Lissy Schmidt (Journalistin)

Redebeträge der Auftaktekundgebungen: Nord (Josfshöhe)

von Lissy Schmidt

Millionen von Menschen strömen in das Land, so weit das Auge blicken kann, nimmt der Flüchtlingsstrom kein Ende: Frauen mit Kindern auf dem Arm, alte Menschen, die kaum noch gehen können, alle versuchen die rettende Grenze zu er­reichen ...

Eine Vision aus dem Jahre 1995? Sind das Flüchtlinge die un­ser Boot endgültig voll werden lassen? Die Welle, die uns überfluten wird? Nein! Die sogenannte Flüchtlingswelle von der ich spreche hat schon stattgefunden: 1988 an der türkisch/ irakischen und iranischen Grenze und wieder 1991 an den gleichen Stellen ... Millionen von Kurden flohen damals vor den Vernichtungsangriffen Saddam Husseins, die Waffen, mit denen diese Angriffe durchgeführt wurden, kamen zu einem großen Teil aus der Bundesrepublik - die Flüchtlinge blieben zu einem großem Teil in der Türkei und im Iran.

Im Verlauf des vergangenen Jahres habe ich viele dieser kur­dischen Flüchtlinge aus dem Irak wiedergetroffen. Nachdem irakisch Kurdistan völkerrechtlich nicht anerkannt war ?...

Wieder ein Jahr später ist die Euphorie verflogen. Die ge­wählte kurdische Regierung ist nicht anerkannt, das Land un­terliegt immer noch dem UNO Embargo gegen Saddam Hu­ssein, die Menschen haben weder Brennstoff, noch Benzin noch Lebensmittel und warten darauf, daß ihre Kinder im Winter verhungern. "Warum erkennt uns die Bundesrepublik nicht an, warum gibt es keine Wiederaufbauhilfe für die Re­gionen, die mit deutschem Giftgas zerstört werden?" wird immer wieder gefragt und dann - als Ausdruck völliger Hoff­nungslosigkeit: Nimm mich mit nach Deutschland!"

Aber Deutschland ist weit, der Weg dorthin teuer und nur die allerwenigsten kommen an, die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung bleibt wo sie ist und wartet auf Unterstützung aus Europa - also auf ein Wunder!!!

Soviel zum Verhältnis deutscher Mitverantwortung an den Fluchtursachen und der die BRD ach so schrecklich bedro­hende Flüchtlingsflut.

Natürlich kann und soll die BRD nicht die gesamte Be­völkerung Kurdistans oder anderer Länder in ähnlicher Position aufnehmen. Aber wenn über die Angemessenheit des Art. 16 oder über unsere Parole "Grenzen auf für alle" disku­tieren, dann muß hier erstmal die Perspektive dieser Diskus­sion zu­rechtgerückt werden: natürlich müssen unsere Grenzen auf sein - aber die Leute müssen dann gar nicht mehr kommen wollen oder müssen nicht mehr gezwungen sein, hierher zu kommen. Vor der Perspektive wollen wir anfangen über Asyl und Asylrecht zu diskutieren.

Unsere Medien tun das nicht! Immer wieder werden Berichte von der Situation über die Herkunftsländer fein säuberlich von den getrennt, was denn die vielen Flüchtlinge hier ma­chen. Aus guten Grund. Die, die die Flüchtlingswellen wirk­lich verursachen, wollen nicht offenlegen, daß sie es sind, die durch ihre Waffenexporte, durch ihre Wirtschaftspolitik die Menschen hierher schicken. Ich möchte das jetzt nur an einem konkreten Beispiel klarmachen, weil die ganze Geschichte für einen Beitrag zu komplex ist.

Neben dem viel zitierten Art. 16 gibt es noch einen Artikel im GG, der auch mit Fluchtursachen zu tun hat. Es ist der Art. 26/2 und der lautet: "Zur Kriegsführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung hergestellt und in den Verkehr gebracht werden." Auch um diesen Artikel gibt es eine Dis­kussion. Es gibt auch Menschen und Gruppen, die eine Ände­rung dieses Artikels fordern. Aber die werden nicht in den Medien zitiert, von dieser Diskussion weiß fast niemand. Das sind Gruppen wie z.B. amnesty international oder die Kampa­gne gegen Rüstungsexporte, die fordern das alle Waffenkäufe, das alle Dienstleistungs- und Strukturmaßnahmen sofern ihre zivile Nutzung nicht bewiesen wird, ersatzlos verboten wer­den. Wenn dieser Artikel geändert wird, dann wären wir schon einen Schritt weiter.

Zum konkreten Beispiel. 1991 war die Bundesrepublik der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Der NATO-Partner Türkei der sechsgrößte Impoteur. Mit 1 1/2 Mrd.DM liefert die BRD die meisten all ihrer Waffen in die Türkei. Aus der Türkei kommt auch ein hoher Anteil der Flüchtlinge, die 1991 hier in die BRD eingereist sind. In türkisch Kurdistan wird ein brutaler Krieg gegen die kurdische Guerilla und die Zivilbe­völkerung geführt. Deutsche Panzer und Kalaschnikows aus Restbeständen der NVA sind bei diesem Krieg dabei. Das ha­ben ich und viele Kollegen in Kurdistan mehrmals beobachten können. Die Zahl der zivilen Todesopfer, die dieser Krieg al­lein nur in diesem Jahr gefordert hat, ist schon fünfstellig und kann nicht genau ermittelt werden. Müsste man dann langsam die Herrschaften von der Bundesregierung an den 2. August 1990 erinnern, als sie auf einmal erschüttert waren, was ihr diskreter Kunde Saddam Hussein mit den Waffen, die ihm doch nur zum Felder düngen überlassen wurden, gemacht hat? Oder müsste man sie dann daran erinnern, wie sie damals von einer Revidierung der Rüstungsexportbestimmung gesprochen haben, weil ja Saddam Hussein die ihm gelieferten Waffen so grausam eingesetzt hat? Aber nein, in Bonn ist man darüber nicht besorgt, denn im Fall des NATO-Partners Türkei liegt es anders. Den kann man ganz anders auf die Finger schauen, heißt das und außerdem hat es ja schon mal einen Waffenstopp gegeben. Den hat's gegeben vor ungefähr einem Monat. Und jetzt vor ungefähr zwei Wochen war Volker Rühe in Ankara und erklärte, der Bürgerkrieg könnte ja ruhig weitergehen, aber bitte doch nicht mit deutschen Panzern vor deutschen Journalisten, das ist zu peinlich. Und die Türkei wird ihm den Gefallen tun, indem sie die deutschen Panzer weiter in den Krieg schickt, aber die deutschen Journalisten ausweist und so ist allen gedient.

Ich möchte auch nicht mit der Diskussion um die paar ausge­musterten NVA-Panzern stehen bleiben. Die BRD ist seit über 10 Jahren für die militärische Aufpäppelung der gesamten Türkei zuständig und hat die Voraussetzungen für den Bür­gerkrieg der heute tobt, überhaupt erst geschaffen.

Ergänzend zu dem Art. 26/2 gibt es seit dieser erschütternden Vorgänge in diesem Frühjahr eine "Länderliste H" des Wirt­schaftsministeriums. Auf dieser Länderliste stehen Länder, an die wegen innerer Unruhen keine Waffen geliefert werden dürfen. Im März waren es noch 54 und jetzt sind es 34 und die Türkei steht natürlich nicht drauf. Denn als NATO-Partner oder z.B. auch Indonesien als Partner eines befreundeten Mi­litärpaktes, kommen sie gar nicht in Frage für so eine Liste. Und da haben wir jetzt den Beweis, wie eine Länderliste im Bezug auf Asyl aussehen würde. Die Länder die heute schon nicht auf der existierenden "Länderliste H" stehen, die werden auch nie auf einer - noch gar nicht existierenden - Asylliste stehen. Ein Land das Zivilbevölkerung skrupellos ermordet, daß im Moment widerrechtlich das Territorium eines anderen Landes besetzt hält, wie es die türkische Armee in Südkurdi­stan, im Irak tut, das muß nicht auf diese Länderliste ge­schrieben werden, und die Menschen von dort haben wahr­scheinlich auch keinen Grund zu fliehen.

Und vor diesem Hintergrund, von dem ich nur an ganz klei­nen Teil ansprechen konnte, ist jegliche Debatte um den Art. 16 eine schlichte Unverschämtheit. Was diskutiert werden muß sind ganz andere Sachen. Ich möchte hier verschiedene Forde­rungen aufgreifen, vor allen Dingen Forderungen von Freun­den, die aus diesen Ländern kommen und die auf dieser Kundgebung unwahrscheinlich schwach vertreten sind, z.B. von einem Vertreter des südkurdischen Parlaments aus der Partei der Werktätigen, der fordert, daß Deutschland nicht humanitäre Wiederaufbauhilfe sondern Reparationenzahlun­gen an die Kurden im Irak liefern soll. Und ich möchte die Forderung der Kurdistan-Solidarität und der PKK aufgreifen, sämtliche Waffen und sämtliche militärischen Lieferungen, sämtliche Wirtschaftshilfe für die Türkei sofort zu stoppen. Nicht nur für die Türkei!

 

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Lissy Schmidt ist Journalistin.