BoA-Kooperative auf dem Kirchentag

von Siggi Brodrecht

In Halle 7 fiel ein 20 m langes Transparent ins Auge: „Bundesrepublik ohne Armee - Keine Frau, keinen Mann, keinen Pfennig für Rüstung und Militör!“ Für die Dauer des 24. Deutschen Evangelischen Kirchentages hatten aktive Menschen aus BSV, DFG/VK, IDK, Netzwerk Friedenskooperative, Steuerboykottinitiative, Versöhnungsbund und den Spätver­weigerern aus München zur „Kooperative Bundesrepublik ohne Armee“ zusammengeschlossen. Im „Caf‚ Deserteur“ und an den Ständen disku­tier­ten Soldaten mit jungen KirchentagsbesucherInnen, in der großen Waage „Pro und Contra Desertion“ sorgten die in die Waagschale ge­worfenen Meinungsbälle meist für eine deutliche Pro-Neigung. Ziel der gemeinsamen Aktionen war auch, auf die Gefahren künftiger „out-of-area“-Einsätze und Eingreiftruppen der Bundeswehr hinzuweisen.

Der „Markt der Möglichkeiten“ war in Essen, während in Bochum und Dort­mund die Promi- und Großveranstaltun­gen stattfanden. Diese Ausdehnung des Kirchentages auf drei Städte wurde zwar im Nachhinein oft kritisiert, es sei der „Kirchentag der weiten Wege“ gewesen, für den Markt der Möglichkeiten schien es mir eher günstig. Es war viel Platz und weniger Gedränge. Die Leute hatten sich offensichtlich einen ganzen Tag Zeit für Essen reserviert und brachten demzufolge genügend Zeit mit.

Weil wir uns von einer Aktion zu unse­ren Themen vor der offiziellen Eröff­nung des Kirchentages Öffentlichkeits­wirkung versprachen, schlossen wir am Mittwochmorgen das Kreiswehrersatz­amt in der Essener Innenstadt. Vier Leute ketteten sich an die Eingangstür und wir boten eine „Alternative Muste­rung“ an, zu der u.a. für die angehenden Soldaten ein Probeliegen in den mitge­brachten Pappsärgen gehörte. Leider war der Publikumsverkehr wie auch das Medienecho eher gering. Stärkeres Inter­esse zeigte ein Beamter des politischen Kommissariats. Bis zum Mittag durften wir die Aktion unter Polizeischutz fort­führen, ohne daß Personalien festgestellt wurden.

Innerhalb des Kirchentags setzten wir unsere Aktionen am Freitag mit einem Leichenzug mit einem fürchterlich zu­gerichteten Soldaten im Sarg fort, zogen damit zur Militärseelsorge, die einige Gänge weiter einen Stand hatte, und baten um den letzten Segen für unseren bei der Schnellen Eingreiftruppe gefal­lenen Kameraden. Da sich kein echter Militärpfarrer dazu bereitfand, mußte der Notpfarrer aus unserem Leichenzug zur Tat schreiten. Während die Markt­leitung (Stichwort repressive Toleranz) sehr besorgt war, daß unser auf ca. 150 Menschen angewachsene Zug den Militärseelsorgestand wieder freimachte, drohte später einer der Militärpfarrer mit einer Beschwerde bei der Kirchen­tagsleitung wegen Blasphemie.

Unsere Aktion „Militärseelendsorgung“ mitsamt Leichenzug setzten wir mittags bei großem Publikumsinteresse in einer von den Ost-Pfarrern veranstalteten Po­diumsdiskussion zum Militärseelsorge­vertrag in der sog. „Halle der Umar­mung“ fort, die für Veranstaltungen mit Ex-DDRlern reserviert war. Bei diesen galt die in der Vereinigungseuphorie ausgedachte Räumlichkeit allerdings all­gemein als „Halle der Erdrückung“.

Die Ostkirche weigert sich bisher stand­haft, den BRD-Militärseelsorgevertrag zu übernehmen. Ein in der Veranstal­tung verabschiedeter Protestbrief an Stoltenberg wurde später von der Kirchentagsleitung „aus formalen Gründen“ nicht anerkannt. Unser Leichenzug zog feierlich in die Halle ein, wir stellten den Sarg in die Mitte und unser Plakat „Für einen militärfreien Kirchentag“ aufs Podium. Mani vom Netzwerk hielt eine kurze Rede und die Teilnehmer am Podium bemühten sich so zu tun, als ob sie es nicht störe.

Keine Grundgesetzänderung für den Einsatz der Bundeswehr in aller Welt

Auf dem Markt der Möglichkeiten des 24. Deutschen Evangelischen Kirchentags wurde folgende Reso­lu­tion der „Kooperation Bundesre­pu­blik ohne Armee“ mit mehr als 5.000 Unterschriften angenommen:

An die Bundesregierung und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages

Wir warnen dringend vor jeder Er­weiterung der Bundeswehr-Ein­sätze. Eine Änderung des Grundgesetzes, um den Einsatz der Bundes­wehr auch außerhalb des NATO-Gebietes zu ermöglichen, führt deut­sche Sol­daten bei künftigen Konflikten in Kriege. Wir wenden uns auch gegen einen Einsatz der Bundeswehr als UN-Blauhelme. Politisch, juri­stisch und praktisch gibt es keine sichere Trennwand zwischen den UN-Blau­helm-Einsätzen und angeblich frie­densbildenden Offensivmaßnah­men, wie z.B. dem verheerenden Golf­krieg. Spätestens nach Verwirkli­chung der Regierungspläne zur Ent­sendung deutscher Soldaten in alle Welt ist der Dienst in der Bundes­wehr nicht mehr mit christlich-ethi­schen Grundsätzen vereinbar. Wir fordern dazu auf, alle Kriegsdienste zu verweigern. Deutschland darf den Ländern des Südens jetzt nicht mit Schnellen Eingreiftruppen drohen, sondern muß ihnen mit politischer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit begegnen.

Wir appellieren deshalb an alle Ab­geordneten des Deutschen Bun­des­tages, jede Grundgesetzänderung und jede Erweiterung des Einsatzge­bietes der Bundeswehr ohne Wenn und Aber abzulehnen.

Diese Aktion wurde übrigens in der Be­richterstattung der ARD angemessen be­rücksichtigt. Ansonsten wurde in den Medien nur über die Großveranstaltun­gen berichtet, die insgesamt ohne Span­nung abliefen, wie dem Kirchentag ins­gesamt ein bewegendes Thema fehlte und Konflikte nicht wirklich ausgetra­gen wurden. Die für uns schwer erträg­liche „Friede, Freude, Eierkuchen“-At­mosphäre spielte bei unseren Beratun­gen im Plenum der BoA-Kooperative ei­ne große Rolle. Schließlich strengten wir uns für den Rest der Zeit an, ausrei­chend Unterschriften (nötig 3.000) unter unsere Kirchentagsresolution gegen je­de Erweiterung der Einsatzmöglich­keiten der Bundeswehr zu sammeln. Ich habe mir also am Samstag ein Sandwich mit dem Text der Resolution im Groß­format umgehängt und mich mit der Unter­schriftenliste unters Volk ge­mischt. Da­bei fiel mir auf, daß Men­schen älterer Semester ohne Zögern un­terschrieben, während viele 20jährige vom Friedens­auftrag der BW überzeugt sind. Sie glauben an die gute Absicht der Regie­renden, die UNO finden sie großartig und unsere Demokratie muß verteidigt werden .... Schließlich lief ich einer „Blockwartin“ (Marktbereichsleit­ung) über den Weg, die mich belehrte, daß Unterschriften nur am Stand gesammelt werden dürf­ten. Ich entschuldigte mich untertänigst und trollte mich, um zu ver­hindern, daá die Resolution wegen re­gelwidriger Sammlung abgelehnt wür­de. Immerhin hatten wir am Abend ber 5.000 erreicht und damit wurde unsere Resolution of­fiziell. Auch hier hatte die Zusam­menarbeit mit befreundeten Gruppen gut geklappt.

Überhaupt habe ich die gute Zusam­men­arbeit der Gruppen in unserer antimilita­ristischen Ecke als erfreulichsten Ein­druck mit nach Hause genommen. Das Netzwerk hatte ein komplettes Büro mit Fax, Computer und Kopierer mitge­bracht, was sehr hilfreich war bzgl. Flugblätter und Pressearbeit. Ich denke, für diesmal war es richtig, daß wir uns alle zur Teilnahme am Kirchentag auf­gerafft haben.

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