Gäste und Gastgeber in Pakistan

von Kathy Kelly

In Jayne Anne Phillips „Lark and Termite“ wurde der Himmel über Korea 1950 folgendermaßen beschrieben: „Die Flugzeuge kommen immer ... wie Planeten auf der Umlaufbahn. Ein Blutvergießen nach Zeitplan, unter verschiedenen Vorwänden.“

Der jüngste Angriff auf das pakistanische Dorf Khaisor (nach Angaben eines wazirischen Einwohners, der mich bat, seinen Namen zu verschweigen) passierte am 20. Mai 2009. Eine US Drohne feuerte um 4.30  Uhr ein Geschütz auf das Dorf ab und tötete 14 Frauen und zwei alte Menschen und verwundete 11.

Am Tag zuvor waren einige Reisende nach Khaisor gekommen und die Dorfbewohner hatten ihnen ein Mahl bereitet. „Das ist unser Brauch“, erzählte mein Freund. „Das ist unsere Tradition.“ Aber diese Reisende waren Mitglieder der Taliban, und ihr Besuch wurde von den US-Streitkräften beobachtet. Es ist möglich, dass sie durch Fotos identifiziert wurden, die von unbemannten Drohnen aufgenommen wurden. Obwohl die Besucher gleich nach der Mahlzeit gegangen waren, reagierten die USA auf diesen Akt der Gastfreundschaft, indem sie das Heim der Gastgeber früh am folgenden Morgen bombardierten.

Ich fragte meinen Freund, wie Familien damit umgehen, wenn eine Bombe plötzlich mitten in der Nacht ihr Haus zerstört. Haben sie irgendeine Art von Erster Hilfe zur Verfügung, um den Verwundeten zu helfen? „Siehst Du das?“, sagte er und zeigte auf den langen Schal, den ich trug, ein gewöhnliches Kleidungsstück aller Dorfbewohnerinnen. „Sie versuchen, dies als Verband zu verwenden, denn es ist alles, was sie haben.“ Ich stellte mir vor, wie sich der Schal schnell mit dem Blut eines sterbenden Mannes, Frau oder Kind voll sog.

Am Morgen des 20. Mai eilten die anderen Dorfbewohner zu dem Ort, wo die Rakete eingeschlagen war, luden sich verletzte Überlebende auf ihre Schultern und trugen sie durch raues, hügeliges Gelände zur nächsten Straße (rund 3 Meilen vom Dorf entfernt). Dort warteten sie, da sie keine eigenen Fahrzeuge besaßen und keine Hoffnung bestand, dass eine Ambulanz kommen würde. Warteten darauf, dass ein Auto anhalten würde – ihr einziges Mittel, ein Krankenhaus zu erreichen.

Der erste Wagen, den sie sahen, hielt an, aber der Fahrer weigerte sich, irgendeinen der Verletzten mitzunehmen aus Furcht, dass dies von einer unbemannten US- Drohne beobachtet würde und dass er sich dann derselben Belohnung für seine Gastfreundschaft ausgesetzt sehen würde, wie sie das Dorf erhalten hatte.

Die Dorfbewohner liefen die Straße entlang, bis ein anderes Auto anhielt und zustimmte, einige der Verletzten zu einem nah gelegenen Zentrum zu bringen, das vom Internationalen Roten Kreuz betrieben wurde.

Die drei Tage nach dem Angriff versammelten sich Menschen aus der ganzen Region für die Bestattungen im Dorf. Mein Freund erzählte mir, dass Menschen zum Gebet kommen würden, egal ob sie die Opfer kannten oder nicht. „Man erfährt es über das Handy. Schau, diese blutige Sache passierte schon wieder. Die Menschen teilen den Schmerz, aber der Ärger wächst. Jedermann sagt, dass wir die Amerikaner los werden sollten.“

Bei der Beerdigung weisen die Dorfbewohner Splitter der Bombe vor, um zu demonstrieren, dass es ein US-Geschoss war, das ihre Nachbarn getötet hatte.

Rund 40 bis 50 Familien leben in dem Dorf. Mein Freund sagt, dass die Menschen gastfreundlich und hart im Nehmen seien, stark genug, unter schweren Bedingungen zu leben.

Die Dorfbewohner haben sich an Angriffe von Drohnen gewöhnt. Anfangs waren manche vor Angst wie gelähmt, aber seit 2001 haben sie 70 solcher Angriffe ertragen, und die Beobachtung durch Drohnen ist zu einem gewöhnlichen Teil des Lebens geworden. Selbst die Kinder können die Drohnen identifizieren, die über ihre Köpfe fliegen. „Wenn da eine Drohne ist, dann spielen die Kinder nicht in einer Gruppe, weil sie nicht wollen, dass die Drohne sie beschießt“, sagt er. Die Piloten der Drohnen, die auf Monitore an ihren Konsolen in Nevada und anderenorts in den USA schauen, halten eher Gruppen für designierte Ziele als einzelne Menschen. Gruppen von Kindern sind angegriffen worden. „Die Kinder verstreuen sich und laufen weg und hören für einige Stunden auf zu spielen.“

Als ich ihn frage, ob er irgendeine Alternative zu den Kämpfen sehe, sagt mein Freund sofort, dass die Angreifer – die Menschen aus den Vereinigten Staaten – zu ihnen kommen und bei ihnen sitzen sollten. „Wenn sie kommen und diskutieren und die Waffen wegwerfen, dann hoffe ich, dass es viel besser sein wird, als wenn sie uns beschießen und versuchen, Frieden durch Waffen zu bringen. Selbst wenn der Frieden kommt, durch Waffen, werden wir es nach 100 Jahren noch nicht vergessen, und wir werden uns rächen.“

„Unser Gebiet war sehr friedlich“, fuhr er fort. „Aber als die Armee nach Afghanistan kam, waren auch wir betroffen und die Gegend kannte mehr Gewalt. Sie sollten kommen und bei uns sitzen, unsere Bedürfnisse kennen lernen, sie sollten uns helfen, Trinkwasser zu bekommen, sie sollten uns Bildung geben, sie sollten uns Kredite geben, sie sollten uns bei der Landwirtschaft helfen.“

Mein Freund hat bereits eine Jirga organisiert, eine Diskussion zwischen den Einheimischen und den Taliban, um zu überlegen, wie Frieden in das Gebiet kommen kann. Er fragte die Teilnehmer, ob sie Frieden wollten, und sie antworteten: „Ja, warum nicht? Welcher Mensch würde nicht Frieden wollen? Wenn die Amerikaner die Drohnen stoppen und Afghanistan verlassen und wenn die pakistanische Armee aufhört, das Chaos anzurichten, dass es in unserem Namen stiftet – ja, wir wollen Frieden.“

Die USA und einige Segmente der pakistanischen Gesellschaft wollen andere Dinge von diesen Dorfbewohnern. Es ist schwierig zu wissen, was die Angriffe anheizt, besonders wenn die Medien aus den Gegenden, die angegriffen werden, verbannt sind.

Aber die Pflicht, für deren Erfüllung diese Dorfbewohner bombardiert wurden, war dieses Mal die Gastfreundschaft. Fremde kommen zu Deinem Heim und man gibt ihnen zu essen. Während meines Besuches zu Pakistan wurde mir, obwohl ich aus dem Land des Feindes komme, einem Land, das auf eine an Sciencefiction erinnernden Weise schreckliche Roboterflugzeuge, ständige Überwachung und routinemäßigen Tod aus dem Himmel bringt, tiefer Respekt und Gastfreundschaft bezeugt. Die Drohnen sind ein Faktum des alltäglichen Lebens hier, hergebracht von Besuchern: US Bomben sind nun Teil ihres Himmels, neue Planeten in der Umlaufbahn.

Hier steht der aufgeklärte Westen für mechanischen Tod aus dem Himmel, ein „Töten nach Zeitplan unter verschiedenen Vorwänden.“

Gestern war der Vorwand, den unser Freund beschrieb, der Grund für die Einäscherung von Frauen, Kindern und Alten, ein schlichter Akt der Gastfreundschaft – die extreme, obligatorische Gastfreundschaft, die in diesem Teil der Welt Freunden und Feinden gleichermaßen zugestanden wird.

Alle, die aus den USA kommen, sind Gäste hier.

Wie möchten wir behandelt werden?

Der Beitrag wurde der Sommer-Ausgabe des Win Magazine, der Zeitschrift der War Resisters' League in den USA entnommen und von der Redaktion leicht gekürzt (http://www.warresisters.org/node/795).

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Kathy Kelly ist die Ko-Koordinatorin von Voices for Creative Nonviolence und Autorin von „Other Lands Have Dreams: From Baghdad to Peking Prison“ (2005). Sie war Teilnehmerin einer Delegation in Städte und Dörfer in Pakistan.