Südsudan

Zwei Referenden, viele Ängste

von Anne Dietrich

Vielerorts im Südsudan wurden in den vergangenen Jahren kommunale Konflikte, etwa die Zugehörigkeit eines Dorfes zu dem einen oder anderen Landkreis, oder die Benennung (und damit meist Dokumentation der Dominanz einer ethnischen Gruppe) eines Landkreises, mit der lapidaren Bemerkung vertagt, dass dies bis ‘nach dem Referendum’ zu warten habe.

Zwei Gründe wurden für diese Vertagungstaktik angeführt:

Mangel an Legitimität der derzeitigen südsudanesischen Übergangsregierung

Die Notwendigkeit, Einigkeit der Bevölkerung und der sie mehr schlecht als recht vertretenden Regierungsinstitutionen gegenüber der Außenwelt zu manifestieren.

Inzwischen kursiert in Südsudans Haupstadt Juba für ungeduldige Bemerkungen über Verzögerungen - für was auch immer - das geflügelte Wort: ”nach dem Referendum?“ Was so viel bedeutet wie “Na, ich glaub ‘s erst, wenn ich es sehe!”

Alle Aufmerksamkeit ist hier für die nächsten Monate auf das Referendum gerichtet: Im Januar werden die als “SüdsudanesInnen” registrierten StaatsbürgerInnen für die Abspaltung des Südsudan in einen eigenen Staat oder seinen Verbleib im Gesamtsudan abstimmen. Geplant ist, dass simultan dazu die Bevölkerung der ölreichen Region Abyei über den Erhalt des Sonderstatus der Region oder ihre Eingliederung in den Südsudan abstimmt. Für die Regionen Süd-Kordofan und Blue Nile im Grenzbereich zwischen Nord und Süd sind “Popular Consultations” vorgesehen, in denen die dortigen Staatsparlamente über deren Zugehörigkeit ihrer jeweiligen Region beraten.

Ein komplexes Friedensabkommen – Umsetzung ungewiss
Das mehr als zwei Jahrzehnte Bürgerkrieg beendende Friedensabkommen von 2005 zwischen der südsudanesischen Befreiungsbewegung (SPLM) und der gesamtsudanesischen Regierung legte fest, dass Südsudan für eine sechsjährige Übergangszeit eine teil-autonome Regionalregierung (Government of Southern Sudan) hat. Das Friedensabkommen regelt die Verteilung der politischen und militärischen Macht in Nord und Süd, der Staatseinkünfte einschließlich der Öleinkommen, Verfahren zur Definition der strittigen Grenzregionen (Abyei, Süd-Kordofan, Blue Nile) u.a.m. Der Erfolg des Friedensabkommens basiert ebenso sehr auf der respektvollen Beziehung der Delegationsführer der sudanesischen Regierung und der SPLA/M trotz diametral verschiedener Politikentwürfe und Verhandlungsziele, wie auf dem Einfluss internationaler Akteure, die an einem Ende des Bürgerkriegs interessiert waren. Die Vision, mit der ihr Sprecher Dr. Garang den Rebellenführern des Südens eine Einigung mit der sudanesischen Zentralregierung akzeptabel machte, bestand in der unmittelbaren Beteiligung der SPLM an der Zentralregierung im Norden und Durchführung von Wahlen mit der Option stärkeren Einflusses für SPLM. Für den Norden wurde das Friedensabkommen akzeptabel, um den lästigen und kostenaufwendigen Krieg zu beenden und durch die Aussicht, dass die Machtbeteiligung des Südens in einem geeinten Gesamtsudan die vom Süden angestrebte Abspaltung verhindern könnte. Das öffentlich verbreitete Kalkül lautete “Making Unity Attractive” – die Einheit mit dem Gesamtsudan für den Süden so positiv zu gestalten, dass die Bevölkerung keinen Anreiz zur Abspaltung mehr sehen würde.

Nach dem Tod Dr. Garangs im Juni 2005 bei einem Flugzeugabsturz, wenige Monate nach dem Friedensschluss, setzte die SPLM den zweiten Kommandierenden der SPLA, Salva Kiir Mayardit, als neuen Präsidenten des Südsudan und damit qua Friedensabkommen gleichzeitig Vizepräsidenten des Gesamtsudan ein. Dass Kiir bei weitem nicht die Popularität Garangs besitzt - weder im Süden noch im Norden -, weit weniger Erfahrung in Sachen ziviler Führung und internationaler Verhandlungen hat und dem Vernehmen nach der Vision Garangs von einem geeinten Gesamtsudan unter Beteiligung der marginalisierten Bevölkerungen im Süden skeptisch gegenübersteht, machte die Umsetzung des Friedensabkommens ungleich schwieriger. Zudem wirkte sich der Krieg in Darfur verheerend auf das Verhältnis zwischen Nord und Süd aus.

Internationale Beobachter staunen deshalb darüber, dass der Frieden trotz vieler, zum Teil bewusst kalkulierten Verzögerungen und Brüche des Abkommes hält, obwohl die labile Zusammenarbeit der Partner des Friedensabkommens mehrfach an den Rand des Kollapses geriet und jegliches Vertrauen zwischen ihnen unterminiert ist.

Nach den Wahlen: Festgefahrene Instabilitäten
Nicht nur die Bevölkerung des Südsudan war mächtig erleichtert über die einigermaßen unschädliche Absolvierung der Wahlen im April 2010, die von Vielen lediglich als unumgängliche Mühsal auf dem Weg zum Referendum gesehen wurde. Internationale Beobachter vermieden alle ernste Kritik an einem von Unregelmäßigkeiten strotzenden Wahlprozess, die zur Provokation eines oder beider Partner des Friedensabkommens hätte führen können. Ein als ‘bad governance’ einzustufender Status Quo ist schließlich immer noch weniger schädlich für die territorialen und ökonomischen (Öl!) Interessen als ein Kollaps des Friedensprozesses und womöglich neuer Krieg im Sudan. Erstaunlich ist, dass Machtkämpfe nach der Wahl, garniert mit Vorwürfen von Wahlbetrug, relativ glimpflich verliefen.

Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass die Einigkeit und Stabilität des Südsudan – in seiner derzeitigen Statur als teilautonome Region – nach wie vor äußerst fragil ist: Nach wie vor kämpfen Überbleibsel der Milizen, die im Bürgerkrieg gelegentlich die Seiten gewechselt hatten, für die Interessen ihrer ethnischen Gruppe und ihr eigenes ökonomisches Überleben, und Abspaltungen der aus Uganda stammenden Lord’s Resistance Army, die nach Überzeugung Vieler im Süden durch die sudanesische Regierung mit Waffen und Geld versorgt werden, marodieren im Südsudan. Tragischer Weise ist es einfach, diese bewaffneten Gruppen (wie dies während des Bürgerkriegs mehrfach im großen Stil passiert war) mittels Geld, Waffen usw. gezielt gegen die Interessen des Südsudan einzusetzen.

Sorgen im Vorfeld des Referendums
Eine große Sorge der Menschen im Südsudan ist, dass die Spannungen zwischen verschiedenen Machtzentren im Südsudan, die momentan durch den Appell zur Einigkeit gegen die Zentralregierung unter der Decke gehalten werden, sich nach einer Sezession in gewaltsamen Kämpfen entladen könnten. Eine andere ist, dass die Regierung des Gesamtsudan das Referendum torpedieren könnte, entweder durch

  • Verzögerung des zur Durchführung des Referendum notwendigen Prozedere,
  • Verweigerung von Ressourcen, die zur logistischen Vorbereitung des Referendums notwendig sind, 
  • massive Beeinflussung der Abstimmung,
  • Nichtanerkennung des Ergebnisses, falls es denn “Sezession” lauten sollte, aus welchen Gründen auch immer.
  • Die gesamtsudanesische Regierung fürchtet
  • Machtverlust im Falle der Abspaltung des Südsudan,
  • Verlust des freien Zugangs zu den Ölvorkommen, die wesentlich im Grenzbereich liegen
  • Einen Dominoeffekt: Andere marginalisierte Regionen, einschließlich Darfur, könnten nach einer Autonomie des Südsudan gleiche Rechte fordern, sich abzuspalten.

Dialogworkshops der Sudanesischen Organisation für Gewaltfreiheit und Entwicklung (SONAD) in Zusammenarbeit mit der britischen Organisation Concordis International bieten ein Forum für den Austausch über Erwartungen der Bevölkerung in den städtischen Zentren des Sudan, - der Hauptstadt Khartoum und der südsudanesischen Hauptstadt Juba – für das Referendum. Dabei interessiert besonders die Perspektive der jeweiligen Minderheiten aus der anderen Region: Im Nordsudan leben, insbesondere in Camps um die Hauptstadt Khartoum herum, um die zwei Millionen Bürgerkriegs-Vertriebene aus dem Südsudan. Diese Vertriebenen würden im Falle der Sezession des Südsudan Angehörige eines fremden Staates. Sie fürchten, dass die Zentralregierung ihren Ärger über die Abspaltung des Südsudan an ihnen auslassen wird, dass die Regierung des Südsudan nicht in der Lage sein wird, sie dagegen zu schützen und zu lange Zeit benötigen wird, sie mit neuen Ausweis-Papieren zu versorgen, so dass sie der staatlichen Willkür der islamisch orientierten Zentralregierung schutzlos ausgeliefert sein werden. Viele fordern, dass im Falle der Sezession eine schnelle und unbürokratische Rückführung der südsudanesischen Vertriebenen in den Süden erfolgen müsse, haben aber die Sorge, dass die südsudanesische Regierung keine ausreichenden Kapazitäten dazu hat, und dass die desolate Situation an ihren Abstammungsorten im Süden in Hinblick auf Nahrungsversorgung, Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen recht bald zu Unruhen dort führen könnte.

Die aus Nordsudan stammenden Geschäftsleute im Südsudan kamen freiwillig, leben inzwischen vielfach seit mehreren Jahrzehnten im Südsudan und haben sich mit der lokalen Bevölkerung vermischt. Sie fragen sich, ob und unter welchen Umständen sie im Falle der Autonomie des Südsudan bleiben können, welche Staatsangehörigkeit sie haben werden und wie mit ihrem Eigentum im Südsudan – einschließlich Land – umgegangen wird, falls sie freiwillig oder gezwungen in den Norden zurückkehren. Die gewaltsamen Ausschreitungen nach dem Tod Garangs gegen die nordsudanesisch-muslimisch-arabische Bevölkerung legitimiert Ängste, dass Ähnliches passieren wird, falls im Südsudan Wut und Ärger über einen unfairen oder manipulierten Verlauf des Referendums oder seines Ergebnisses aufkommen.

Die Situation ist insgesamt angespannt: kleine, unbedeutend erscheinende Dinge können schnell zur Eskalation führen. So musste einer der (südsudanesischen) Moderatoren in einem der Dialogworkshops von SONAD sich sagen lassen, dass seine gelegentliche Rückfrage ‘saba saba?’ an die Teilnehmenden, was so viel heißen soll wie ‘are we together?’ (meint etwa: “könnt Ihr mir folgen?”) als ziemlich unpassend empfunden wurde, weil ‘saba saba’ soviel bedeutet wie “Einheit” und als unterschwelliges Plädoyer für die Einheit des Gesamtsudan interpretiert werden kann.

Zum Weiterlesen:
HBF publication: Sudan – No Easy Ways Ahead (www.boell.de)

Gurtong website (www.gurtong.net)

United States Institute for Peace Brief 42, 28 July 2010, Scenarios for Sudan’s Future Revisited (www.usip.org)

ReliefWeb » Document » Analysis: Post-referendum fears for Southern Sudan: http://www.reliefweb.int/rw/rwb.nsf/db900SID/LSGZ-87JAJV?OpenDocument

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