Asylpolitik

„Wir schaffen das“?

von Dr. Stephan Dünnwald

Das Diktum Angela Merkels, „wir schaffen das“, wurde schon häufig in Zweifel gezogen. Nicht nur die Frage nach dem WIE, sondern auch die Frage: WAS ist das überhaupt, das wir schaffen sollen oder wollen, blieb ohne eine klare Antwort. Dermaßen dominant ging es um die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen, dann zunehmend um die Frage ihrer dauerhaften Integration, dass die Frage nach dem, was überhaupt zu schaffen ist, gar nicht recht an die Oberfläche gedrungen ist.

Entsprechend entzog sich auch weitgehend der Wahrnehmung, dass neben dem Aufstellen von Zelten, der Installation von „Bearbeitungsstraßen“ zur Registrierung von Flüchtlingen und der Logistik ihrer Verteilung, auch eine alte Unterscheidung wieder schärfer akzentuiert wurde: Wer anerkannt ist, soll bleiben dürfen, aber abgelehnte Asylsuchende sollen gehen. Damit beendete die Regierung vorläufig einen liberalen und vor allem pragmatischen Umgang mit den Geflüchteten, denen kein Schutz zugebilligt worden war, die aber dennoch aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden konnten. In den letzten Jahren hatte sich eine Praxis etabliert, den abgelehnten, aber im Land bleibenden Flüchtlingen Brücken zu bauen. Durch gute Integration, Arbeit oder Ausbildung konnten sie sich in einen stabilen Aufenthaltstitel hocharbeiten. Damit ist jetzt Schluss, weitgehend. Da die Fluchtzuwanderung mit kurzfristigen Maßnahmen nicht wesentlich zu beeinflussen war, setzt man zur Demonstration von Handlungsfähigkeit verstärkt auf Abschiebungen. Die „Willkommenskultur“ der Kanzlerin verdeckte eine Kette asylpolitischer Entscheidungen, die vehement den Bestand des Asylrechts zusammenstrich.

Das Beschleunigungsversprechen

Die steigende Zahl von Asylanträgen führte schnell zu einer Debatte der Überlastung der Behörden, insbesondere des für Asylentscheidungen zuständigen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Vor allem auch seitens der Kommunen wurde die Forderung artikuliert, dass man schnell Klarheit brauche, welcher Flüchtling bleiben könne und wer wieder gehen müsse. Die Beschleunigung der Verfahren ist so das von der Politik postulierte Ziel der Stunde.

Die Anhörung und Entscheidung über Asylanträge erwies sich aber nicht erst ab 2015 als das Nadelöhr für Flüchtlinge. Schon 2014 schob das Bundesamt eine hohe Zahl unerledigter Verfahren vor sich her. In der Praxis schien die Beschleunigung der Verfahren nicht im Zentrum des politischen Handelns zu stehen. Zwar wurden zusätzliche Stellen versprochen, doch das Bundesamt musste weiter die weitgehend erfolglosen und enorm bürokratischen Dublin-Verfahren durchführen und ebenso Widerrufsverfahren prüfen. Statt die Behörde zu entlasten, wurden ihr sogar noch weitere Aufgaben zugeschoben. So muss das Bundesamt seit dem letzten Sommer auch noch prüfen, gegen welche Flüchtlinge eine Wiedereinreisesperre verhängt werden soll.

In der Summe legt das politische Handeln den Verdacht nahe, dass die Steigerung der Kapazitäten des Bundesamtes, entgegen öffentlicher Verlautbarungen, nicht im Zentrum des Interesses stand. Ende 2015 war die Kluft zwischen eingereisten Flüchtlingen und registrierten Asylanträgen auf mehr als 300.000 angewachsen. Eine „Beschleunigung“ sollte vor allem durch schnelle Verfahren erreicht werden. Während syrische Kriegsflüchtlinge beschleunigt eine Anerkennung erhalten konnten, wurden Anträge von Flüchtlingen aus anderen Staaten in Schnellprozessen als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt.

Der Balkan ist „sicher“

Insbesondere am Beispiel der Flüchtlinge aus Südosteuropa manifestierte sich die Trennlinie zwischen „echten“ Flüchtlingen und den Anderen. Schon im Winter 2014 / 2015 kamen zahlreiche Flüchtlinge aus dem Kosovo. Ebenso stiegen die Zahlen von Flüchtlingen aus Serbien, Montenegro und schließlich Albanien deutlich an. Pauschal und öffentlichkeitswirksam wurden ihnen Fluchtgründe abgesprochen, entsprechend ergriff man Maßnahmen, um sie umgehend zur Rückkehr zu drängen.

Im März 2015 erließ das bayerische Innenministerium ein Edikt, das kategorisch Ausbildungs- und Arbeitsverbote für Flüchtlinge aus den sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ verfügte. Systematisch wurden Flüchtlinge auch aus bestehenden Arbeitsverhältnissen gedrängt. Im Herbst 2015 wurde diese Praxis bundesweit übernommen. Zeitgleich wurden weitere Staaten Südosteuropas als sogenannte „sichere Herkunftsstaaten“ deklariert, ohne die reale Situation in diesen Staaten ernsthaft zu prüfen. Wieder war der Freistaat Bayern besonders rigoros mit der Einrichtung von sogenannten Ankunfts- und Rückführungszentren für Flüchtlinge vom Balkan, wo isoliert von der Bevölkerung, aber auch von rechtlichem oder medizinischem Beistand, besonders schnelle Verfahren zur baldigen Abschiebung führten.

Die Behauptung, dass, wer kein Asyl bekommt, wieder gehen muss, wird sich nicht umsetzen lassen. In vielen Fällen ist eine Abschiebung unmöglich. Auch der Abbau von rechtsstaatlichen Mitteln wird hier langfristig nicht helfen. Wenn jetzt die Pflicht zur Integration gesetzlich festgeschrieben wird, abgelehnten Flüchtlingen aber jeder Weg zur Integration verbaut wird, so schafft sich die Politik hier die Probleme von morgen.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Dr. Stephan Dünnwald ist Mitarbeiter beim Bayrischen Flüchtlingsrat.