der Vorschlag ernsthaft umgesetzt werden, steht die Frage im Raum, was aus der NATO würde. Eine europäische Armee würde sich nicht nur gegen Russland richten, sie würde zugleich einen Bedeutungsverlust der USA in Europa nach sich ziehen. Eine europäische Armee würde eine Struktur neben die NATO stellen und diese damit schwächen.

Deshalb hat Polen, das sich im Konflikt mit Russland lieber auf die Unterstützung der USA verlässt, dem Ruf nach einer EU-Armee auch eine Abfuhr erteilt. Die NATO sei ein besserer Garant der Sicherheit in Europa als eine „Euro-Armee“ und müsse gestärkt werden, so Außenminister Grzegorz Schetyna. Der Vorstoß von Juncker, „mit dem Aufbau einer EU-Armee Russland zu imponieren“, sei eine sehr riskante Idee. Der Sicherheitsberater des polnischen Präsident, Stanislaw Koziej, sagt: Es komme für kein EU-Land in Frage, auf seine Souveränität zu verzichten. Eine ähnliche Haltung nimmt London ein.

Dass der sozialdemokratische Außenminister und die konservative Verteidigungsministerin in Deutschland den Juncker-Vorschlag so eifrig aufgriffen, hat ganz andere Gründe. Der wichtigste ist propagandistischer Art: Die Debatte um eine Euro-Armee kostet nichts, macht sich als Antwort auf Fragen nach Drohungen aus Russland gut, und ist zugleich mit der Aura des Überstaatlichen umgeben. Es ist dieses Imponiergehabe, mit dem sich die eigene Politik und eigene militärische Ambitionen verklären lassen.

 

Verstärkte militärische Integration

Wirklich Substanz haben verschiedene Projekte, die zwischen einzelnen europäischen Staaten vereinbart wurden und so zu einer verstärkten militärischen Integration führen. Vorzeigebeispiel: Die niederländische Armee hat eine Brigade unter das deutsche Kommando der ‚Division Schnelle Kräfte‘ gestellt. Das Informationsblatt für die wehrtechnische Industrie Griephan nennt das eine „Insel konkreter militärischer Kooperation, die Berlin in Vorbereitung auf eine künftige europäische Armee aufschüttet“. Weitere Beispiele sind die rotierende Luftraumüberwachung über den baltischen Staaten, der Aufbau der ultraschnellen NATO-Speerspitze unter deutscher Führung mit Dänen und Norwegern, sowie der Aufbau des ‚Multinationalen Korps Nord-Ost‘ mit Truppen aus Dänemark, Polen und Deutschland.

Tatsächlich sind dies keine Schritte zu einer gemeinsamen Armee, sondern die Einordnung kleiner Staaten unter das Dach einer europäischen Mittelmacht, namentlich Deutschland. Alles findet im Rahmen der NATO statt. Demgegenüber wurden die im Juni 2004 als europäische Krisenreaktionskräfte ins Leben gerufenen ‚EU-Battlegroups‘ noch kein einziges Mal eingesetzt.

Unabhängig von den USA und wirklich erfolgreich aus Sicht der Herrschenden ist einzig die Kooperation mit Frankreich. Zum einen ist Paris aus Kostengründen bereit, deutsche Truppen in Missionen auf dem afrikanischen Kontinent einzubinden, wo Berlin bislang über wenig Erfahrungen und verhältnismäßig wenig Einfluss verfügt. So hat die Bundeswehr 2013/14 französische Militärjets im Kampfeinsatz über Mali betankt.

Bedeutsamer noch ist die Zusammenarbeit im Rüstungsbereich. So entschied von der Leyen jüngst, sich mit über 200 Millionen Euro an einem französischen Militärsatellitenprogramm zu beteiligen. Daneben soll der neue Kampfpanzer Leopard-3 zusammen mit französischen Firmen entwickelt werden. Den Zuschlag für eine eigene europäische Kampfdrohne erhält ein deutsch-französisch-italienisches Konsortium.

All diese Beispiele stellen keinen Fortschritt dar. Europa, bzw. einzelne europäische Staaten und Rüstungsfirmen aus Nachbarländern werden da interessant, wo die eigenen Ressourcen nicht ausreichen. Es geht also bei dem Gerede von eine „Euro-Armee“ um mehr Militär und nicht um weniger. Es wäre ein schwerer Fehler, die Illusion zu teilen, Schritte zu mehr europäischer Kooperation würden auf eine Überwindung des Militarismus hinauslaufen.

 

Rechtfertigung von Rüstungsprojekten

Die ideologische Auseinandersetzung mit der Idee von einer Euro-Armee hat deshalb eine große Bedeutung. Juncker hat einige Thesen in den Raum geworfen, die konservative und sozialdemokratische PolitikerInnen in Deutschland aufgreifen, um die eigenen Interessen zu bemänteln. Sie spielen über die europäische Bande, um die Ausweitung von Auslandseinsätzen und neue Rüstungsprojekte zu rechtfertigen.

So führte Juncker zur Begründung seiner Idee von der Euro-Armee Kostengründe an: „Wenn die europäischen Staaten bei der Entwicklung und beim Kauf von militärischen Gerät intensiv zusammenarbeiten, werde das auch erhebliche Einsparungen bringen.“

Das ist Unsinn. Es braucht keine gemeinsame Armee, um im Ausland zu kaufen oder gemeinsame Rüstungsprojekte durchzuführen. Das passiert schon seit Jahrzehnten in Europa – ohne dass dies die Kosten senken würde. Die 15 bedeutsamsten laufenden Rüstungsprojekte der Bundeswehr sind zusammen 12,9 Milliarden Euro teurer als ursprünglich geplant. Darunter befinden sich auch europäische Projekte wie der Eurofighter, der A400M und der Kampfhubschrauber Tiger. Allein der Eurofighter wird am Ende den deutschen Steuerzahler alles in allem 60 Milliarden gekostet haben, hat der Bundesrechnungshof errechnet. Einer der Kostenfaktoren sind in europäischen Projekten die aufwändigen Absprachen über die Grenzen hinweg. Zahlreiche Sonderwünsche bei der Ausstattung müssen bereits bei der Entwicklung berücksichtigt werden.

Ein anderer wichtiger Punkt: Die europäischen Rüstungsprojekte erhöhen keineswegs die Sicherheit auf dem Kontinent. In derselben Woche, in der Juncker seine Euro-Armee ins Spiel brachte, stieg Russland offiziell aus dem KSE-Vertrag über die Begrenzung der konventionellen Rüstung in Europa aus. Junckers Vorschlag fügt sich in immer neue Schritte der Eskalation ein. Im März fand eine NATO-Militärparade nur wenige Hundert Meter von der russischen Grenze im Baltikum statt. Die USA kündigten an, das schwere Gerät vor Ort zu lassen. Moskau reagierte seinerseits mit Großmanövern.

Das paradoxe Resultat der Debatte um die Förderung der innereuropäischen militärischen Integration: Sie verstärkt die Risse in der EU. Berlin und Paris sind interessiert, London steht dem feindlich gegenüber. Kleine westeuropäische Staaten mögen einen Teil ihrer Kräfte unter das Dach der Bundeswehr stellen. Das hat seine Grenzen und ist für andere überhaupt nicht attraktiv.

Die Herrschenden in Deutschland und Frankreich träumen von einem Europa unter ihrer Führung als Gegenmacht gegenüber Russland, das sich zugleich unabhängig von den USA aufstellt. In der europäischen Sicherheitsstrategie von 2003 heißt es in diesem Sinne: „Als Zusammenschluss von 25 Staaten mit über 450 Millionen Einwohnern, die ein Viertel des Bruttosozialprodukts weltweit erwirtschaften, ist die Europäische Union, der zudem ein umfangreiches Instrumentarium zur Verfügung steht, zwangsläufig ein globaler Akteur. Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen. Wir müssen eine Strategiekultur entwickeln, die ein frühzeitiges, rasches und wenn nötig robustes Eingreifen fördert.“

Europa wird nach außen umso aggressiver sein, je mehr es nach innen aufrüstet und seine Staaten sich militärisch verzahnen. Wir brauchen keine Euro-Armee. Was wir brauchen, ist die umfassende Abrüstung in allen europäischen Staaten, vom Atlantik bis zum Ural.

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