Jenseits der Empörung

Rechter Populismus und wie ihm begegnen?

von Joachim Bischoff

In weiten Teilen Europas sowie in Nordamerika haben rechte Bewegungen und Parteien einen beachtlichen Zulauf und eindrucksvolle Wahlerfolge zu verzeichnen. Auch in Deutschland hat sich mit einiger Verspätung dieser Trend durchgesetzt.

Die Lage Anfang 2017 ist unübersichtlich. Die Mobilisierung der Rechtspopulisten ist auch 2017 immer noch begrenzt und bei guter und glaubwürdiger sozialer Politik in Deutschland und Europa einzudämmen. Aber angesichts der Entwicklung der Rechtspopulisten in Österreich, Frankreich, den Niederlanden und des Populismus in Italien bestehen Gefahren, dass sie bei einer erfolgreichen Strategie des Euro-Austritts etwa in Italien eine unkontrollierbare ökonomische und soziale Kettenreaktion ökonomischer und politischer Turbulenzen auslösen können, wenn demokratische Politik sich nicht beizeiten dem Trend entgegenstellt.

Bei der Parteigründung im Februar 2013 war die AFD europa- und eurokritisch, profilierte sich durch eine nationale Orientierung einer entschiedenen neoliberalen Politik und wies zugleich einen nationalkonservativen Flügel auf. Seither ist die AfD nach rechts gedriftet. Ein zentraler Meilenstein war der Parteitag in Essen Anfang Juli 2015. Dort wurde der damalige Vorsitzende Bernd Lucke durch das Duo Petry und Meuthen ersetzt und der Rechtsruck der Partei auch personell sichtbar.

Der Rechtstrend ging seither weiter. Die AfD ist heute eine rechtspopulistische Partei mit einem starken extremen, völkisch-nationalistischen Flügel. Diese Einfärbung existiert nicht überall, auch nicht alle an der Parteispitze verfolgen diese Linie. Aber das dynamische Zentrum der Partei um Björn Höcke und André Poggenburg ist auf diesem Kurs.

In fast allen Bundesländern toben Machtkämpfe zwischen Rechts und Extrem Rechts. Der Vorstand scheitert wiederholt mit der Abgrenzung gegen die, die mit Neonazis der NPD wie im Saarland kooperieren, an der Schiedskommission. Die Partei ist weithin in der Hand des rechten Flügels und ein deutsches Spezifikum, das ihre Ausdehnung auch begrenzt – vielfach verflochten mit extremen neuen Rechten, aber auch, wie in Thüringen, mit breiten Gewaltszenen.

Die modernen rechtspopulistischen Bewegungen zeichnen sich in Absetzung von der extremen Rechten durch drei zentrale Merkmale aus:

Sie bündeln und artikulieren die in breiteren Bevölkerungsschichten vorhandenen Ängste und Ressentiments, die sich in erster Linie auf künftige Statusverluste, aber auch auf kulturelle Verunsicherungen gründen.

Der Rechtspopulismus sieht die einheimische Bevölkerung als Opfer gegenüber Fremden (MigrantInnen, Flüchtlingen). Die Benachteiligten seien angeblich von politischer Mitwirkung ausgeschlossen, müssten jedoch die Folgen in punkto Finanzierung und Sicherheit ausbaden.

Die moderne Rechte grenzt sich unter Berufung auf das Volk radikal gegen die „herrschende politische Klasse“ ab, der eine Politik der schleichenden Auswechselung der Bevölkerung unterstellt wird. Die rechtspopulistischen Bewegungen fordern die Einrichtung einer autoritär-charismatisch gelenkten „Bürgerdemokratie“. Grundlage der politischen Mobilisierung sind Anti-Establishment-Affekte. Populistische Parteien sind Anti-Establishment-Parteien, die vorgeben, für das wirkliche Volk zu stehen.

Auch die AFD versteht und inszeniert sich als Gegenstimme zu den „Alt-Parteien“. Gegenüber der auf Affekt gestützten radikalen Ablehnung des politischen Establishments und der Medien („Lügenpresse“) tritt die Programmatik der AfD in den Hintergrund. Die Partei selbst entwickelt und verändert ihre Ziele, die marktradikalen, neoliberalen Forderungen und Begründungen verlieren an Bedeutung. Dem Großteil der WählerInnen und UnterstützerInnen der AFD sind die programmatischen Bausteine im Detail unbekannt. Ihnen genügt das öffentliche Bild, das über die AfD im Umlauf ist: gegen Einwanderung, gegen den Islam, gegen die EU. Die WählerInnen lassen sich wenig davon beeinflussen, dass die Parteiführung in politische und personelle Konflikte über den weiteren politischen Kurs verstrickt ist.

Seit der deutlichen Ausweitung der Bewegung von zufluchtsuchenden BürgerInnen nach Deutschland im Spätsommer 2015 hat die AFD ihren politischen Schwerpunkt von der Euro- und Europakritik auf die Asylpolitik und vor allem eine Abgrenzung gegenüber MigrantInnen aus islamischen Ländern ausgerichtet. Sie stützt sich auf Befürchtungen und Vorurteile in großen Teilen der Bevölkerung, die der Zuwanderung skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen. Die AfD unterstützt und instrumentalisiert ein einseitiges und negatives Bild vom Islam. Zudem bedient die AfD eine Klientel, die traditionelle Familienwerte als gesellschaftliche Norm durchsetzen will.

Erosion der unteren Mitte
Die wachsende soziale Polarisierung, das Gefühl, dass sich die individuellen Anstrengungen nicht mehr lohnen und die Zukunftsperspektiven der Kinder verbaut sind, sowie der Eindruck, dass die politische Klasse sich darum nicht kümmert, sind wesentliche Faktoren für den Aufstieg des Rechtspopulismus. Gesellschaftliche Basis für den Rechtspopulismus ist ein historisch-spezifisches Ressentiment, d.h. den Einstellungen und Handlungen liegt das Gefühl chronischer Ohnmacht gegenüber erlittener Benachteiligung zugrunde. Das Ressentiment im Wortsinne ist ein Re-Sentiment, ein bloßes Wieder-Fühlen der Selbstwertverletzung.

Die neoliberale Politik hat einerseits eine Aufwertung der Subjektivität in der gesellschaftlichen Wertschöpfung gefördert und gefordert. Andererseits sind weder die Leistungsansprüche noch der Selbstwert befriedigt worden. Mehr noch: Technologischer Wandel, Globalisierung sowie die Schwächung von ArbeitnehmerInnenrechten haben in den letzten Jahrzehnten mit all ihren zerstörerischen Folgen – Selbstentmachtung der Nationalstaaten durch den Verzicht auf die staatliche Regulierung der globalisierten Finanzmärkte – die Basis für die Entstehung und Verbreitung sozialer Ungleichheit geschaffen, die sich in ein antistaatliches, gegen das Establishment gerichtete Ressentiment umsetzt.

Das Ressentiment ist kein spontaner Reflex auf ein erlittenes Unrecht. Das Gefühl der Kränkung ermöglicht die Ausprägung und das Bedienen ethnozentrisch-fremdenfeindlicher, nationalistischer oder antisemitischer Ideologieelemente und politisch-psychologischer Bedürfnisse. Die rechtsnationale Mobilisierung gründet in der unzureichenden Partizipation an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung. Sie ist auch ein  Backlash gegen die Veränderungen des kulturellen Kapitals und gegen die Machtlosigkeit der Staatsapparate. Die Ursachen dieses kulturellen Wandels liegen in der gesellschaftlichen und ökonomischen Modernisierung: Bildungsexpansion, Tertiarisierung und die zunehmende Gleichstellung der Frau in Bildung und Arbeitsmarkt. Die Entfesselung des Ressentiments erstreckt sich über bewusst miteinander verknüpfte Themen wie Einwanderung, Kriminalität, Globalisierung, innere Sicherheit und nationale Identität.

Die häufig vorgebrachte Hypothese, dass vor allem die unterste soziale Schicht für diesen massiven Legitimitätsverlust des politischen Systems verantwortlich sei, ist fragwürdig. Der Sachverhalt ist komplizierter: Auch die untere soziale Schicht ist von dem Establishment enttäuscht, verspricht sich aber von Wahlen keine Besserung mehr. Europaweit gilt: Je prekärer die sozialen Lebensverhältnisse, desto geringer ist die Wahlbeteiligung. Daraus folgt, dass wachsende regionale und soziale Unterschiede zu politischer Ungleichheit führen. Je prekärer die Lebensverhältnisse in einem Stadtviertel, desto weniger Menschen gehen wählen.

Schlussfolgerung: Die sinkende Wahlbeteiligung ist in Europa Ausdruck einer sozialen Spaltung der WählerInnenschaft. Die demokratische Willensbildung wird zu einer immer exklusiveren Veranstaltung der BürgerInnen aus den mittleren und oberen Sozialmilieus der Gesellschaften, während die sozial schwächeren Milieus deutlich unterrepräsentiert bleiben. Sie beteiligen sich nicht mehr an der politischen Willensbildung. Langzeituntersuchungen in westlichen Demokratien belegen: Mit der sozialen Ungleichheit wächst die politische Ungleichheit, zunächst im Sinne ungleicher Partizipation. Es kommt zu einer Wirkungskette aus wachsender sozialer Ungleichheit, ungleicher politischer Partizipation und schließlich Entscheidungen zugunsten der politisch Aktiven, in deren Folge die Nichtbeteiligten benachteiligt werden.

Die etablierten Parteien haben bislang keine wirkliche Antwort darauf, wie die sozial-kulturellen Spaltungstendenzen in den heutigen modernen kapitalistischen  Gesellschaften bekämpft werden können. Es ist häufig eine mittelschichtdominierte Schrumpfversion des Volkes, die uns die politische Revolte eines rechten Populismus beschert.

Politikwechsel
Ohne einen grundlegenden Politikwechsel mit deutlichen Kurskorrekturen bei sozialer Sicherheit und Eingriffen in die Verteilungsstrukturen wird sich weder dauerhaft die Sozialdemokratie auf ihre frühere Stärke erholen, noch der Rechtspopulismus eingehegt werden können. Werden die Verschiebungen in den Verteilungsverhältnissen als Grund für Enttäuschungen und Wut anerkannt, folgt daraus die Notwendigkeit – in Auseinandersetzung mit den „abgehängten“ Teilen der Bevölkerung – eines tiefgreifenden Programms der gesellschaftlichen Veränderung. Es gibt mit Sicherheit kein Patenrezept für die Veränderung der Anteile an der Wohlstandsentwicklung, aber die Kernfrage ist, ob glaubwürdig Reformen angestrebt und durchgesetzt werden.

Ohne einen solchen glaubhaft vermittelten Richtungswechsel bleibt der Appell an die 85% der Bevölkerung (ohne die AfD-WählerInnen) folgenlos. Bei der Herausbildung des Nährbodens rechtspopulistischer Mentalitäten und Organisationen haben wir es mit den Konsequenzen von ökonomischen und kulturellen Modernisierungsprozessen zu tun, die Teile der Gesellschaft „abhängen“. Diese Menschen müssen nicht objektiv VerliererInnen sein, sondern fühlen sich vielleicht nur als VerliererInnen. Sie sorgen sich um die Zukunft und haben Angst vor dem sozialen Abstieg.

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Joachim Bischoff ist Ökonom und Sozialwissenschaftler in Hamburg. Z.Z. arbeitet er mit anderen an einer Untersuchung: Zwischen Ängsten und Vorurteilen: Rechtspopulismus in den Gewerkschaften.