Verhandlungen

Zu den Problemen multilateraler Rüstungskontroll- und Abrüstungs-Verhandlungen

von Hans-Joachim Schmidt

Multilaterale Rüstungskontroll- und Abrüstungsabkommen und ihrer Verhandlungen stehen vor großen Herausforderungen. Eines ihrer größten Probleme besteht derzeit darin, dass es keinen verlässlichen politischen Ordnungsrahmen mehr für sie gibt. Das gilt sowohl global als auch regional. Denn die globale Weltordnung befindet sich in einer Umbruchphase von einer unipolaren - den USA dominierten Weltordnung - hin zu einer neuen multipolaren Ordnung, deren künftige Gestaltung derzeit noch niemand genau kennt. Regional versuchen Staaten wie China, Indien, Brasilien und Russland ihren Einfluss in vielfältiger Weise zu erweitern, China wird dabei als zweitstärkste globale Wirtschaftsmacht von den USA schon teilweise als potentieller Herausforderer und Konkurrent betrachtet. Die USA sind deshalb bestrebt, den Verlust ihrer Dominanz soweit wie möglich in die Zukunft zu schieben. In dieser Umbruchsituation ist die Gefahr groß, dass die USA, Russland und andere Staaten schon bestehende multilaterale Rüstungskontroll- und Abrüstungsverträge gefährden.

Wichtig ist es daher aus Stabilitätsgründen, die bestehenden Rüstungskontroll- und Abrüstungsregime und Verhandlungen über künftige Regime in dieser Phase zunächst zu erhalten und sie - soweit notwendig - später an eine veränderte Weltordnung anzupassen. Besondere Beachtung verdienen dabei die multilateralen Rüstungskontroll- und Abrüstungsregime für Massenvernichtungsmittel und die dazu laufenden Verhandlungen, da von diesen Waffen die größte Bedrohung ausgehen kann. Zu diesen Regimen gehören der Nukleare Nichtweiterverbreitungsvertrag (NVV) von 1970, die Chemiewaffenkonvention von 1997 und die Biowaffenkonvention von 1975. Der seit 1996 bestehende,  aber leider noch nicht in Kraft getretene Umfassende Teststoppvertrag für Kernwaffen  gehört ebenfalls dazu. Seit 1995 gibt es außerdem Gespräche über ein Produktionsverbot von Spaltmaterialien für Waffenzwecke (Fissile Material Cut-off-Verhandlungen). Im Kontext der NVV-Überprüfungskonferenzen bemüht sich zudem besonders Ägypten seit 2010, Gespräche über eine massenvernichtungswaffenfreie Zone im Nahen Osten zustande zu bringen.

Multilaterale Abkommen unverzichtbar
Darüber hinaus gibt es durch die militärtechnischen Entwicklungen im Bereich der Cyberkriegsmittel und bei den autonomen Waffen neue Bedrohungen, die nur durch neue multilaterale Abkommen einzuhegen sind. Ähnliches gilt auch für den Weltraum, dessen ziviler Nutzen weltweit immer mehr steigt, der aber bisher nicht durch multilaterale Abkommen vor der Einwirkung moderner konventioneller und elektronisch-digitaler Kriegsmittel der Staaten geschützt wird. In Zeiten des sicherheitspolitischen Umbruchs sind multilaterale Verhandlungen über diese Bedrohungen wichtig, auch wenn sie bedingt durch die ungeregelte Konkurrenz im Machtwandel kaum zu Abkommen führen werden. Sie erhöhen die wechselseitige Transparenz darüber, was andere Staaten in diesen ungeregelten Bereichen tun und wie sie darüber denken. Sie sind außerdem eine unverzichtbare Grundlage für die Annäherungen von Interessen und Positionen, um eines Tages unter günstigeren  politischen Voraussetzungen doch zu Abkommen mit mehr Berechenbarkeit zu kommen. Solche Abkommen sollten grundsätzlich weltweit gültig sein.

Selbst wenn wichtige Staaten wie die USA zunächst solchen Vereinbarungen nicht beitreten, entfalten sie eine normierende Wirkung, der sich auch diese Staaten nicht völlig entziehen können. Beispielsweise sind die USA bisher der weltweiten Konvention zum Verbot von Landminen nicht beigetreten, weil sie diese zum Schutz der Grenze zwischen Nord- und Südkorea nutzen. Trotzdem achten die USA dieses Verbot bei Rüstungsexporten und stützen die Konvention dadurch, dass sie die weltweiten Bemühungen zur Räumung von Landminen finanziell am stärksten unterstützten. Ähnliches lässt sich auch teilweise bei anderen Staaten beobachten, die der Konvention noch nicht beigetreten sind.    

Angesichts dieser Lage mehren sich unter der neuen Regierung Trump die Stimmen, die für die Modernisierung amerikanischer Nuklearsprengköpfe die Wiederaufnahme von unterirdischen Atomtests fordern und damit die weltweite Verbotsnorm solcher Tests durch den umfassenden Teststoppvertrag in Frage stellen. Derzeit verletzt nur Nordkorea diese Norm. Die USA, die den umfassenden Teststoppvertrag nicht ratifiziert haben, aber bisher trotzdem achten, würden im Falle eines Tests einen Dammbruch einleiten, dem die übrigen Nuklearmächte sehr schnell folgen dürften. Außerdem wollen führende konservative Abgeordnete im US-Kongress und hochrangige amerikanische Militärs vom Vertrag für den offenen Himmel (OH-Vertrag) abrücken, weil Russland die in ihm erlaubten Beobachtungsflüge über den USA angeblich zur Spionage missbraucht. Dem OH-Vertrag gehören derzeit 34 Staaten von Vancouver bis Wladiwostok an. Russland leistet diesen Bestrebungen leider Vorschub, weil es seit dem Russland-Ukraine-Konflikt die Beobachtungsflüge über seine Exklave Kaliningrad vertragswidrig auf 500 km begrenzt.

Die widerrechtliche Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und die Destabilisierung der Ostukraine durch Russland haben seit 2014 die bisherige Friedensordnung in Europa in Frage gestellt und gefährden zusätzlich die drei ohnehin in der Krise befindlichen multilateralen Rüstungskontrollregime für Europa, den Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) von 1992, das Wiener Dokument für Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen in Europa von 2011 und den Vertrag über den offenen Himmel von 2002. Die neue Konfrontation mit Russland kann den Zerfall der bisher wegweisenden Rüstungskontrollregime im konventionellen Bereich beschleunigen und damit zugleich die europäische Sicherheit in eine instabilere Phase zurückwerfen. Ein  längerdauernder Verlust der konventionellen Stabilität in Europa dürfte auch künftige globale und regionale nukleare Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen erschwerenoder gar verhindern.

Problem „Amerika First-Politik“
Die USA scheinen bisher unter ihrem neuen Präsidenten Trump kaum daran interessiert zu sein, multilaterale Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen voranzubringen. Im Gegenteil, Trump will mit seiner „Amerika First-Politik“, der Verlagerung der Bündniskosten auf die Bündnispartner und ein neues nukleares Waffenmodernisierungsprogramm sowie deutlich höheren  Verteidigungsausgaben ab 2018 den relativen Machtverlust Nordamerikas verzögern, verhindern kann er ihn aber kaum. Dabei ist seine Politik widersprüchlich, sonst hätte er den Vorschlag des russischen Präsidenten Putin für eine Verlängerung des bilateralen neuen START-Vertrags um weitere fünf Jahre schon aus Kostengründen angenommen.

Mit der Ablehnung von Putins Vorschlag durch Trump wird sich die Frage multilateraler nuklearstrategischer Rüstungskontrolle und Abrüstung möglicherweise früher als erwartet stellen. Denn die Nuklearmächte China, Indien, Pakistan und bald auch Nordkorea sind aus unterschiedlichen Gründen schon länger in einer nuklearen Aufrüstungsphase, die von Raketenprogrammen mit immer größerer Reichweite und Fähigkeiten begleitet werden. Der multilaterale Irandeal von 2015, der die Nuklearisierung Teherans um wenigstens 15 Jahre verhindern soll, schafft hier nur begrenzt Entlastung, vorausgesetzt, Trump kündigt ihn nicht wieder auf. Sollte sich die weitere Nuklearisierung Nordkoreas mit seinen Raketenprogrammen nicht bald in Rahmen von multilateralen regionalen Verhandlungen kontrolliert verzögern oder einfrieren lassen, kann sogar die nukleare Aufrüstung Japans und Südkoreas in Nordostasien drohen. Dann gäbe es nicht nur mit der heimlichen Nuklearmacht Israel neun, sondern elf Nuklearmächte in einer künftigen multipolaren Weltordnung. Das Risiko eines regionalen oder globalen Scheiterns der nuklearen Abschreckung wäre deutlich höher als in den vergangenen Jahrzehnten unter einer bi- oder unilateralen Weltordnung.

Wechselseitige Berechenbarkeit erhöhen
Da militärische Abschreckung alleine den Frieden im Atomzeitalter nicht garantieren kann, muss sie von Dialog, partieller Kooperation, Transparenz und Kontrolle über alle Grenzen hinweg begleitet werden, um die wechselseitige Berechenbarkeit zu erhöhen und um nicht auszuschließende Missverständnisse und Fehler gerade in Konfliktsituationen zu vermeiden. Doch für die nukleare Rüstungskontrolle und Abrüstung in einer multipolaren Weltordnung fehlen noch die Paradigmen und die notwendigen Erfahrungen. Das gerade jetzt 122 nichtnukleare Staaten in der UN - unterstützt von vielen Nichtregierungsorganisationen - aus humanitären Gründen einen Vertrag für die völlige Abschaffung aller Nuklearwaffen entworfen haben, unterstreicht aber die wachsende Dringlichkeit dieser Aufgabe. Er erinnert außerdem die Atommächte an ihre Zusicherung in Artikel sechs des NVV, die Atomwaffen eines Tages abzurüsten, um damit die Diskriminierung der nichtnuklearen Staaten zu beenden. 

Es ist kein Zufall, das multilaterale Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen in den letzten Jahren hauptsächlich dann erfolgreich waren, wenn sie aus humanitären Gründen erfolgten. Das belegt die gerade verabschiedete Nuklearwaffenkonvention in der UN und das 2010 in Kraft getretene Übereinkommen zum Verbot von Streumunition. Sicherheitspolitisch begründete multilaterale Abkommen der Rüstungskontrolle und Abrüstung dürften es dagegen in den nächsten Jahren unter den gegenwärtigen Bedingungen der internationalen Konkurrenz und des Machtwandels eher schwer haben. Hier ist leider Geduld und Beharrlichkeit gefragt. Dabei führt kein Weg an multilateralen nuklearen Rüstungskontroll- und Abrüstungsverhandlungen vorbei, unabhängig davon, ob es um die Regelung des nordkoreanischen Nuklearproblems oder um die Regelung der wachsenden globalen nuklearen Rüstungskonkurrenz geht. Ansonsten ist auch unsere Sicherheit erheblich gefährdet. 

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Hans-Joachim Schmidt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.