Das Bundesverfassungsgericht vor dem out-of-area Urteil

von Achim Schmillen
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Für Ende Juni 1994 wird das Urteil des achtköpfigen Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichtes zu den Auslandseinsätzen der Bun­deswehr erwartet. Der 2. Senat unter Vorsitz von Jutta Limbach, die erst Ende März ernannt wurde, wird dann in einer Frage entscheiden, in der es nicht nur um friedenschaffende Maßnahmen der Vereinten Nationen geht, sondern auch um Kriegshandlungen außerhalb des NATO-Gebiets unter Beteiligung der Bundeswehr.

Um eine Prognose über das mögliche Urteil zu wagen, sei nochmals kurz an den Verhandlungsverlauf erinnert. Auf­fällig war, daß Politiker und Juristen auf ganz unterschiedlichen Ebenen spra­chen. Während die Vertreter der Bun­desregierung die Teilnahme der Bun­deswehr an Kampfeinsätzen der Ver­einten Nationen ausschließlich politisch begründeten, überließen sie die Erörte­rung der juristischen Probleme ihren Prozessvertretern. Bundesaußenminister Kinkel bemühte zum wiederholten Male die gewachsene außenpolitische Ver­antwortung des wiedervereinigten Deutschland. Letztlich würde das auch heißen, daß Deutschland bei internatio­nalen Kampfeinsätzen außerhalb des NATO-Gebietes nicht zurückstehen könne. Wieso dieselbe Bundesregierung noch während des Golfkriegs das Grundgesetz völlig anders interpretiert hat und eine Teilnahme deutscher Sol­daten gegenüber den Vereinten Natio­nen ablehnte, konnte er nicht erklären.

Genauso wie es der FDP nicht gelang, die Widersprüche ihrer Position aus­zuräumen. Sie klagt in Karlsruhe dage­gen, daß das Parlament vor der Entsen­dung deutscher Offiziere in die AWACS-Maschinen nicht gefragt wurde. Wenn die FDP die Rechte der Abgeordneten einfordert, warum hat sie dann im Deutschen Bundestag keinen Antrag eingebracht, der die Bundesre­gierung auffordert, eine Beteiligung zu unterlassen, so die Frage des Verfas­sungsrichter Böckenförde. Dieser wies auch daraufhin, daß die FDP zwar in Karlsruhe klagt, aber im Bundestag den Einsatz der deutschen Soldaten in den AWACS-Maschinen ausdrücklich be­grüßt habe. Alle Lacher auf seiner Seite hatte daraufhin der Prozessvertreter der FDP, der entgegnete, die Fraktion sei hier nicht von ihm beraten worden. Deutlich wurde durch diesen Wider­spruch, daß es der FDP gar nicht um die Verhinderung von Auslandskampfein­sätzen der Bundeswehr geht, sondern diese vielmehr durch einen Richter­spruch abgesegnet werden sollen.

Die SPD bezeichnete die Teilnahme der Bundeswehr an den Einsätzen in Rest-Jugoslawien und Somalia als verfas­sungswidrig. Diese Bundeswehreinsätze seien vom Grundgesetz nicht gedeckt. Starke Töne zu Beginn der Verhand­lung. Dann räumte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Anke Fuchs ein, daß sich die weltpolitische Lage geän­dert habe und nun neue Wege beschrit­ten werden müssten. Die Bundesregie­rung hätte die Einsatzbeschlüsse dem Deutschen Bundestag vorlegen müssen. Mit dieser Formulierung wird deutlich, daß auch die SPD Auslandskampfein­sätze der Bundeswehr nicht unbedingt prinzipiell ausschließt.

Den Richtern in Rot waren die Argu­mentationen der Fraktionsvertretern of­fensichtlich zu oberflächlich. Sie ver­suchten die Frage zu klären, ob der Ein­satz in den AWACS-Maschinen zur Überwachung des Flugverbots über Bosnien-Herzegowina oder die Entsen­dung von UN-Truppen nach Somalia überhaupt von der Satzung der Verein­ten Nationen gedeckt sei. So fehlte in Somalia die Zustimmung der Regierung, weil es keine mehr gab. Fraglich war aus Sicht der Verfassungsrichter auch, ob die Flüge der AWACS-Maschinen der NATO zur Überwachung des Flug­verbots über Bosnien-Herzegowina un­ter Verantwortung der UNO stattfinden oder ob sich die NATO nicht vielmehr der Vereinten Nationen als Etikett be­diene.

Desweiteren diskutierten sie darüber, ob die Bundeswehr ohne Verfassungsände­rung an Einsätzen der Vereinten Natio­nen teilnehmen kann. Die Verfassungs­richter verwiesen im Übrigen dann noch auf ein hohes Verfassungsgut, welches im Bonner Parlamentsalltag leider nicht hinreichend gewürdigt und entsprechend genutzt wird. Nach Artikel 87 a steht den Abgeordneten über das Haushalts­recht zu, den Umfang und die Organisa­tion der Streitkräfte zu bestimmen. Auslandskampfeinsätze der Bundeswehr haben zwangsläufig Änderungen in der Organisation und in der Finanzzuwei­sung und -planung zur Folge. Das heißt, daß der Deutsche Bundestag spätestens dann auf jeden Fall beteiligt werden muß.

Meine Prognose lautet:

Das Bundesverfassungsgericht wird den Einsatz der Bundeswehr an Auslands­kampfeinsätzen im Rahmen der Ver­einten Nationen prinizipiell zulassen, allerdings dafür Sorge tragen, daß der Deutsche Bundestag an dieser Einsatz- und Entsendeentscheidung entsprechend beteiligt wird. Alles andere wäre eine dicke Überraschung. Offen bleibt, ob der zweite Senat die Beteiligung des Bundestags als kleine Hürde (einfache Mehrheit) oder als große Hürde (2/3 Mehrheit) begreift.

 

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Achim Schmillen ist Koordinator AK II Außen- und Sicherheitspolitik der Bun­destagsgruppe Bündnis 90/Die Grünen.