Wehrdiensteinberufung mit Problemen

von Steffen Kühhirt

Die Einberufung zum Wehrdienst und die damit verbundene Musterung geht in der DDR in diesem Jahr nicht ohne Probleme über die Bühne. Steffen Kühhirt berichtet darüber am Beispiel Leipzig.
Die nötige zweite Musterung des Jahrganges 1967 macht die derzeitige Situation in den Leipziger Wehrkreiskommandos deutlich. Ein Grund dafür ist sicherlich eine NVA, die sich in Auflösung befindet. Dieses Jahr sollen mindestens 4000, 1991 bereits bis zum 8000 NVA-Offiziere auf Zivilberufe vorbereitet werden. Das verschwundene Feindbild ist Ursache für das gegenwärtige Durcheinander in unseren Kasernen.
Ein ganz anderer, entscheidender Punkt ist, daß in diesem Jahr zum ersten Male in der DDR eine Zivildienstregelung in Kraft tritt. Diese Verordnung stellt es den wehrpflichtigen Bürger künftig frei, ob sie den Grundwehrdienst oder einen Zivildienst ableisten wollen. Die Begründung unterliegt keiner Gewissensprüfung. Die Dienstzeit dauert in beiden Fällen zwölf Monate.

Zur Organisation und Überprüfung des Zivildienstes wird, wie im Gesetz vorgeschrieben, eine Kommission einberufen. Diese setzt sich in Leipzig zusammen aus Mitarbeitern des Amtes für Arbeit/Abt. Zivildienst, Vertretern der Kirche sowie Mitgliedern der Grünen Partei, des Behindertenverbandes und der Initiative Frieden & Menschenrechte Leipzig. Auch hier steht man vor Problemen, denn in der Stadt Leipzig beläuft sich die Zahl der Antragsteller für den Wehrersatzdienst auf schätzungsweise 1600, im Landkreis Leipzig auf ca. 750 Bewerber. Davon fallen aber alle diejenigen heraus, die das Alter von 24 Jahren erreicht haben.
Eine vieldiskutierte Frage war die Verfahrensweise von Antragstellern, die aus dem Wehrdienst entlassen werden und noch bzw. sechs Monate Zivildienst abzuleisten haben. Ein Antrag der Initiative Frieden & Menschenrechte Leipzig, alle kurzzeit-Leistenden auf Grund der hohen Anzahl von Studienbewerbern einen Monat zeitiger aus dem Wehrersatzdienst zu entlassen, fand keine Mehrheit.
Für diese Bewerber sind kurzfristig Stellen im sozialen und kommunalen Bereich gefunden worden.
Weiterhin wird im Text der Zivildienstverordnung der DDR darauf verzichtet, die Verweigerung des Dienstes zu kriminalisieren. Verstöße gegen den Zivildienst sollen lediglich mit 500 bzw. 1000 Mark Strafe geahndet werden.
Durch den Aufschwung der Friedensbewegung in der DDR, sowie durch die Empfehlung des Zentralen Runden Tisches der DDR vom 22. Januar 1990, "Wehrdiensttotalverweigerer werden schon wie in den vergangenen drei Jahren - strafrechtlich nicht verfolgt", wird auch die Zahl derjenigen steigen, die den Grundwehrdienst ablehnen sowie auch den Zivildienst verweigern.
Übrigens ist das Recht auf Wehrdienstverweigerung ein anerkanntes Menschenrecht und festgeschrieben in der Resolution 46/87 der UN-Menschenrechtskommission.
 

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Steffen Kühhirt ist Mitglied der Initiative Frieden & Menschenrecht in Leipzig