Abrüstungsaktion in Peenemünde

Gegen den Export von 39 NVA-Kriegsschiffen nach Indonesien wurde Pfingsten in Peenemünde protestiert. Es war die erste größere gemein­same Protestaktion von DDR-Oppositionsgruppen seit der Besetzung der Stasi-Zentrale im September 1990. Auch etwa ein Dutzend Totalver­weigerer aus Ost und West waren dem Aufruf der Initiativgruppe "Timor und kein Trupp" gefolgt, ebenso Graswurzlerlnnen von der Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen. Insgesamt fast 300 Menschen.

 

Der letzte "Abrüstungsminister" der DDR, Reiner Eppelmann (CDU), ver­sprach 1990 die Verschrottung aller im Hafen von Peenemünde liegenden Kriegsschiffe.

Im August 1992 entschied allerdings der Bundessicherheitsrat, einem Verkauf von 39 dieser Kriegsschiffe nach Indo­nesien zuzustimmen. Es handelt sich dabei um 14 Landungsschiffe (zum Transport von Militäreinheiten, Panzern etc.), neun Minensuchboote (auch zum Minenlegen ausgerüstet) sowie 16 Raketenschnellboote der Kondor-Klasse (56 Meter). Diese Entscheidung wurde im Februar 1993 anläßlich des Indonesi­enbesuchs  Kohls öffentlich bekannt. Nachdem die in Peenemünde vor Anker liegenden Schiffe in der Wolgaster und Rostocker Werft flottgemacht werden, sollen sie mit neuen  amerikanischen Waffensystemen bestückt werden.

In Indonesien werden die Menschen­rechte systematisch verletzt. Die Opposition wird grausam unterdrückt, Auto­nomiebestrebungen ethnischer Minder­heiten werden niedergeschlagen. Amnesty international berichtet regel­mäßig von extralegalen Hinrichtungen, Folterungen und Vertreibungen. Allein in den 60er Jahren wurden in Indonesien mindestens 500.000 Menschen ermordet. Präsident Suharto sichert seit 1967 durch militärdiktatorische Mittel seine Macht.

Nach der Invasion indonesischer Trup­pen in Ost-Timor am 7. Dezember 1975 sind dort über 200.000 Menschen (fast ein Drittel der Bevölkerung) ums Leben gekommen. Diese Tatsachen erklären Indonesien eindeutig zum Spannungs­gebiet.

Auch wenn die Bundesregierung weiter an den guten Beziehungen zum Suharto­-Regime festhält und Indonesien nie zum Spannungsgebiet erklärt hat, bleibt für uns der Verkaufsbeschluß eindeutig eine Verletzung des Kriegswaffenkon­trollgesetzes, welches Waffenlieferun­gen in Krisenregionen entschieden ver­bietet. Unsere Auffassung wird durch einen Beschluß der UNO-Menschen­rechtskommission bestätigt, der Indone­sien zum Aggressor stempelt, dem übri­gens auch Deutschland zugestimmt hat.

Diese Praxis der Bundesregierung kön­nen wir nicht länger ertragen. Wir beschuldigen die Mitglieder des Bundessi­cherheitsrates der Beihilfe zum Völkermord.

Mit unserer Pfingstaktion "Kriegs­waffen sind keine Handelsware" wollten wir die Menschenrechtsverletzungen in Indonesien und Ost-Timor bekannt machen und den Verkauf der Kriegsschiffe an die indonesische Dik­tatur verhindern. Wir wollten mit ge­waltlosen Mitteln unsere Stimme erhe­ben, um die Bundesregierung zu zwin­gen, ihren Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz aufzuheben. Der Protest von Menschenrechtsorganisatio­nen und die Kritik der EG und der Me­dien an diesem Export wurde von der politischen Elite in Bonn kalt ignoriert.

Die Kontinuität solcher Geschäfte neh­men wir schon lange wahr: erinnern wir uns nur an die deutsche Verantwortung in beiden Golfkriegen und für die Kurdenunterdrückung in der Türkei.

Deshalb mußten wir eine Aktionsform finden, die unseren Widerstand konse­quent ausdrückt und die Öffentlichkeit zur Teilnahme einlädt. Wegen der Skru­pellosigkeit dieses Waffendeals nahmen wir bewußt in Kauf, für Haus- oder gar Landfriedensbruch verurteilt zu werden. Wir halten in diesem Zusammenhang die bewußte Übertretung von Gesetzen für eine legitime Form zivilen Ungehor­sams und empfinden dies als notwendi­ges, aber viel kleineres Übel.

Unserer Einladung zur Demonstration in Peenemünde folgten über 250 Menschen, vornehmlich aus Ostdeutschland. Am 29. Mai richteten vier Personen aus dem Vorbereitungskreis ein Schiff für eine Besetzung her und verschlossen es von innen.

Der Weg zum Militärhafen wurde mit Plakaten beklebt: "Wegen Beihilfe zum Völkermord dringend verdächtigt". Dar­auf die Konterfeis der Verantwortlichen für den Rüstungsdeal, die Mitglieder des Bundessicherheitsrates. Ca. 150 Teilnehmerinnen unserer Demonstration be­stiegen dann gegen Mittag einige Schiffe und feierten ein Friedensfest, bemalten die Wände und spannten  Transparente. Einige führten auch di­rekte Abrüstungsaktionen durch. Schlüssel von Schließvorrichtungen wurden versenkt, Logistik zerstört. Nachdem die Schiffe am Abend wieder verlassen wurden, verbarrikadierten sich sieben Personen auf dem vorbereiteten  Schiff. Die Besetzerinnen forderten die Verschrottung der ehemaligen NVA­-Kriegsschiffe und kündigten an, die Besetzung nach dieser Zusicherung zu beenden.

Um den gewaltlosen Charakter unserer Besetzung und der sie begleitenden Demonstration von Anfang an kundzutun, stellten wir sofort Kontakte zu der Polizei und den betroffenen Grundstückseigentümern her, teilten unsere Ziele und Forderungen mit und bemühten uns, ihren Bedenken Abhilfe zu schaffen, ohne jedoch die Besetzung zu gefähr­den. Die Empfänger unserer Botschaft sitzen in Bonn und nicht in Peen­emünde.

Es gelang uns, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, so daß die Gewaltfreiheit und Zielrichtung unserer Aktion allseits akzeptiert wurde und die Polizei sich bemühte, die Verhältnismäßigkeit ihres Auftretens  zu wahren. Die Einsatzleitung bewegte den Innenminister Meck­lenburg-Vorpommerns, Herrn Geil (CDU), dazu, am Montag, dem 31. Mai, nach Peenemünde zu reisen und mit uns zu sprechen. Er bekundete uns sein Ver­ständnis für die Ziele unseres Engage­ments. Unserer Aufforderung, sich für die Verwirklichung dieser Ziele einzu­setzen, wollte er aber nicht nachkom­men. Er forderte uns lediglich auf, die Besetzung zu beenden.

Der ebenfalls eingeflogene Generalkon­sul Indonesiens kontaktierte die Besetzerlnnen allerdings nicht, abgesehen von Foto- und Filmaufnahmen von die­sen, wahrscheinlich für das indonesische Geheimdienstarchiv.       

Nach seiner Abreise war die Gesprächs­bereitschaft der Polizei sichtlich gestört. Aus Bonn verlautete, daß man zu keinen Gesprächen mit den Besetzerinnen be­reit sei, und am Abend begann die "bewährte" und wohl einzige Antwort deutscher Politiker auf beunruhigende Fragen: Der Innenminister ordnete die Räumung an. Die Demonstrantinnen folgten der Aufforderung, das Hafengelände zu verlassen, freiwillig, um eine gewaltsame Räumung zu vermeiden. Die Polizei begann, das verschlossene Schiff aufzubrechen. Die BesetzerInnen öffneten die letzte Tür selbst und stell­ten sich der Polizei.

Die Ergebnisse unserer Aktion sind für uns ermutigend und bestürzend zugleich: Es zeigte sich wieder einmal, daß die Bonner Clique unter keinen Umständen bereit ist, ihre Verantwor­tung zur Umsetzung der Menschen­rechte auf der Welt wahrzunehmen, vielmehr unterstützt sie weiterhin Dik­taturen mit Waffenlieferungen und scheut sich nicht, ihre eigenen Gesetze zu brechen. Andererseits ist es uns ge­lungen, hörbar aufzuschreien und diese Schande deutscher Politik anzupran­gern. Es gelang uns, mit gewaltlosen Mitteln (die Polizei brauchte zu keinem Zeitpunkt Schutzbekleidung) wirkungs­vollen Widerstand zu entwickeln, der die arrogante Selbstgerechtigkeit der politischen Macht in Deutschland an­prangert und stört. Unser Friedensfest in Peenemünde war ein Angebot zur Ein­mischung. Wir werden weitermachen.

Wir erwarten, daß die Aktion in den verschiedensten Regionen ihre selbstän­dige Fortsetzung findet. Wir halten nach wie vor an unserem Ziel fest: Keine Kriegsschiffe nach Indonesien, die Schiffe müssen verschrottet werden. Kriegswaffen sind keine Handelsware.

Hilli für die Gruppe ,,Timor und kein Trupp"

PS: Die Unkosten der Vorbereitung sind bis jetzt leider noch nicht gedeckt. Es ist weiterhin unklar, woraus die Prozeßko­sten bestritten werden sollen. Wir bitten jetzt alle, Aktionen in ihren Heimatorten zu organisieren.

Spenden bitte auf das Aktionskonto Neues Forum Dresden, Konto-Nr. 30 000 52 50, BLZ 850 951 64, Landes­kirchliche Kreditgenossenschaft, Stichwort "Timor".

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