Wie neu ist das neue Deutschland wirklich?

von Klaus D.Bufe

Meldungen häufen sich, die von Übergriffen auf Nichtdeutsche und deren Wohnungen in den neuen Bundesländern berichten. So erschreckend sie im Einzelnen sind, so marginal sind sie zugleich. In gleicher Häufigkeit und fast ebensolcher Heftigkeit sind sie in den alten Ländern fast schon Gewohnheit; deshalb, und weil politisch nicht opportun, auch nicht mehr meldenswert.

Die Bundesrepublik, unbestreitbar eines der reichsten Länder der Welt, hat sich mit Fremden immer schwer getan. Den Fremden draußen, und noch mehr mit denen im eigenen Land. Eine der Ursachen für Völkerbewegungen in außereuropäischen Staaten ist die völlig danebengegangene und noch immer danebengehende Außen- und Außenwirtschaftspolitik der Industriemöchte, die sich geistig noch immer im 19. Jahrhundert bewegen. Drittstaaten werden immer noch zuerst als „Märkte“ bewertet, die dortigen Konflikte werden abgetan als „Entgleisungen“ unzivilisierter Völker, denen der deutsche Herrenmensch zwar Waffen verkauft, aber mit dem erhobenen Zeigefinger: „Kaufen ja, ein­setzen nein!“ Daß das nicht aufgehen kann, ist in viele Hirne noch nicht vorgedrungen.

Genauso wenig, wie es aufgehen kann, daß im Interesse funktionierender Betriebe und Dienste Menschen aus vielen Elternländern hierher gezogen werden, und deren nationale und kulturelle Eigenständigkeiten ignorierbar sind.

Die Bundesrepublik ist, wie auch ihre Rechtsvorgängerinnen, ein Vielvölkerstaat. Das hat nicht gestört, als diese Fremden, Polen, Italiener, Niederländer, aus dem gleichen Kulturkreis kamen und sich leidlich rasch eingliedern ließen. Mit den Türken hatte unsere Nation schon mehr Probleme. Mit den Juden und mit den Roma war das nicht so einfach. Und deshalb fiel es im Faschismus auch nicht schwer, eben diese Nationen, soweit sie faßbar waren, zu vernichten, als sie nicht mehr benötigt wurden.

Die Gegenwart kann aufbauen auf einer tradierten Fremdenverachtung und auf der Mißachtung von Fakten. Das „Einwanderungsland“ Bundesrepublik ist keins. Während in Drittweltstaaten, wie etwa Kenia oder Ghana, Flüchtlinge aus den Bürger- und Kriegsgebieten, den Hungergebieten des Sahel, fast 1/3 der Gesamtbevölkerung stellen, machen die Flüchtlinge aus der gesamten Welt in der Bundesrepublik zur Stunde noch keine 3 % der Bevölkerung aus.

Die restriktive Auslegung des Asylrechtes, die populistischen Interpretationen gesetzlicher Vorgaben des Sozialrechtes lassen von 100 Menschen, die in unser Land aus guten Gründen kommen, 95 scheitern. Mit dem seit dem 1. 7. 1991 wirksam gewordenen Ausländerrecht ist das Sieb noch engmaschiger geworden, ist der Willkür Behörden noch mehr Spielraum gegeben worden.

Aber der Widerstand ist auch gewachsen, und er nimmt erfreulich an Stärke zu. Fast flächendeckend mittlerweile in NRW und in anderen Ländern arbeiten Flüchtlingsräte und die Selbsthilfeverbände der Nationen. Die Roma in NRW, mehrfach betrogen von der Landesregierung, belagern seit dem 27. 6. 91 den Landtag in NRW und fordern dessen Zusagen ein. Die Tamilen haben sich bundesweit formiert und mit einem Marsch auf Bonn ihre Rechte zu Wort gebracht.

Die sie unterstützenden Gruppen haben in den Jahren dieser Auseinandersetzung wahnsinnig viel lernen müssen. War es anfangs der Alleingang mutiger und konsequenter Kirchengemeinden, die einzelnen Verfolgten Asyl gewährten, so ist mittlerweile für viele Kirchengemeinden klar, daß, wenn nur der Weg des Zivilen Ungehorsams bleibt, eben der gegangen wird. Ein Stück weit hat die Erklärung des Präses der Rheinischen Kirche, um ein jüngstes Beispiel anzuführen, diesen Weg mit ermutigt:

„(...) Der 30. Juni 1991 kann für viele Flüchtlinge von einschneidender Bedeutung für ihr Leben werden! Das neue Ausländergesetz macht den Aufenthalt von Flüchtlingen bei einer sechs Monate überschreitenden Zeitdauer vom Einvernehmen mit dem Bundesminister des Innern abhängig. Nach den mir vorliegenden Informationen hat Bundesminister Dr. Schäuble Anfang Mai zu erkennen gegeben, daß er mit Ausname von Afghanen, christlichen Türken und Yeziden keine Zustimmung zu einem weiteren Aufenthalt bisher geduldeter Flüchtlingsgruppen geben wird. (...)

Ich beobachte mit großer Sorge, daß die bisherige Politik des Abschiebeschutzes für an Leib und Leben gefährdete Flüchtlinge aufgegeben werden könnte. Bisher sind viele der im Asylverfahren gescheiterten Flüchtlinge aus Iran, Irak, Libanon, Sri Lanka, Somalia und Äthiopien, aber auch die heimatlosen Roma aus (Süd-)Osteuropa „geduldet“ und so­mit vor einer Abschiebung geschützt worden. Begründet wurde diese Politik mit der Verletzung elementarer Menschenrechte in den Herkunftsländern. Diese Politik ist jetzt gefährdet. (...)

Ich bitte Sie aufrichtig, in Ihren Gemeinden für die bei uns Schutz suchenden Menschen einzutreten und alles in ihren Kräften Stehende zu tun, damit Flüchtlinge die Nähe und Geborgenheit der christlichen Gemeinde spüren. (...)“

Die Gruppen, die in der Romaarbeit stehen, haben sich vor einem Jahr über die Arbeit hinaus in dem Verbund „pro roma“ zusammengeschlossen, der jeder und jedem offen steht. Soweit wir, die Deutschen in dieser Arbeit, das können, nehmen wir jede Einladung jeder Friedensgruppe, jeder Gemeinde an, um dieses Stück Deutschland verstehbar zu machen. Was jede/r von uns täglich leisten kann: wachsam sein und widersprechen. Der Marktfrau zum Beispiel, die einen Fremden duzt, ihm auf die Finger haut, wenn er eine Frucht befühlt, und Dein Verständnis im devoten „Sie, meine Dame, mein Herr“ erheischt. Dann den, den Du nicht kennst, in den Arm nehmen für einen Augenblick und klarstellen, daß der näher ist als die beiläufige Nähe der Marktfrau. Vielleicht wirst Du in Streit verwickelt dabei mit anderen Leuten.

Ich wünsche uns Deutschen den Mut, uns massenhaft dieser Art Streit zu stellen, und für das Land, daß wir uns endlich stellen müssen.

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