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Wir brauchen eine zivile Gesellschaft
vonPerestroika hat einen fruchtbaren Nährboden für das Wachsen eines unabhängigen Sektors innerhalb der sowjetischen sozio-politischen Kultur geschaffen. Ob die regierende kommunistische Partei in Moskau es will oder nicht, und unabhängig davon, ob es legalisiert ist, breitet sich gegenwärtig in den baltischen Republiken und in anderen Teilen der Sowjetunion ein Mehrparteiensystem aus. Dieser Prozeß wird von den konservativen Kräften als eine Gefahr für das Fortbestehen eines starken einheitlichen Staates, d.h. faktisch für die Grundlagen des totalitären Systems angesehen.
Vor diesem Hintergrund sind wir Zeugen einer blühenden, völlig neuen Generation von unabhängigen Bewegungen und Organisationen. Es gibt bereits Hunderte, ja Tausende solcher Organisationen, die meisten davon in Moskau, Leningrad, Kiew, den baltischen Republiken und in einigen russischen Städten und Regionen.
Man sollte allerdings zwischen den Volksfronten und anderen unabhängigen Bewegungen unterscheiden. Die Volksfronten repräsentieren in aller Regel die Interessen der herrschenden ethnischen oder nationalen Gruppen, während die unabhängigen Gruppen auf unterschiedlicher sozialer Basis organisiert sind und ihre eigenen Motive haben.
Offizielle Anerkennung notwendig
Das sowjetische Rechtssystem ist noch sehr unklar über den Status von unabhängigen Bewegungen. Die Sowjetunion versprach bei den Wiener Verhandlungen, daß es bald ein Gesetz geben wird, das den sowjetischen Menschen nicht nur erlauben würde, freie Bewegungen oder Organisationen zu gründen, sondern diese ebenfalls offiziell zu registrieren. Damit wären sie in der Lage, Bankkonten zu eröffnen, ihre Papiere zu veröffentlichen und einen rechtlichen Status, d.h. offizielle Anerkennung zu genießen.
Die meisten der neuen freien Bewegungen und Organisationen sind jedoch nicht auf Verständnis oder gar Unterstützung durch die örtlichen oder zentralen Autoritäten gestoßen. So kämpfte z.B. die Organisation namens "Memorial" nahezu ein Jahr darum, eine offizielle Erlaubnis für ihre Registrierung zu erhalten. Bei "Memorial" handelt es sich um eine Organisation, die um die Rehabilitierung von unter den Stalin- und Breschnew-Regimen unterdrückten Menschen kämpft. Sie will die Namen von Millionen unter dem totalitären Diktaturen Getöteter aufspüren. Und sie tritt für den Schutz der Menschenrechte ein. Viele sehr bekannte Persönlichkeiten und Volksdeputierte sind Mitglieder dieser "Memorial". Trotzdem war es derart schwierig, die offizielle Anerkennung zu bekommen. Aber viele Bewegungen warten mit ihren Aktivitäten nicht bis zur gesetzlichen Anerkennung. Sie handeln so, als wenn bereits alles erlaubt ist.
Vielzahl neuer Gruppen
Die größte Zahl der Gruppen arbeitet im ökologischen Bereich. Aber es gibt keinen einheitlichen Zusammenhang zwischen ihnen. Da sind zwei oder drei die Sowjetunion übergreifende ökologische Zusammenschlüsse und Tausende lokale Gruppen mit Namen wie "Grüne", "Greenpeace", "Ökoclubs'', Umweltschutzinitiativen mit unterschiedlichen Zielen wie dem Schutz des Wolga-Stromes, des Oral-Sees und so weiter. Es folgen Menschenrechtsgruppen, Frauengruppen und kulturelle Zusammenschlüsse.
Eine ganze Reihe von ihnen wird sich in politische Parteien verwandeln, wie zum Beispiel sozialdemokratische Vereinigungen, das ökologische Bündnis in Moskau, das sehr bald zur "Grünen" Partei werden wird, die christlich-demokratische Vereinigung usw. Unter den wichtigsten Bewegungen, die auf der Graswurzel-Ebene arbeiten, wären folgende zu nennen:
- der Rat der feministischen Bewegungen,
- Moskau "Trust Group",
- die alternative Bewegung der AprilSchriftsteller,
- "Memorial",
- "Moskau Tribune" (umfasst die unabhängigen Abgeordneten des Parlaments)
- "Brotherhood" (eine pazifistische Bewegung),
- Die "Familien der Welt",
- die Musiker für den Frieden.
Es gibt auch eine ganze Reihe von Wohltätigkeitsstiftungen, die teilweise mit Regierungsunterstützung gegründet wurden. Daneben gibt es zahlreiche neue Vereinigungen, die auf der Basis und mit der Unterstützung von Genossenschaften gegründet wurden.
Bildung von Koalitionen
Einiger dieser neuen Bewegungen versuchen gemeinsame Plattformen zu finden. Innerhalb der Friedensbewegung erleben wir zur Zeit die Bildung einer neuen Koalition unter dem Namen "Civic Peace", in der einige der wichtigsten neuen Gruppen zusammengeschlossen sind.
Sobald das neue Gesetz über die Bildung eigenständiger Organisationen eingebracht ist, werden wir erleben, daß Bewegungen wie Pilze aus dem Boden schießen. Dies wird eintreten, wenn die Perestroika fortgesetzt wird und Gorbatschow nicht infolge einiger schwerwiegender Fehler wie dem militärischen Einsatz in Baku oder anderswo scheitert.
Tair Tairov ist Initiator der Initiative für soziale Innovationen, einem Zusammenschluß unabhängiger Gruppen aus der gesamten UdSSR.
(Übersetzung aus dem Englischen: Gerd Greune]
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