Kosovo: Politik des Widerstands

von Shkelzen Maliqi
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Im Kosovo herrscht ein höherer Grad an Unterdrückung und Verletzung der Menschenrechte und Freiheiten als irgendwo anders in Europa, stellten in den letzten Jahren die Berichte vieler internationaler Beob­achtermissionen fest. Die Diskriminierung der albanischen Mehrheit hat sich allmählich zu einem Apartheid-System ausgewachsen. Die SerbIn­nen kontrollieren als privilegierte Minderheit die Exekutive und den Po­lizeiapparat, sie haben im Vergleich zu den AlbanerInnen höhere Ein­kommen und sie verfolgen konsequent eine Politik der Trennung der Nationalitäten. Manchmal werden AlbanerInnen sogar daran gehindert, "serbische" Schulen, Restaurants, Sporthallen und Schwimmbäder zu betreten.

Wegen dieser Situation ist seit nunmehr mehreren Jahren immer wieder davor gewarnt worden, daß im Kosovo ein größerer Konflikt ausbrechen könnte. Man nahm an, daß die AlbanerInnen leicht provoziert werden könnten, zu den Waffen zu greifen und dadurch ein serbisch-albanischer oder ein den ge­samten Balkan umgreifender Krieg ent­stehen könnte. Aber der Krieg brach un­erwarteterweise zuerst in Slowenien aus, und dann in einer schlimmeren Form in Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Obwohl sich die Lage hier im Kosovo nicht verbessert, sondern nur ver­schlimmert hat, hat sich der Krieg noch nicht hierher ausgebreitet. Trotzdem ha­ben die serbischen Machthaber eine große Zahl von Polizeikräften und Ar­mee im Kosovo konzentriert und die lo­kale serbische Bevölkerung mobilisiert und bewaffnet. Immer häufiger kommt es zu bewaffneten Zwischenfällen an der Grenze mit der Republik Albanien und serbische Spezialeinheiten überfal­len oft albanische Siedlungen unter dem Vorwand, daß die AlbanerInnen Waffen verstecken würden.

Spontane gewaltlose Demonstrationen

Von entscheidender Bedeutung für die Bewahrung eines relativen Friedens im Kosovo war die Strategie der Gewalt­freiheit, die von fast allen relevanten politischen Kräften und Bewegungen der Kosovo-AlbanerInnen getragen wurde. Anstatt sich selbst zu bewaffnen und bewaffnete Armeeeinheiten zu schaffen, haben die AlbanerInnen ge­waltfreie und politische Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele gewählt. An­stelle einer Politik der Eskalation und Reaktion auf bewaffnete Provokation, haben sie versucht, Wege zu finden, die Spannungen zu reduzieren und Kon­flikte zu vermeiden. Die AlbanerInnen sind zu der Idee der Gewaltfreiheit nicht durch gutüberlegte und vorgeplante strategische Analysen gekommen. die Idee hat sich eher wie ein Mosaik aus vielen pragmatischen politischen Ent­scheidungen über einen langen Zeitraum hinausgebildet. Seit 1988/89, wo die AlbanerInnen Großdemonstrationen mit dem Ziel organisiert hatten, die frühere Autonomie Kosovos zu verteidigen, ha­ben sie zwei unterschiedliche Modelle des Massenwiderstandes ausprobiert:

Das erste dieser Modelle führte zu dem 40 km-Marsch der Minenarbeiter aus Trepca von Kosovska Mitrovica nach Pristina im November 1988. Viele an­dere Märsche folgten diesem ersten, an denen Hunderttausende teilnahmen. In jener Zeit wurden in Serbien militante Versammlungen organisiert, auf denen die AlbanerInnen als ein grobes, primi­tives und aggressives Volk beschrieben wurden. Wegen dieser Bilder zeigten die Minenarbeit von Trepca einen diszi­plinierten Willen und strengten sich an, ein anderes Gesicht der AlbanerInnen, ein Bild als ein zivilisiertes Volk zu prä­sentieren, das klare nationale und politi­sche Ziele verfolgt. Vom 20.-28. Fe­bruar 1989 organisierten Minenarbeiter von Trepca auch einen Streik im Berg­werk, der einen Generalstreik aller Al­banerInnen im Kosovo auslöste. Die MinenarbeiterInnen wurden mit einem Trick dazu gebracht, den Streik abzu­brechen, woraufhin dann das Notstands­recht verhängt wurde. Kurz danach wurde die Autonomie des Kosovo ge­waltsam beendet.

Das zweite Modell des Massenwider­standes bestand in den spontanen De­monstrationen, die während der kriti­schen Tage niedergeschlagen wurden, als die Annexion des Kosovo in der neuen serbischen Verfassung legalisiert wurde. Zuerst gab es eine Reihe von Demonstrationen von jungen Leuten, die durch die Anklagen gegen die Gruppe Minenarbeiter von Trepca und Azem Valsi im Winter 1990 ausgelöst worden waren. Diese kulminierten in einer Demonstration Ende Januar 1990, kurz nach dem Zusammenbruch der re­gierenden Jugoslawischen Kommunisti­schen Union. Diese spontanen Demon­strationen, die von der Polizei brutal unterdrückt wurden, kosteten viele Op­fer und schufen eine enorme Spannung, die leicht einen allgemeinen Aufstand und den Wunsch nach Rache hätten auslösen können.

Entwicklung einer gewaltfreien Stra­tegie

Zu einer überlegten Strategie der Ge­waltfreiheit wurde übergegangen, als die AlbanerInnen zwischen Dezember 1988 und Februar 1990 ihre ersten politischen Parteien ins Leben riefen. Die Gründung dieser Parteien ließ hoffen, daß durch freie Wahlen, ein Mehrparteiensystem und einer Demokratisierung des Kosovo ein Ausweg aus der Sackgasse gefunden werden könnte. Februar 1990, während der Zeit der größten Polizeigewalt, un­terzeichneten rund 400.000 BürgerInnen des Kosovo eine öffentliche Petition mit der Überschrift "Für Demokratie - ge­gen Gewalt". Führer der politischen Parteien, besonders Dr. Ibrahim Ru­gova, Präsident der größten Partei, der Demokratischen Allianz, gewannen den Respekt und die Autorität, legitime Re­präsentanten der Mehrheit der Bürge­rInnen des Kosovo zu sein. Heute haben sie den Status von vertrauenswürdigen nationalen Führern. Obwohl alle diese neuen Parteien und Führer anfänglich politisch unerfahren waren und sich ei­ner Reihe organisatorischer Probleme gegenübersahen, gelang es ihnen, ein politisches Zentrum oder, genauer eine Struktur der Entscheidungsfindung zu schaffen, die das große Risiko spontaner Reaktion auf bewaffnete Provokationen ausgeschlossen hat.

Die letzte diese Provokationen geschah im März 1990, als 7.000 albanische SchülerInnen vergiftet wurden. (Die Ur­sachen der Vergiftung konnten nicht festgestellt werden, da die Polizei die Untersuchung unterbrach und verhin­derte, daß Beweise zur rechten Zeit ge­sammelt wurden; die Staatskommission konnte nicht leugnen, daß Vergiftungs­symptome vorlagen, führte den Vorfall auf politischen Druck Serbiens hin aber auf "Massenhysterie" zurück.) In eini­gen Städten versuchte der wütende Mob, "verdächtige" Serben zu lynchen, wurde daran aber durch das Angreifen von AktivistInnen politischer Organisa­tionen, besonders des Jugendparlaments des Kosovo gehindert.

Aus Angst vor neuen Polizeimassakern und öffentlichen Rufen nach Rache ha­ben die politischen Führer allmählich alle Form riskanter öffentlicher Demon­strationen reduziert oder aufgegeben, be­sonders seit der Krieg in Kroatien und Bosnien-Herzegowina ausgebrochen ist. Als die Krise zum Krieg eskalierte, warteten sie passiv und vermieden jede direkte Einmischung in den Konflikt. Das heißt allerdings nicht, daß sie auf politischer Ebene nur defensive Mittel einsetzten. Im Gegenteil, die politischen Forderungen sind unter diesen Umstän­den immer radikaler geworden. Eine große Mehrheit der ParlamentarierInnen des Parlements im Kosovo, das gewalt­sam aufgelöst worden war, trafen sich heimlich im September 1990 in Kacanik und riefen die Republik Kosovo aus. Ende September 1991 wurde eine Volksabstimmung abgehalten, in der 87 % der Wahlberechtigten für die Grün­dung einer unabhängigen Republik Ko­sovo stimmten. Am 24. Mai 1992 wur­den Wahlen für ein Mehrparteien-Par­lament der Republik Kosovo organisiert. Die wiederhergestellte Regierung des Kosovo, die die legale Nachfolgerin der Egierung ist, die im Juli 1990 aufgelöst wurde, arbeitet jetzt vom Exil aus.

Schaffung paralleler Institutionen

Diese politische Konfrontation hat das serbische Regime dazu gezwungen, die drastischsten Maßnahmen zu anzuwen­den, um die unbeugsamen AlbanerInnen zu disziplinieren. Es begann eine Welle von Massenentlassungen von Albane­rInnen (rund 115.000 oder 70 % aller Angestellten), gefolgt von der Schlie­ßung von Schulen und Universitäten, Gleichschaltung der Medien, Ein­schränkung kultureller Rechte usw. Die Albanerinnen haben auf diese drasti­schen Maßnahmen mit kalter Verach­tung reagiert und, wenn möglich, paral­lele Institutionen und Unterhaltsmög­lichkeiten aufgebaut. Als die Schulen und Universitäten geschlossen wurden, organisierten AlbanerInnen ein freiwil­liges und eigenfinanziertes Erziehungs­system, das von Privathäusern aus be­trieben wird.

Unabhängige Gewerkschaften im Ko­sovo, einige humanitäre Organisationen und politischen Parteien haben die Ver­antwortung für die Sorge entlassener weiblicher Arbeiter übernommen. Sie haben Fonds und Instrumente der Soli­darität geschaffen. Viel Unterstützung kam von AlbanerInnen, die in Europa, Amerika und Australien arbeiten; einige Mittel wurden auch von AlbanerInnen in Makedonien und anderen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens besorgt. Wer noch Geld verdient im Kosovo, haupt­sächlich private Handwerker und Klein­bauern, gibt 3 % seines monatlichen Einkommens an den nationalen Fond. Dieser gleiche Fond existiert in Europa und ist unter Kontrolle der Exilregie­rung.

Dieser hohe Grad an Selbstorganisation und Solidarität hat verhindert, daß die Sozialstruktur zerbrach, die für den ge­waltfreien Widerstand der AlbanerInnen so wichtig ist. Trotzdem hat es in den letzten zwei Jahren eine wachsende Zahl von AlbanerInnen gegeben, die nach Europa emigriert sind. Junge Albaner flüchten aus dem Kosovo, um den Mi­litärdienst zu vermeiden. Viele albani­sche Familien und Einzelperonen bean­tragen im Ausland Asyl oder eine vor­übergehende Aufenthaltserlaubnis. Es wird geschätzt, daß ca. 20 % der Alba­nerInnen den Kosovo verlassen haben. Diese Emigranten sparen und schicken von ihren geringen Löhnen wertvolle Hilfe an ihre Verwandte und die Wider­standsbewegung des Kosovo.

Es gibt auch einen "parallelen" Markt im Kosovo, der mit fremder Währung und knapp werdenden Gütern und Le­bensmitteln handelt. Agrarprodukte aus Makedonien, die früher in Kroatien und Slowenien verkauft wurden, werden jetzt zu niedrigeren Preisen im Kosovo angeboten. 1991, während eines poli­tisch kritischen Winters, importierten private albanische HändlerInnen Bana­nen im großen Stil und verkauften sie unter dem Marktpreis. Anstelle teuren Brotes und anderer Lebensmittel aßen viele Familien einfach Bananen.

Gibt es Chancen für eine politische Lösung?

Zu einem gewissen Grad hat die Arbeit des "Kosovo-Komitees für den Schutz von Menschenrechten und Freiheit" und das Kosovo-Komitee der "Helsinki-Fö­deration für Menschenrechte" dabei ge­holfen, Repression einzudämmen. Sie haben Informationen gesammelt, Be­richte über alle Arten von Menschen­rechtsverletzungen ausgesendet und mit zahlreichen ausländischen Delegationen gesprochen, die den Kosovo besucht ha­ben. Mit der Hilfe dieser Organisationen hat eine Anzahl anderer ziviler Initiati­ven Friedensdemonstrationen gegen den Krieg organisiert. Zusammen mit Men­schen guten Willens in Serbien haben sie auch die "Friedenskarawane" der Helsinki-BürgerInnenversammlung or­ganisiert, die das erste Hoffnungszei­chen für eine serbisch-albanische Ent­spannung war.

Die Intensität des politischen Lebens setzt sich trotz der schwierigen Um­stände fort. Politische Versammlungen werden abgehalten, halblegale und ille­gale Publikationen gedruckt und all­mählich entsteht ein genuiner Pluralis­mus auf Basis unterschiedlicher Interes­sen. Fünf albanische politische Parteien, die alle in den Wahlen im Mai 1992 Sitze im Parlament gewonnen hatten, haben ein Koordinierungskomitee ge­gründet: Die Demokratische Allianz (96 Sitze), die Parlamentarische Partei (13), die Bauernpartei (7), die Sozialdemo­kraten (1) und die Christlichen Demo­kraten (7). Neben dieser Gruppe hat die Partei der Demokratischen Aktion (ethnische Moslems aus dem Kosovo) 5 Sitze und Vertreter der türkischen Min­derheit 2. Dreizehn Sitze wurden für SerbInnen und MontenegrinerInnen re­serviert, die sich an den Wahlen nicht beteiligten.

Wie auch immer - diese parallele alba­nische Verwaltung testet die Grenzen der Toleranz des serbischen Regimes. Es gibt Zeichen, daß Serbien versuchen wird, seine politische Kontrolle über die Region zu intensivieren und vielleicht sogar die politischen Parteien der Alba­nerInnen zu verbieten. Solch eine Maß­nahme würde bedeuten, daß Serbien alle möglichen Brücken für eine politische Lösung der Krise zerstören würde und daß Serbien entschlossen ist, aus­schließliche militärische Kontrolle über den Kosovo auszuüben. Solche Schritte, besonders falls die internationale Ge­meinschaft die volle serbische Kontrolle über den Kosovo anerkennen sollte, würde zu dem vollständigen oder teil­weisen Versagen der gegenwärtigen Strategie des gewaltlosen Widerstandes führen.

 

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Shkelzen Maliqi ist Gründer der Sozialdemokratischen Partei des Kosovo.