Manipulation

Woran erkennt man Propaganda?

von Dr. Uwe Krüger
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Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Dieser Ausspruch geht zurück auf Arthur Ponsonby (1871-1946), einen britischen Politiker, Schriftsteller und Friedensaktivisten, der 1928 die Methoden der Kriegspropaganda aller Beteiligten am Ersten Weltkrieg beschrieb.
Posonby erkannte zehn Prinzipien (nach Morelli 2004):

  1. Wir wollen den Krieg nicht.
  2. Das gegnerische Lager trägt die Verantwortung.
  3. Der Führer des Gegners ist ein Teufel.
  4. Wir kämpfen für eine gute Sache.
  5. Der Gegner kämpft mit unerlaubten Waffen.
  6. Der Gegner begeht mit Absicht Grausamkeiten, wir nur versehentlich.
  7. Unsere Verluste sind gering, die des Gegners enorm.
  8. Künstler und Intellektuelle unterstützen unsere Sache.
  9. Unsere Mission ist heilig.
  10. Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, ist ein Verräter.

Doch Propaganda kann mehr sein als Kriegspropaganda, die den Hass gegen einen Feind mobilisieren, die Freundschaft mit den Verbündeten stärken und den Feind demoralisieren will. Es gibt sie auch in Friedenszeiten, und sie kann genauso gut dazu dienen, die Interessen von Wenigen, zum Beispiel wenigen Reichen, auf Kosten von Vielen, zum Beispiel vielen Armen, zu legitimieren. Was also ist Propaganda, wenn man das Wort nicht als reinen Kampfbegriff verstehen will, das man dem weltanschaulichen Gegner einfach um die Ohren schlägt, wenn einem dessen Meinung oder dessen Narrativ nicht passt? Wie ist Propaganda ganz sachlich und nicht-wertend, als beschreibender oder analytischer Begriff zu verstehen?

Drei Arbeiten aus der jüngeren Kommunikationswissenschaft, die sich mit der Definition und den Erkennungsmerkmalen von Propaganda beschäftigen, seien hier herangezogen. Thymian Bussemer versteht in seiner Doktorarbeit Propaganda „als die in der Regel medienvermittelte Formierung handlungsrelevanter Meinungen und Einstellungen politischer oder sozialer Großgruppen durch symbolische Kommunikation und als Herstellung von Öffentlichkeit zugunsten bestimmter Interessen (...). Propaganda zeichnet sich durch die Komplementarität vom überhöhten Selbst- und denunzierendem Fremdbild aus und ordnet Wahrheit dem instrumentellen Kriterium der Effizienz unter. Ihre Botschaften und Handlungsaufforderungen versucht sie zu naturalisieren, so dass diese als selbstverständliche und naheliegende Schlussfolgerungen erscheinen.“ (Bussemer 2008, S. 33)

Propaganda arbeite mit dem Trick, Sprache und Bilder so zu manipulieren, „dass im Rezeptionsprozess neue Verknüpfungen zwischen vorhandenen positiven oder negativen Einstellungen und bestimmten Sachverhalten hergestellt werden“ (ebd., S. 34). Sie lässt bestimmte Handlungsoptionen als alternativlos erscheinen und belegt Zuwiderhandlungen und Nichtbefolgung mit Sanktionen; überdies „strebt sie einen Alleinstellungsanspruch an. Propaganda will nicht mit konkurrierenden Botschaften in einen Diskurs um die beste Lösung eingehen, sondern den Menschen ihre Handlungsprogramme aufzwingen“ (ebd.).

Werkzeugkasten zur Erkennung von Propaganda
Florian Zollmann, ein deutscher Nachwuchsforscher, der in Großbritannien arbeitet, hat jüngst in einem Aufsatz versucht, eine Art Werkzeugkasten zur Erkennung von Propaganda in Medientexten zusammenzustellen. Es sei vorausgeschickt, dass Zollmann nicht glaubt, dass JournalistInnen absichtlich Propaganda machen, also ihr Publikum manipulieren wollen. Aber er glaubt, dass die großen Medien aufgrund ihrer politischen Ökonomie von Geld und Macht geformt sind und dass die JournalistInnen häufig unbewusst und unbeabsichtigt die Propaganda anderer Akteure übernehmen, da sie abhängig von Informationsquellen aus Regierung und Wirtschaft sind und unter Zeitdruck stehen.

Laut Zollmann weisen folgende Anzeichen auf Propaganda in journalistischer Berichterstattung hin:  

  1. Wenn Ereignisse, Themen oder Akteure so gerahmt sind, dass bestimmte Interessen bedient werden und andere Perspektiven ausgeblendet werden (Beispiel: Die Außenpolitik des Westens als moralisch gut und mildtätig darzustellen, aber damit verbundene ökonomische Interessen zu verschweigen).
  2. Wenn Ereignisse und Handlungen mit „umstrittenen ideologischen Konzepten“ wie „Krieg“, „Verbrechen“, „Massaker“, „Völkermord“, „Terrorismus“, „Demokratie“ oder „Sozialismus“ verbunden werden (z. B. wenn Kriegsverbrechen oder Staatsterrorismus als „Krieg“ beschönigt oder – andersherum – Kampfhandlungen unangemessen zu „Massakern“ oder „Völkermorden“ werden).
  3. Wenn Berichterstattung durch Empörung zu politischem oder militärischem Eingreifen auffordert.
  4. Wenn Kritik auf taktisch-prozedurale Fragen beschränkt wird, während die grundsätzliche Legitimation der Strategie und der Ziele nicht hinterfragt wird.
  5. Wenn Fakten über ein Thema verwendet werden, aber gleichzeitig andere wichtiger Fakten ignoriert oder marginalisiert werden.
  6. Wenn Fakten in einen bestimmten Frame (Rahmen) eingeordnet werden, aber andere Frames, die ebenfalls zu den Fakten passen, nicht verwendet werden.
  7. Wenn Fakten oder Statements heruntergespielt werden durch Platzierung (ganz hinten ganz klein), durch Wiederholungsfrequenz (ganz selten) oder durch die Art ihrer Interpretation bzw. Einordnung.
  8. Wenn Akteure wie gegnerische Staatschefs oder Oppositionsgruppen im eigenen Land dämonisiert, beschimpft oder negativ assoziiert werden bzw. Etiketten bekommen, die nicht zur Faktenlage passen (Bsp.: Hitler-Vergleich)
  9. Wenn Gräueltaten von Feindstaaten betont oder übertrieben werden, auch bei unsicherer Faktenlage, und wenn Empörung, grausame Details und die Verantwortung für Gräueltaten überproportional und selektiv betont werden, verglichen mit ähnlichen Handlungen anderer Akteure oder Staaten.

Zollmann hat diese Kriterien aus einer Forschungstätigkeit heraus entwickelt, die sich auf die Berichterstattung über sogenannte „humanitäre Interventionen“ des Westens mit der Begründung der „Schutzverantwortung“ bezog. Theoretische Basis seiner Arbeit ist das „Propaganda-Modell“ von Edward Herman und Noam Chomsky, das beschreibt, wie die großen US-Medien doppelte Standards bei der Berichterstattung über Außenpolitik anlegen. Die wichtigste These des „Propaganda-Modells“ lautet, dass die Medien nicht alle Opfer von staatlicher Repression und Gewalt gleich behandeln, sondern zwischen „wertvollen“ und „wertlosen“ Opfern unterscheiden – je nachdem, ob die Gewalt von den USA, Kanada, anderen kapitalistischen Demokratien oder befreundeten Regimen ausgeht oder aber von offiziellen Feindstaaten der USA. Herman und Chomsky nehmen an, dass es gravierende Unterschiede in Umfang und Art der Berichterstattung gibt:

„Wir erwarten bei den Gräueltaten unserer und befreundeter Regierungen, dass sich die Berichterstattung sehr stark auf offizielle Quellen aus den USA und ihrer Vasallenstaaten stützt, während Flüchtlinge und Regimekritiker dann stark zu Wort kommen, wenn es um die Schandtaten unserer Feinde geht. Wir erwarten unkritische Akzeptanz von bestimmten Prämissen, wenn es um uns und unsere Freunde geht – etwa, dass wir Frieden und Demokratie wollen, Terrorismus bekämpfen und die Wahrheit sagen – Prämissen, die bei Feindstaaten nicht angenommen werden.” (Herman/Chomsky 2002, S. 34f.)

Wohlgemerkt: Dies sind alles Thesen und Theorien. In einer Reihe von Fallstudien wurden solche Berichterstattungsmuster bestätigt, doch gibt es im deutschsprachigen Raum derzeit keine kommunikationswissenschaftliche Propagandaforschung in nennenswertem Umfang. Das ändert sich womöglich bald, hat sich doch im vergangenen Jahr ein neues „Netzwerk Kritische Kommunikationswissenschaft“ gegründet, das verstärkt Augenmerk auf Themen wie Ideologiekritik legen möchte. Einstweilen mögen die geschilderten Kriterien den Leserinnen und Lesern helfen, bei ihrem individuellen Medienkonsum Abstand zu entsprechender Berichterstattung zu gewinnen und sich intellektuell gegen Überredungs-, Überrumpelungs- und Entmündigungsstrategien zu wappnen.

Literatur:
Bussemer, Thymian (2008): Propaganda. Konzepte und Theorien. 2. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Herman, Edward S./Chomsky, Noam (2002): Manufacturing Consent. The Political Economy of the Mass Media. New York: Pantheon.
Morelli, Anne (2004): Die Prinzipien der Kriegspropaganda. Zu Klampen, Springe.
Zollmann, Florian (2017): Bringing Propaganda Back into News Media Studies. In: Critical Sociology, 1-17, DOI https://doi.org/10.1177/0896920517731134

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Dr. Uwe Krüger ist Diplom-Journalist, Medienwissenschaftler und Autor. Der Beitrag beruht auf einem Vortrag, den der Autor bei der IALANA gehalten hat und wurde dem IPPNW Forum Nr. 153/2018 entnommen.