Buchbesprechung

Wege des gewaltfreien Widerstands

von Hans Gressel
Hintergrund
Hintergrund

Der Berliner Friedensforscher Gernot Jochheim ist durch seine Arbeiten über Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit bekannt geworden. 1984 veröffentlichte er das grundlegende Werk: "Die gewaltfreie Aktion. Idee und Methoden, Vorbilder und Wirkungen". 1986 erschien das Buch "Länger leben als die Gewalt. Der Zivilismus als Idee und Aktion". Ger­not Jochheim versteht es, wissenschaftlich zuverlässig und zugleich anschaulich zu schreiben. Seine Reportage "Protest in der Rosen­straße" über die "Frauendemonstration" 1943 in Berlin zur Rettung der jüdischen Verwandten vor der Ermordung war der gelungene Versuch, ein sensationelles Beispiel erfolgreicher gewaltfreier Demonstration in der Diktatur weiteren Kreisen durch die Form der Erzählung bekannt zu machen.

In dieser Richtung hat er nun weiterge­arbeitet. Denn er schrieb 16 eindrucks­volle Berichte über gewaltfreie Aktio­nen aus den Jahren 1942 bis 1991. Wer sich aufs Lesen einlässt, lernt wichtige Stationen gewaltfreien Widerstands kennen. Folgende Ereignisse werden ge­schildert: Die Aktion der norwegischen Lehrer, die sich im Jahre 1942 weiger­ten, Mitglied einer nationalsozialisti­schen Lehrerorganisation zu werden und die Jugend entsprechend zu unterrichten - aus dem Blickwinkel einer sechzehn­jährigen Lehrertochter. Erzählt wird auch die dramatische Befreiung von na­hezu 2000 Juden in der Rosenstraße durch die Frauen, die 1943 länger als eine Woche Tag und Nacht erfolgreich demonstrierten.

In einem Interview betonte Gandhi, Pflichten müssen vorher erfüllt werden, um Rechte zu gewinnen, "all das, was in Europa und Amerika als Menschen­rechte bezeichnet wird, ist durch Zivilen Ungehorsam erkämpft worden". Danilo Dolci gelang eine Aktion gegen die Ma­fia zugunsten hungernder Kinder. Ge­waltfrei übertraten 1963 weiße und schwarze Bürgerrechtler in einem Im­bisslokal das Rassentrennungsgesetz der USA. Die Erzählungen "Habt Ihr Eure Zahnbürsten dabei?" und "Traum und Tat" ereignen sich im Umkreis von Martin Luther King. Berichtet wird von der Tapferkeit gewaltfreier junger Schwarzer gegenüber "der schrecklichen Wucht der Wasserwerfer, die menschli­che Körper durch die Straßen fegten". 1965 wendet sich Martin Luther King bei dem Aufstand in Watts gegen den angeblich schnelleren Weg durch die Bombe im Kampf gegen das Unrecht: "Wer mit Gewalt versucht, das Böse zu verringern, der vermehrt das Böse. Ge­walt macht unser Leben ... noch finste­rer."

Die beiden folgenden Erzählungen spielen in Deutschland. Der Kriegs­dienstverweigerer Stefan weigert sich, rechtsradikale, kriegsverherrlichende Prospekte zu drucken. Er wird entlassen, findet neue Arbeit, klagt jedoch mit Hilfe seiner Gewerkschaft gegen die Kündigung und bekommt Recht. Nach­denklich macht der vergebliche Ver­such, den Hindenburgplatz in Hiros­himaplatz umzuändern. Die Geschichte "In einer Stunde muß die Brücke ge­räumt sein" schildert den Kampf um Arbeiterrechte gegen feindselige Polizi­sten in Brasilien. Im Mittelpunkt der Skizze "Friedensstifter" steht Helen Woodson, die 1984 in einer Pflugscha­raktion zusammen mit den katholischen Priestern Carl und Paul Cabat versuchte, Teile eines Raketensilos in Kansas City zu zerstören. Die Mutter von neun Kin­dern, darunter acht behinderte Adoptiv­kinder, wurde zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt. In dem Text "Schwerter zu Pflugscharen" wird beschrieben, wie die kritische Tochter einer linientreuen Leh­rerin 1985 in Dresden die Kontakte zur unabhängigen Friedensbewegung auf­rechterhält.

Der Bericht "Über die Macht des Geldes" behandelt das Problem des Boykotts einer in Südafrika beteiligten Firma. Die nächste Reportage charakte­risiert das Schicksal vertriebener Land­arbeiter Nordostbrasiliens, die wegen illegaler Landbesetzung ins Gefängnis geworfen wurden und als Ergebnis der Gefängnisbelagerung durch ihre Freunde nach 25 Tagen freikamen. Die vorletzte Geschichte zeigt den Konflikt zwischen dem Vater und seinem Sohn, der zum Schutz der Vögel im National­park Wattenmeer gegen Schießübungen der Bundeswehr demonstriert. "Die Macht des Volkes" schildert die Mas­senkundgebung gegen die Putschisten in Moskau am 23. August 1991.

Gernot Jochheim hat in seinen Skizzen und Kurzgeschichten die notwendige In­formation geschickt in spannende Handlung hineingeflochten. Mehrfach wechselt er die Form der Darstellung. Wir finden neben der Erzählung das In­terview, den Brief und den Tagebuch-Ausschnitt. Fast immer sind Kinder oder Jugendliche beteiligt. Die Geschichten eignen sich gut zum Vorlesen in Ju­gendgruppen oder zur Veranschauli­chung im Unterricht. Wenn dies Buch zwar vorrangig für junge Menschen ge­dacht ist, lohnt die Lektüre darüber hin­aus für uns alle. Wir frischen Kenntnisse auf und gewinnen Anregungen für eige­nes Handeln, um gewaltfreie Aktionen noch mehr als bisher politikfähig zu machen.

Gernot Jochheim, Traum und Tat. Wege des gewaltfreien Widerstands. Stuttgart und Wien 1992

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Hans Gressel ist Präsident des Internationalen Versöhnungsbunds Deutscher Zweig.