Proteste von Ländern, Gewerkschaften und Organisationen ignoriert

Neue Notstands-Befugnisse und Kriegsdienstpflichten im Hauruckverfahren?

von Christian Busold

Am 21. Juni 1989 beriet der Bundestag in erster Lesung den von der Bundes­regierung eingebrachten Gesetzesentwurf mit dem verharmlosenden Titel "Katastrophenschutz-Ergänzungsgesetz". Tatsächlich handelt es sich um eine neuen Anlauf bei dem nun fast zehnjährigen Bemühen, folgende zusätzliche Notstands-Befugnisse zu installieren:

  • eine allgemeine Hilfsdienstpflicht für Männer und Frauen (nicht erst) im Krieg;
  • eine Meldepflicht für (auch ehemals) im Gesundheitswesen Beschäftigte sowie organisatorische Vorberei­tungspflichten von Gesundheitseinrichtungen für den Krieg;
  • für Kriegszwecke sollen BeamtInnen kaserniert werden, länger dienen und ggf. aus dem Ruhestand zu­rückgerufen werden können (was nach Auffassung des DGB die Ta­rifautonomie und Arbeitskampfga­rantie "faktisch außer Kraft" setzen würde).

Mit Elan der Verabschiedung entge­gen?
Während die entsprechenden Vorgän­ger-Entwürfe in den vergangenen Jah­ren aufgrund massiver Proteste insbe­sondere von Gewerkschaften, MedizinerInnen und der Friedensbewegung durchweg nicht über die Ministerial­ebene hinaus gelangten, treibt die Re­gierungskoalition die aktuelle Vorlage nunmehr erstmals mit viel Elan der parlamentarischen Verabschiedung entgegen. Dies, obwohl der Wider­stand dagegen sich zum Teil eher noch verbreitert hat:

  • die oben genannten zentralen Rege­lungen der aktuellen Vorlage wer­den nunmehr von allen Bundeslän­dern einhellig abgelehnt! (Erst als die Bundesregierung bei einem x-ten Befriedigungsversuch im Herbst letzten Jahres diese Punkte wg. zentraler Gesamtverteidigungs-Er­fordernissen für politisch nicht mehr verhandelbar erklärte, be­schränkten sich zumindest die CDU-Länder im formalen Bundes­rats-Votum auf zahlreiche Detail-Einwände außerhalb dessen.)
  • Der ÖTV- Bundesvorstand hat be­reits, der DGB-Bundesvorstand wird in diesen Tagen die früheren grundsätzlich ablehnenden Stel­lungsnahmen aktualisieren und be­kräftigen; der Deutsche Beamten­bund lehnt zumindest die Melde­pflicht ab.
  • Die Landesärztekammer Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Hamburg und der Vorstand der Landesärztekammer Berlin haben sich kürzlich prinzipiell gegen das Vorhaben ausgesprochen; die Ärz­tevereinigung IPPNW (Internatio­nale Ärzte gegen den Atomkrieg), zahlreiche MedizinerInnen-Initiati­ven sowie der Berufsverband für Krankenpfleger haben bereits seit längerer Zeit ihre Einwände ange­meldet.
  • Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat weitgehende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit gelten gemacht; der Bundesrechungshof fordert oh­nehin seit geraumer Zeit eine grundsätzliche Umorganisation und Streichungen im Bereich Zivil­schutz.

Anhörung unter Ausschaltung von Kritikern
All diese Einwände drohen jedoch über den Haufen gerannt zu werden, da der zunehmend erkannten Bedeu­tung der Zivilverteidigung für eine ef­fektive Gesamtverteidigungsfähigkeit nun endlich durch weitere legislative, administrative und finanzielle Stär­kung dieses Bereichs Rechnung getra­gen werden soll.

Neben der Regierungskoalition spielt leider auch die SPD eine besonders traurige Rolle dabei. Mit dem Zivil­schutz grundsätzlich ablehnenden Nürnberger Bundesparteitagsbeschluß vom 1986 im Rücken, wird heute wie­der munter der zwecks Akzeptanz-Förderung herrschenden systemati­schen Vermischung von Kriegs-dienli­cher Zivilverteidigung und friedens­mäßigem Katastrophenschutz das Wort geredet. Erst energischer Druck von außen konnte die GenossInnen überhaupt dazu bewegen, ihren ur­sprünglichen Widerstand dagegen auf­zuheben, das skandalöse Vorhaben wenigstens noch einmal in einer öf­fentlichen Anhörung des Bundestags zu erörtern. Auf ein winziges Restpro­gramm unter möglicher Ausschaltung von KritikerInnen reduziert, fand diese Anhörung am 6. Oktober einen kurzen Vormittag lang statt.

 

Proteste wirkungsvoller als vermutet
Weil wirkungsvoller als gemeinhin vorgestellt, sollten für die derzeit lau­fenden Beratungen massenhaft schriftliche Proteste von Individuen und Organisationen gegen diesen Ge­setzesentwurf an die zuständigen PolitikerInnen geschickt werden! Und zwar jeweils per Adresse Bundeshaus, 5300 Bonn 1, entweder an die Vorsit­zenden der beteiligten Ausschüsse

  • Innen (Herr Bernraht),
  • Recht (Herr Helmrich)
  • Haushalt (Herr Walther),
  • Arbeit und Sozialordnung (Herr Egert),
  • Verteidigung (Herr Biehle),
  • Gesundheit (Frau Dr. Wilms-Kegel)

mit der Bitte um Verteilung an je einen Fraktionsvertreter ("Obleute" und/oder an die maßgeblichen "Be­richterstatter" im federführenden Innenausschuß Dr. Nöbel (SPD), Herr Kalisch (CDU), Dr. Hirsch (FDP) Such (Grüne) oder direkt an die Mit­glieder dieser Ausschüsse.

 

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Christian Busold ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsfraktion der Grünen.