„Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ gegen Sig Sauer

Widerrechtliche Waffenlieferungen ins Bürgerkriegsland Kolumbien

von Jürgen Grässlin
Hintergrund
Hintergrund

Vor Jahren schon waren auf Basis eines Rahmenvertrags insgesamt 47.000 Sig-Sauer-Pistolen des Typs SP 2022 vom Stammwerk des Kleinwaffenherstellers und -exporteurs Sig Sauer in Eckernförde an die US-Regierung verkauft worden – was damals legal war.
Dennoch erstatteten Paul Russmann und Jürgen Grässlin am 22. Juli 2014 für die Kampagne „Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!“, vertreten durch den Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer, Strafanzeige gegen verantwortliche Rüstungsmanager. Der Grund: Im Zeitraum von April 2009 bis April 2011 wurden mindestens 36.628 dieser Pistolen über die USA widerrechtlich ins damalige Bürgerkriegsland Kolumbien weiterverkauft.

Seither schießt die kolumbianische Nationalpolizei, die „Policia National“, mit diesen Pistolen. Unbekannt ist die Zahl der bislang durch die Sig-Sauer-Pistolen verletzten und getöteten Menschen. Erfahrungsgemäß zirkulieren derlei Waffen in Bürgerkriegen durch Beutewaffen auch bei anderen Konfliktparteien. Bekannt dagegen sind die Erlöse für diese Waffenexporte: Sie betrugen für Sig Sauer mehr als zwölf  Millionen Euro.

Nur wenige Tage nach Erstattung der Strafanzeige nahm die zuständige Staatsanwaltschaft in Kiel Ermittlungen auf wegen des Verdachts der Verletzung des Kriegswaffenkontrollgesetzes (KWKG) und des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG). Kurz nach Strafanzeigenerstattung erfolgte dann sogar die Erteilung eines staatlichen Rüstungsexportverbots gegenüber Sig Sauer.

Im Oktober 2014 verkündete Sig Sauer gar, dass in Deutschland schwerpunktmäßig nur noch Sportwaffen hergestellt werden würden. Vorerst verblieben lediglich rund 50 Arbeitsplätze in Eckernförde. In der Folge verlagerte das Sig-Sauer-Management die Militärproduktion ins Sig-Sauer-Werk in New Hampshire, USA.

Die von 2014 bis 2018 währenden umfassenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Kiel erfolgten in Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Sicherheitsbehörden. Wiederholt lieferte unser Rechtsanwalt weitere Informationen an die Ermittlungsbehörden.
Laut NDR spricht Axel Bieler, Sprecher der Staatsanwaltschaft Kiel, von sehr aufwändigen Ermittlungen, da der Weg jeder Waffe nachverfolgt werden musste. In Kooperation mit Behörden aus Kolumbien und den USA recherchierten deutsche ZollfahnderInnen, bei welchen Pistolenlieferungen die für die Exportgenehmigung zuständigen Behörden offensichtlich wissentlich über den wahren Bestimmungsort Kolumbien getäuscht worden waren.

Knapp vier Jahre nach Strafanzeigenerstattung erhob die Kieler Staatsanwaltschaft Anklage nach dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG) gegen führende Repräsentanten von Sig Sauer wegen des Verdachts der Beteiligung an den illegalen Waffenlieferungen nach Kolumbien: gegen Michael Lüke und Thomas Ortmeier (die in Deutschland lebenden Besitzer der Sig-Sauer-Firmengruppe) sowie gegen Ron Cohen (den Geschäftsführer der US-Niederlassung Sig Sauer Inc.).

Ein Sprecher von Sig Sauer erklärte, das Unternehmen sei „fest davon überzeugt, dass unsere Ausfuhren in die USA stets rechtskonform erfolgten“ (NDR 12.04.2018). Erlaubt war der Pistolenexport von Deutschland in die USA. Das Gericht geht vom unerlaubten Weiterverkauf der mehr als 36.000 SP 2022-Pistolen nach Kolumbien in 99 Fällen aus – was aus Sicht der Kieler Justiz widerrechtlich war.

Geschäftsführer der Sig Sauer Inc. am Frankfurter Flughafen verhaftet
Der nächste große Paukenschlag ereignete sich Mitte Oktober 2018. Ron Cohen, Geschäftsführer des US-Schwesterunternehmens Sig Sauer Inc., wurde bei der Einreise am Frankfurter Flughafen verhaftet und nach Kiel überstellt. Der 57-jährige Rüstungsmanager war mit Haftbefehl europaweit gesucht worden.

Ende des Monats wurde Cohen gegen eine Kaution von mehr als fünf Millionen Euro aus der Untersuchungshaft entlassen. Diese dient seither als hinterlegte Sicherheitsleistung, damit sich der in den USA lebende Waffenhändler nicht dem in Deutschland anstehenden Prozess gegen ihn entzieht.
Im Januar diesen Jahres (2019) ließ das Landgericht Kiel die aus unserer Strafanzeige hervorgegangene Anklageschrift gegen die drei Topmanager von Sig Sauer – Lüke, Ortmeier und Cohen – zu. Damit kann die mündliche Verhandlung beginnen. Zwar bestand ein Vertrag des US-Militärs zur Ausrüstung der nahestehenden kolumbianischen Polizei. Entscheidend aber ist die Tatsache, dass das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in Eschborn die Ausfuhr in das damalige südamerikanische Bürgerkriegsland explizit untersagt hatte.

ProzessbeobachterInnen für den Sig-Sauer-Prozess gesucht
Der Beginn der Hauptverhandlung gegen die Sig-Sauer-Manager vor dem Landgericht Kiel ist auf den 26. Februar 2019 terminiert. Im Falle ihrer Verurteilung müssen die drei Angeklagten mit Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren rechnen. Wir suchen nunmehr friedensbewegte ProzessbeobachterInnen, die in einem Team an Prozesstagen in Kiel Protokoll führen können. Interessierte bitte beim Autor melden – danke!

Jürgen Grässlin, Strafanzeigenerstatter und Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!“, DFG-VK und RüstungsInformationsBüro, jg [at] rib-ev [dot] de, 0049-761-76 78 208
Kontakt: Holger Rothbauer, DEHR Rechtsanwälte, anwaelte [at] dehr [dot] eu, 0049-7071-150 49 49

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Hintergrund
Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).