60 Jahre danach - aus der Geschichte gelernt?

von Kathrin Vogler
Initiativen
Initiativen

Am 30. Januar 1993 fanden in vielen Orten größere oder kleinere Aktio­nen und Veranstaltungen zum Gedenken an die Machtübernahme der Nationalsozialisten vor 60 Jahren statt. Daß eine der wichtigsten davon auch eine der kleineren blieb, mag auf den ersten Blick enttäuschend wirken. Abseits dieser moralischen Wertung lohnt sich aber die politi­sche Analyse.

Mit Maria Wachter und Fritz Hollstein haben zwei Verfolgte des Faschismus die Initiative ergriffen, am 30. Januar 1993 unter dem Motto zu demonstrieren "60 Jahre danach - Aus der Geschichte lernen: Rassismus, Terror und Milita­rismus stoppen!" In Düsseldorf, weil dort im Industrieclub das Bündnis zwi­schen NSDAP und Teilen des Großka­pitals geschmiedet wurde, das maßgeb­lich dazu beitrug, den 30. Januar 1933 überhaupt erst möglich zu machen.

Der Aufruf zu dieser Demonstration fiel bereits aus dem Rahmen des derzeit in der Bewegung gegen Rassismus Übli­chen: Anstelle moralischer Betroffenheit über rassistische Aggression wurde eine historische und politische Analyse vor­gelegt, die den Bogen von der "Volk ohne Raum"-These der Nazis zum an­geblich "vollen Boot" Deutschland und zum Streben nach weltweiten Einsatz­optionen für die Bundeswehr spannte. Unterstützung fand der Aufruf vor allem in gewerkschaftlichen Kreisen, bei linkssozialistischen und kommunisti­schen Gruppierungen und im autono­men Spektrum, vereinzelt - aber noch viel zu wenig - auch bei Jugendorgani­sationen und Friedensgruppen. Wer nun aber bei den TeilnehmerInnen eine ähn­liche Zusammensetzung erwartete, mußte verwundert feststellen, daß zwi­schen der Unterschrift unter einen Auf­ruf und der Teilnahme an einer Demon­stration doch ein erheblicher Unter­schied sein muß: Die Fünftausend, die dann tatsächlich durch die Düsseldorfer City zogen, waren vorwiegend Jugend­liche und Ältere, wie zum Beispiel eine starke Gruppe der Grauen Panther und ein noch stärkerer Block der Rode Jeugd aus Belgien.

Für die geringe Beteiligung insgesamt gibt es viele verschiedene Gründe. Ein Grund ist sicher die Tatsache, daß am selben Tag andere Veranstalter die Düs­seldorfer Bevölkerung zu einer Lichter­kette luden - ein Aufruf, unterstützt von Prominenz und Medien, dem zehnmal so viele folgten. Doch habe ich den Ein­druck, daß man daraus nicht schließen darf, diese Fünfzigtausend wären an­dernfalls zu "unserer" Demonstration gekommen. Es gibt nur wenige Über­schneidungen zwischen der "Lichterket­ten-Szene" und der "Demonstrations-Szene", denn die Zu­sammenhänge zwi­schen staatlich ver­ordnetem Rassismus, etwa in Form der Asylrechtsdemontage, und gewalttäti­gem Rassismus "von un­ten", werden nun einmal von der über­großen Mehr­heit im Land so noch nicht erkannt. Ebenso fehlt, auch in weiten Teilen der Friedensbewegung, eine Ein­schätzung dessen, welche Bedeutung rassistische und nationalistische Motive etwa für die Neudefinition der Außen- und Verteidi­gungspolitik haben.

Daraus zu schließen, daß wir die "richtigen" Aktionen dann halt nur mit Wenigen machen und die Lichterketten-Szene sich selbst und damit möglicher­weise der Instrumentalisierung durch diejenigen überlassen, die nur zu gern von der eigenen rassistischen und ge­walttätigen politischen Praxis ablenken wollen, wäre falsch.

Für das eigene Selbstverständnis mag eine Abgrenzung zu bewusst unpoliti­schen (und damit auch entpolitisieren­den) Aktionen sinnvoll und notwendig sein. Für die Wirksamkeit eines poli­tisch verstandenen Antifaschismus und Antimilitarismus ist diese Abgrenzung aber kontraproduktiv, weil sie auf die Einbeziehung derjenigen verzichtet, denen die Zusammenhänge noch nicht so deutlich sind. Um der Rechtswende der Republik in wesentlichen Bereichen wirkungsvoll entgegenzutreten, brau­chen wir aber noch mehr politisch den­kende und handelnde Menschen, und die werden wir dort abholen müssen, wo sie derzeit stehen. Wenn das die Lichter­ketten sind, dann heißt das, daß wir auch dorthin gehen müssen, mit unseren For­derungen zum Erhalt des Asylrechts, zur Verteidigung anderer Grund- und Men­schenrechte.

In Zukunft wird es darauf ankommen, die so verschiedenen Ansätze zu verbin­den, damit aus Betroffenheit Wut und aus Ohnmacht Gegenmacht wird.

Die Demonstration in Düsseldorf war ein erster Schritt zur Formierung außer­parlamentarischen Widerstands gegen Grundrechtsdemontage und Groß­machtgelüste und damit, trotz der relativ geringen Teilnahme, wichtig. Weitere Schritte werden folgen.

Ausgabe

Rubrik

Initiativen