Zivile Gesellschaft - Hoffnung im Krieg

von Sonja Licht
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Die Entwicklung einer unabhängigen zivilen Gesellschaft ist essentiell für die demokratische Transformation Serbiens und den Aufbau eines dauerhaften Friedens. Das Keimen von Antikriegs-Initiativen stellt einen wichtigen Schritt hin zum Aufbau einer autonomen zivilen Gesellschaft dar. Seit ersten bescheidenen Regungen von Dissidenten in den siebzi­ger Jahren sind inzwischen viele tausende Menschen an Aktionen von BürgerInnen beteiligt. Sie arbeiten über die Grenzen von Republiken hinweg, designieren lokale Friedenszonen und arbeiten mit der serbi­schen politischen Opposition zusammen.

Die ersten Zeichen einer unabhängigen zivilen Gesell­schaft in Serbien entstand in den späten siebziger Jahren mit der "Petitionsbewegung". BürgerInnen un­terschrieben Erklärungen und offene Briefe an die Re­gierenden, in denen die Respektierung grundlegender Men­schenrechte wie das Recht auf freies Reisen, das Recht freier Meinungsäuße­rung und das Recht auf faire Gerichts­verfahren gefordert wurden.

Ab Mitte der siebziger Jahre begann eine Anzahl von Intellektuellen, die mit dem Regime nicht überein­stimmten, eine ständige Diskussionsgruppe, die als "Freie Universität" bekannt wurde. Nach sieben Jahren wurde sie durch die politische Polizei unterbrochen. 1984 wurden 28 Menschen während einer Vorlesung des bekannten Dissidenten Milovan Djilas festgenommen und spä­ter in einem Schauprozess vor Gericht gestellt.

In Reaktion auf dieses Verfahren wurde eine Anzahl von Menschenrechtskomi­tees organisiert. Diese Komitees behan­delten Fälle von Repression in allen Re­publiken, verteidigten politische Gefan­gene, protestierten gegen die politischen Gerichtsverfahren gegen Tomaz Mast­nack und die "Vier von Ljubljana" und gaben hun­derte von Menschenrechtsap­pellen in die Öffentlichkeit.

In den frühen achtziger Jahren fanden die ersten Um­weltaktionen statt. Die er­folgreichste war die gegen den Bau neuer Atomkraftwerke. Oberschulschü­lerInnen und andere sammelten mehr als 700.000 Unterschriften. Es gelang ih­nen, das Bundesparlament dazu zu zwin­gen, den Bau neuer AKWs bis zum Jahr 2000 zu stop­pen. Diese Aktion war vielleicht die erfolgreichste Umwelt­kampagne in Osteuropa.

Die Friedensbewegung ist in Serbien erst entstanden, nachdem die Bundes­armee in Slowenien interveniert hatte. Mit der Ausnahme Sloweniens fehlte dem Land der Begriff einer Frie­denskultur. Einige oppositionelle Intel­lektuelle beklagten die Militarisierung, aber Frie­densinitiativen waren selten, weil Jugoslawien nicht zu einem der Militärblöcke gehörte. Das Ideal einer ge­waltfreien Konfliktlösung war nahezu unbekannt. Eth­nische Konflikte wie im Kosovo wurden als rein politi­sche Kon­flikte verstanden.

Seit Juli haben Demonstrationen vor dem Bundesparla­ment und den republi­kanischen Parlamenten stattge­funden, auf denen ein Ende des Krieges gefor­dert, So­lidarität mit Dubrovnik ausge­drückt und der Hunger­streik eines Ab­geordneten des Bundesparlamentes ge­gen den Krieg unterstützt wurde. Das Zentrum für Anti-Kriegsaktion hat re­guläre "Friedensmarathons" organisiert. Seit dem 8. Oktober wird jeden Abend eine Mahnwache mit Kerzen in Erinne­rung an die Kriegsop­fer abgehalten. Die Friedenskarawane der Helsinki-Bürge­rInnenversammlung besuchte Belgrad am 28. September. Als ein Ergebnis der Karawane begannen "Frauen in Schwarz" in Anlehnung an eine gleiche ita­lienische Gruppe eine wöchentliche Mahnwache im Zen­trum der Stadt.

Reisen und Kommunikation werden immer schwieriger, was Versuche be­hindert, Friedensgruppen zu koordinie­ren. Dennoch hat Belgrad enge Verbin­dungen mit der Vojvodina, nachdem diese Provinz eine Kampa­gne für ein Antikriegsreferendum begonnen hat. Die Referendumsinitiative ist der erste Schritt dahin, eine große Zahl von Bür­gerInnen in eine wahrhaft unab­hängige zivile Initiative einzubinden.

aus: YUGOFAX Nr.8

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Sonja Licht ist Vorsitzende der Helsinki-BürgerInnenversammlung.