Coalition of the Outlaws?

von Philipp Boos

Die Anzeichen für einen unmittelbar bevorstehenden militärischer Angriff auf den Irak durch die USA alleine oder eine sogenannte "Coalition of the Willing"(1) verstärken sich zunehmend. Bis zum Erscheinen dieses Beitrages könnte er bereits erfolgt sein. Ohne eine ausdrückliche Ermächtigung durch eine Resolution des Sicherheitsrats wäre ein solcher Angriff völkerrechtswidrig.

Die Befürworter eines solchen Angriffs haben bislang keinerlei rechtliche Argumente für seine Zulässigkeit vorlegen können. Die wesentlichen Argumente, warum die momentane Rechtslage einen Angriff nicht zulässt, werden im Anschluss noch einmal zusammengefasst dargestellt (I.). Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Sicherheitsrat bei seiner Entscheidung über die Ermächtigung zu einem Angriff auf den Irak den Regeln der UN-Charta unterworfen ist (II.). Er darf einen Angriff also nur dann legitimieren, wenn er zur Wahrung des Weltfriedens oder der internationalen Sicherheit erforderlich wäre. Dafür gibt es zurzeit keine tatsächlichen Anhaltspunkte. Daraus folgt, dass eine auch nur "passive" Unterstützung bzw. Duldung eines solchen Angriff durch die deutsche Bundesregierung ebenfalls völkerrechtswidrig wäre (III.).

I. Ermächtigung durch den Sicherheitsrat oder Selbstverteidigungsrecht?
Eine militärischer Angriff ist nach dem Völkerrecht grundsätzlich immer rechtswidrig, es sei denn es gibt eine ebenfalls aus dem Völkerrecht folgende Rechtfertigung. Um nicht gegen das aus Art. 2 Ziffer 4 UN-Charta folgende grundsätzliche Gewaltverbot zu verstoßen, muss ein militärischer Gewalteinsatz entweder durch eine Resolution des Sicherheitsrates oder durch das Selbstverteidigungsrecht gedeckt sein. Alle bislang bekannten rechtlichen Stellungnahmen zur Frage der völkerrechtlichen Zulässigkeit eines Irakkrieges verlangen zumindest, dass eine ausdrückliche Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat erfolgt ist.(2)

1. Keine Ermächtigung durch eine Resolution des Sicherheitsrates

Zunächst ist ein Angriff durch keine der bisher im Zusammenhang mit dem Irak beschlossenen Resolutionen des Sicherheitsrates gedeckt.

Resolution 678

Die UN-Resolution 678 vom 29. November 1990 autorisierte zum Einsatz aller "erforderlichen Mittel" zur Befreiung Kuwaits von den damals eingefallenen irakischen Truppen. Der Zweck dieser Resolution wurde durch die Vertreibung der irakischen Aggressoren aus Kuwait im Jahre 1991 erreicht. Damit kommt sie als Ermächtigungsgrundlage heute nicht mehr in Betracht.

Resolutionen zum Waffenstillstand und zu Inspektionen
Die anschließenden UN-Resolutionen(3) über den Abschluss eines Waffenstillstandes sowie die Entsendung eines UN-Inspektionsteams(4) zum Aufspüren und Vernichten möglicher atomarer, biologischer und chemischer Waffensysteme ermächtigten ebenfalls gerade nicht zur Anwendung militärischer Gewalt gegen den Irak. Sie ermächtigen weder dazu, die Kooperation mit dem UN-Inspektionsteam noch die Ablösung des Regimes von Saddam Hussein mit militärischen Mitteln zu erzwingen.

Resolution 1441

Dies gilt schließlich auch für die Resolution 1441 (2002).(5) Insofern ist die zumindest vorübergehend von Bundesaußenminister Fischer vertretene Position, ein Angriff sei auch auf der Grundlage dieser Resolution zulässig,(6) schlicht falsch.

Die Resolution 1441 (2002) legt zwar ein inhaltliches und zeitliches Regime für die an Irak gerichteten Forderungen sowie die Grundsätze für die Arbeit der Inspektorenteams fest. Die Leiter der Inspektoren werden angewiesen, den Sicherheitsrat unverzüglich über mangelnde Kooperation oder Behinderungen Iraks zu informieren.

Aber selbst für diesen Fall hat der UN-Sicherheitsrat eine Gewaltanwendung weder beschlossen noch legitimiert. Dies lag insbesondere an der strikten Haltung der französischen, chinesischen und russischen Regierungen. Der Sicherheitsrat hat in seiner Resolution lediglich in Erinnerung gerufen, dass Irak mit "ernsthaften Konsequenzen" rechnen müsse. Worin diese bestehen werden, hat er nicht näher konkretisiert, sondern "lediglich" eine nicht näher bestimmte Warnung ausgesprochen. Nur wenn der UN-Sicherheitsrat eine Gewaltanwendung positiv gebilligt hätte und ein solcher Beschluss völkerrechtsmäßig wäre, wären militärische Gewaltmaßnahmen gegen Irak zulässig. "Schweigen" reicht insofern nicht aus. Denn grundsätzlich ist nach Artikel 2, Ziffer 4 der UN-Charta "jede" Androhung und Anwendung militärischer Gewalt gegen einen anderen Staat völkerrechtswidrig. Eine Ausnahme davon kann nur der UN-Sicherheitsrat in den Grenzen des auch ihn bindenden Völkerrechts durch ausdrücklichen Beschluss zulassen. Einen automatischer Übergang von den zivilen Inspektionen zu militärischen Maßnahmen wird von der Resolution 1441 (2002) nicht vorgesehen. Vielmehr hat der Sicherheitsrat in Ziffer 14 der Resolution entschieden, mit der Sache weiter befasst zu bleiben.

2. Kein Selbstverteidigungsrecht
Ein Selbstverteidigungsrecht und damit das Recht zum unilateralen Gewalteinsatz sieht Art. 51 UN-Charta lediglich "im Falle eines bewaffneten Angriffs" vor. Das beschreibt das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung. Dieses Recht ist zunächst zeitlich begrenzt, bis der UN-Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.

Voraussetzung für eine militärische Selbstverteidigung wäre also ein bewaffneter Angriff durch den Irak auf die USA oder einen anderen Staat. Dabei muss die Anwendung von Waffengewalt durch den Angreifer bereits erfolgt sein, ehe militärische Verteidigungsschläge zulässig sind. Für einen solchen konkreten Angriff gibt es im Moment keine Anhaltspunkte. Er wird auch nicht von den Vertretern der Vereinigten Staaten oder anderer Mitglieder der "Coaliton of the Willing" behauptet, so dass eine Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht nicht in Betracht kommt.

3. Kein Recht auf "präventive Verteidigung"

Die USA berufen sich in ihren außenpolitischen Doktrin verstärkt auf ein Recht zur "präventiven Verteidigung". Wegen des Entwicklungsstandes und der Zerstörungskraft moderner Waffen sowie der kurzen Vorwarnzeiten könne nicht verlangt werden, dass Staaten ihre drohende Verwüstung »abwarten« müssten, bevor sie militärische Mittel einsetzen dürfen.

Diese Rechtfertigung steht jedoch nicht im Einklang mit dem Regelungsmodell der UN-Charta. Über das dort geregelte und zuvor behandelte Selbstverteidigungsrecht hinaus erlaubt die UN-Charta keine unilaterale Anwendung militärischer Gewalt. Der Grundsatz des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta verbietet "jede" Anwendung von Gewalt in internationalen Beziehungen. Die UN-Charta sieht nur eng begrenzte Ausnahmen von diesem strikten Gewaltverbot vor, und zwar den Einsatz militärischer Mittel primär durch den UN-Sicherheitsrat selbst. Grund für diese Regelung ist offenkundig, die einseitige einzelstaatliche Gewaltanwendung grundsätzlich auszuschließen. Ein Recht auf "präventive Selbstverteidigung" würde dazu führen, dass einzelne Staaten nach ihrem Gutdünken über einen "drohenden Angriff" entscheiden. Die Möglichkeit, dass sich der Irak seinerseits auf ein Recht zur präventiven Verteidigung gegen einen US-amerikanischen Angriff berufen könnte, macht deutlich, zu welch paradoxen Ergebnissen die Anerkennung eines solchen Rechts zum Präventivschlag führt.

Aber selbst wenn man sich der Theorie von der präventiven Verteidigung anschließt, so müsste nach ihrer eigenen Definition eine "eindeutige und gegenwärtige gravierende Gefahr" vorliegen, zu deren Abwehr keine anderen Mittel als ein Angriff auf den Irak zur Verfügung stehen. Dafür gibt es im Konflikt zwischen den USA und dem Regime von Saddam Hussein derzeit keinerlei Anhaltspunkte. Weder haben die UN-Inspektoren bislang Massenvernichtungswaffen im Irak gefunden, erst Recht gibt es keine Anhaltspunkte für einen bevorstehenden Angriff des Iraks auf einen anderen Staat noch wäre ein militärische Invasion des Iraks einschließlich des Sturzes des Diktators Saddam Hussein erforderlich, um einen solchen Angriff zu unterbinden. Eine Erforderlichkeit im rechtlichen Sinne wäre nur gegeben, wenn keine weniger einschneidenden geeigneten Mittel zum Erreichen des Zwecks existieren würden.

Denn auch die US-Regierung kann nicht dartun, dass die irakische Regierung gleichsam unmittelbar zu einem Angriff auf die USA oder einen Verbündeten ansetzt und dass andere Mittel als ein Präventivkrieg zur Abwehr einer solchen gegenwärtigen akuten Gefahr ausscheiden.

II. Bindung des Sicherheitsrates an die UN-Charta
Selbst wenn die Mehrheit der Mitglieder des Sicherheitsrates einen Angriff auf den Irak beschließen wollten,(7) so stünde die Entscheidung darüber nicht alleine in ihrem politischen Ermessen, sondern sie wären dabei selbstverständlich an die inhaltlichen Vorgaben der UN-Charta gebunden.

Art. 39 der UN-Charta verlangt zunächst, dass eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt. Ohne dass diese Vorbedingungen erfüllt sind, gibt es schon keine Grundlage für den Sicherheitsrat, über den Einsatz von Gewalt zu entscheiden. Sofern eine Bedrohung des Friedens festgestellt wird, kann der Sicherheitsrat über Maßnahmen entscheiden. Dabei gibt es einen Vorrang für "Friedliche Sanktionsmaßnahmen" (Art. 41 UN-Charta). Nur falls die friedlichen Sanktionsmaßnahmen nach Auffassung des Sicherheitsrates unzulänglich sein würden oder sich als unzulänglich erwiesen haben, darf nach Art. 42 UN-Charta der Einsatz von militärischen Maßnahmen beschlossen werden. Diese Maßnahmen stehen unter der zusätzlichen Bedingung, dass sie zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlich sein müssen. Für diese Erforderlichkeit gibt es zur Zeit mit Bezug auf den Irak noch keine belastbaren Erkenntnisse. Daher dürfte der UN-Sicherheitsrat auf der Grundlage der momentanen Erkenntnisse keine militärischen Maßnahmen gegen den Irak beschließen.

III. Fazit / Folgerungen
Zumindest nach dem derzeitigem Kenntnis- und Sachstand ist ein Angriff auf den Irak sowohl wegen der fehlenden inhaltlichen Voraussetzungen für einen solchen Angriff als auch wegen der fehlenden Ermächtigung durch den Sicherheitsrat völkerrechtswidrig.

Daraus folgt für die deutsche Bundesregierung, dass sie sich an einem solchen Angriff natürlich nicht aktiv mit eigenen Truppen beteiligen darf, ihn aber darüber hinaus auch nicht durch die Gewährung von Überflugrechten, Nutzung auf deutschem Boden befindlicher Einrichtungen oder in sonstiger Weise unterstützen darf.(8) Die Bundesregierung ist durch Art. 20 Absatz 3 des Grundgesetzes an Recht und Gesetz gebunden. Dazu zählen nach Art. 25 des Grundgesetzes auch die allgemeinen Regeln des Völkerrechts. Ein unter Verstoß gegen diese Regeln erfolgender militärischer Angriff stellt einen nach Art. 26 Absatz 1 Grundgesetz verbotenen Angriffskrieg dar. Dessen Vorbereitung ist - wie von der Verfassung vorgegeben - in § 80 des Strafgesetzbuches ausdrücklich unter Strafe gestellt.

Anmerkungen:
 

 
    1 "Koalition der Willigen."
 
 
    2 Siehe nur D. Deiseroth, Frankfurter Rundschau vom 11. September 2002, S. 14, aktualisiert in Wissenschaft & Frieden, Heft 2003-1, der Regierungsberater und renommierte Völkerrechtler Christian Tomuschat, Der SPIEGEL 4/2003 vom 20.01.2003, S. 24/25; zuletzt der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages, siehe Frankfurter Rundschau vom 31. Januar 2003, S. 6.
 
 
    3 Im Einzelnen sind das:Resolution 686 (1991) vom 2.3.1991, Resolution 687 (1991) vom 3.4.1991; Resolution 688 (1991) vom 05.04.1991; Resolution 707 (1991) vom 15.8.1991; Resolution 715 (1991) vom 11.10.1991, Resolution 986 (1995) vom 14.04.1995; Resolution 1284 (1999) vom 17.12.1999.4 Ursprünglich UNSCOM, ab dem Jahr 1999: UNMOVIC.
 
 
    5 So ausdrücklich der Regierungsberater Christian Tomuschat, Der SPIEGEL, 4/2003, S. 25; ebenso der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages und der Völkerrechtler Michael Bothe/Frankfurt, wiedergegeben in Frankfurter Rundschau vom 31. Januar 2003, S. 6.
 
 
    6 Eine weitere Resolution wird von Bundesaußenminister Fischer lediglich für "politisch wünschenswert" gehalten.
 
 
    7 Für eine derartige Mehrheit gibt es im Moment keine Anhaltspunkte, insbesondere nicht für eine Zustimmung der mit Vetorechten ausgestatteten Staaten Frankreich, China und Russland als ständige Mitglieder des Sicherheitsrates.
 
 
    8  
      Diese Auffassung vertritt - ausdrücklich im Widerspruch zu Bundesaußenminister Fischer - auch der Regierungsberater Christian Tomuschat, Der SPIEGEL, 4/2003, S. 25; ebenso der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages, vgl. Frankfurter Rundschau vom 31. Januar 2003, S. 6. Zustimmend nur für den Fall eines Angriffs ohne NATO-Mandat: Angelika Beer (Vorsitzende Bündnis 90/Die GRÜNEN), Handelsblatt vom 27. Januar 2003, S. 3.

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Dr. Philipp Boos ist Rechtsanwalt und Geschäftsführer der IALANA (International Association of Lawyers Against Nuclear Arms) in Marburg.