Psychologische Aspekte

Popkultur und Revolution

von Georg Adelmann
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Popkultur im Rahmen dieses Textes bezieht sich auf gesellschaftlich weit verbreitete Angebotsquellen für Metaphern und Narrative wie Werbung, Musiktexte, Bücher, Religion und Kunst. Ich werde die Grundlagen meiner Reflexion einführen sowie anhand von ein paar Mini-Beispielen den möglichen Einfluss auf Identität in Hinblick auf Unterwerfung und Revolution andeuten.

Zur Illustration zunächst ein paar Beispiele für Metaphern aus verschiedenen Popkultur-Teilen, die ich am Ende wieder aufgreife. Katholisch: „Mensch trägt Ursünde in sich“; Lady Gaga: „Individualität ist ein Schatz“; Bundeswehr „Wir dienen Deutschland“; Werbung: „Aussehen ist Identität“.

Die Narrative Psychologie hat sich ausführlich mit Metaphern und ihren Einflüssen beschäftigt. Lakoff & Johnson (2003) beschreiben, dass zunächst primitive Metaphern wie „Zuneigung ist Wärme” aus Alltagserfahrungen gebildet würden – im Fall dieser Metapher z.B. aus frühesten Bindungserfahrungen, in denen Zuneigung durch körperliche Nähe und damit Wärme erfahren wurde (ib., S. 255). Das Beispiel dürfte auch klarmachen, dass Metaphern nicht nur kognitive, sondern auch emotionale Erfahrungen kommunizieren. Auf der Verhaltensebene wirken sie sich ebenfalls aus: Die Metapher „Zuneigung ist Wärme“ führt zum Beispiel zu einer anderen Partner-Suche als „Zuneigung ist kalt“. (1)

Entsprechend bieten Metaphern und die aus ihnen hervorgehenden Narrative unserem Gehirn die Möglichkeit, Assoziationen herzustellen und so Realität bzw. auch unsere eigene Identität zu konstruieren und zu ordnen. Sie beeinflussen unser Verhalten auch, weil sie Möglichkeiten Spielräume bieten und beschränken. „Ehe ist Gefängnis“ suggeriert andere Handlungen als „Ehe ist ein sicherer Hafen“.

Metaphern können Revolutionen behindern oder befördern. Allen (1985, S. 560) zeigt auf, wie Gandhi vorhandene populäre Annahmen in Indien über weise Menschen nutzte. Selbst ein simpler selbstgewebter Lendenschurz konnte als Metapher gegen die britische Besatzung, gegen importierte Stoffe, für Selbstaufopferung und gegen Oberflächlichkeit wirksam werden (ib., S. 561). Das Spinnrad wurde zur Metapher für Unabhängigkeit und die Gemeinschaft von Gandhis politischer Bewegung und später Symbol für das unabhängige Indien.

Durch Gandhis Beispiel wird auch deutlich, dass Metaphern nicht nur in Individuen existieren und Identität erschaffen und festigen können, sondern uns als Menschen in Gruppen und Gesellschaften verbinden oder ausgrenzen und damit Sicherheit und Ordnung bieten.

Erich Fromm argumentiert vor dem Hintergrund des damals bestehenden Dritten Reiches, dass die im Rahmen der gesellschaftlichen Veränderungen des 19. und 20. Jahrhunderts zunehmende Individualisierung und damit Freiheit zu einer kaum aushaltbaren Vereinsamung und Hilflosigkeit führe, vor der Menschen fliehen müssten (Fromm, 1991, S. 27). Drei Fluchtstrategien arbeitet Fromm im Buch heraus – Flucht in das Autoritäre, das Destruktive und den Konformismus.

Gemeinschaftliche Metaphern können insbesondere Konformismus stützen und als Ersatz für individuelle Identität dienen (ib., S. 137). Hierdurch können Metaphern eine befürchtete Einsamkeit vermeintlich durch Gemeinschaftsgefühl ersetzen. Konformismus macht allerdings langfristig einsam, weil sich Menschen eben nicht authentisch begegnen und die Angst davor größer wird. (2) Da aber kurzfristig die Angst vor Einsamkeit vermieden werden kann, ist Konformismus mutmaßlich auch heute eine attraktive, wenn auch dysfunktionale Strategie.

Fromm war skeptisch, ob es vielen Menschen gelingen könnte, statt in Konformismus zu fliehen, immer wieder authentisch und spontan mit sich und der Welt in Kontakt zu treten – frei von haltgebenden, aber konformistischen Metaphern.

Unter diesen Vorüberlegungen scheint mir eine Hypothesen-Bildung möglich, unter welchen Bedingungen Popkultur genutzt werden kann, um Identität so zu gestalten, dass Revolutionen und Widerstand wahrscheinlicher bzw. unwahrscheinlicher werden.

  • Wenn es Popkultur-Metaphern gelingt, Emotionsregulation, insbesondere den Umgang mit Ängsten zu verbessern, so erleichtern sie den Widerstand gegen autoritäre Tendenzen und erleichtern notwendige Revolution.
  • Wenn Popkultur-Metaphern Spaltung und damit die Angst vor Einsamkeit und Ohnmacht fördern, erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen in Konformismus, Zerstörung vom „Anderen“ und Autorität den Schutz von Gemeinschaft suchen.

Insofern ist Popkultur zunächst sicherlich nicht revolutionsfördernd, da sie zumindest innerhalb der jeweiligen Subgruppen in der Regel Konformismus fördert. Wobei Martha Bayles (2014) aufzeigt, wie die USA und andere Länder mit ihrer „public diplomacy“ ein weites Feld von Popkultur nutzen, um die Meinungen in anderen Ländern herrschaftskritisch zu beeinflussen. Allerdings zeigt die Autorin auch auf, wie sich andere Länder durch Zensur (ib., S. 25) und Gegenentwürfe (ib., S. 35 ff) zunehmend widersetzen oder einfach Alternativen bieten.

Dass Metaphern grundsätzlich der Interpretation und deren Veränderungen zugänglich sind, zeigte sich, als der Film „Avatar“ in China nicht mehr als kritische Reflexion gegen feindliche Invasion und Ausbeutung durch US-Amerikaner interpretiert wurde, sondern als Metapher für die Vertreibung von Menschen durch das chinesische Regime. Der Film wurde in China verboten, allerdings kurz darauf wieder erlaubt, als Alternativ-Angebote nicht angenommen wurden (ib., S. 50).

Fördern nun die eingangs erwähnten Mini-Beispiele adäquaten Umgang mit Angst oder schüren sie Angst vor dem Alleinsein und Ohnmacht und machen damit Fluchttendenzen wahrscheinlicher?

„Mensch trägt Ursünde in sich“ – wurde von christlichen Kirchen autoritätsfördernd genutzt, um u.a. im Rahmen der Rechtfertigungslehre die Macht der Priester bzw. der Kirche zu legitimieren.

„Individualität ist ein Schatz“ – ist ambivalent, kann Individualität fördern oder Individualitäts-Konformitätsdruck hervorrufen. Auch der Druck, etwas Besonderes zu sein, scheint konformistisch.

„Wir dienen Deutschland“ – deutlicher Konformitätsdruck und Unterwerfung unter die Autorität von Vorgesetzten.

„Aussehen ist Identität“ – ist eher konformitätsfördernd, auch wenn durch Subgruppen-Differenzierung vermeintliche Individualität befördert wird. Der Anpassungsdruck ist oft groß.

Jede dieser Metaphern hätte einen Artikel für sich gerechtfertigt. Ich hoffe, ich konnte ein paar Denkanstöße geben, wie Metaphern in uns und gesellschaftlich wirken und genutzt werden können in Hinblick auf Unterwerfung und Widerstand.

Anmerkungen
1 „Zuneigung ist kalt“ kann leider auch als Metapher gelernt werden, wenn dies die Kindheitserfahrung war.
2 Die Entwicklung scheint dies zu bestätigen – immerhin gibt es in Großbritannien mittlerweile ein Ministerium gegen Einsamkeit, und der Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung greift das Thema ebenfalls auf.

Zitierte Literatur
Bayles, Martha (2014): “Through A Screen Darkly – Popular Culture, Public Diplomacy, And America’s Image Abroad”.
Fromm, Erich (1991): „Die Furcht vor der Freiheit“ (2. Auflage).
Lakoff, G. & Johnson, M. (2003): “Metaphors we live by”.
Allen, James R. (1985). In Zeig, J. K. (Hrsg.): “Ericksonian Psychotherapy – Volume I: Structures” (S. 553 – 564).

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Georg Adelmann ist psychologischer Psychotherapeut in Ausbildung und beschäftigt sich intensiv mit dem Spannungsfeld zwischen Empathie, Angst und Gewalt/Freiheit. Er hat Freude daran, psychologische Forschung und Methoden Menschen verfügbar zu machen.