Afghanistan: Gefährliche Weichenstellung

von Jochen Hippler

In Afghanistan laufen zwei Militärmissionen, die aus guten Gründen bislang strikt getrennt voneinander waren: einerseits der militärische Schutz des Wiederaufbaus und andererseits der Krieg gegen Terroristen. Jetzt hat die NATO die Weichen gestellt, beide Einsätze zusammenzuführen - ein undurchdachter Beschluss, der gefährliche Folgen haben könnte.

Seit Monaten diskutieren Regierungen und Militärs über eine Verschmelzung der beiden Militärmissionen in Afghanistan. Auf einem Treffen im Februar in Nizza haben die NATO-Verteidigungsminister dafür grundsätzlich grünes Licht gegeben. Sie trafen damit einen aus zwei Gründen folgenschweren Beschluss: Zum einen würden durch eine Zusammenlegung der NATO-geführten Afghanistan-Schutztruppe ISAF und der US-Operation Enduring Freedom (OEF) zwei Missionen mit völlig unterschiedlichen Mandaten vermischt: Die Peacekeeping-Mission ISAF soll den Wiederaufbau absichern und die Regierung in Kabul stärken. OEF dagegen kämpft gegen Terroristen und Taliban. Zum anderen fällt angesichts der immer noch bestehenden Meinungsunterschiede innerhalb der NATO die Entscheidung von Nizza so vage aus, dass die Folgen wahrscheinlich nicht mehr Effizienz, sondern ein noch größeres Durcheinander beim Militäreinsatz in Afghanistan sind.

Vor allem die USA drängen seit einigen Monaten auf die Umstrukturierung der beiden Missionen. Washington ist aufgrund der großen militärischen Probleme im Irak daran interessiert, das eigene Engagement in Afghanistan zu reduzieren. Für die US-Regierung hat sich die Sicherheitslage am Hindukusch so weit verbessert, dass ein solcher Rückzug und eine Übergabe der Verantwortung an die NATO möglich erscheint.

Die USA bestehen freilich darauf, dass die NATO die beiden Missionen nur dann führen kann, wenn sie auch zur Terrorbekämpfung in der Lage ist - also auch den Part von Operation Enduring Freedom überzeugend spielen kann. An diesem Punkt kommt Skepsis bei den europäischen Ländern auf: Wie eng dürfen ISAF und OEF zusammenrücken, ohne das Mandat von ISAF zu unterhöhlen? Bundesverteidigungsminister Peter Struck hatte noch im Oktober 2004 erklärt, es sei schon ein Unterschied, ob man einer Regierung beim Wiederaufbau helfe oder gegen Terrorismus kämpfe. Er gehe deshalb davon aus, dass die beiden Missionen "noch lange getrennt bleiben werden".

Im gleichen Monat hatte Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul sogar gewarnt, die Mandate von ISAF und OEF dürften "auf gar keinen Fall" zusammengelegt werden - und überzeugend auf den Punkt gebracht, warum sie dieser Ansicht ist: "Wir können in der Bevölkerung nur Vertrauen schaffen, wenn wir Wiederaufbau und Terrorismusbekämpfung eindeutig trennen." Argumentationshilfe bekam die Ministerin ausgerechnet von einigen OEF-Kommandeuren, die laut der Zeitung Washington Times zu Bedenken gaben, nach einer Fusion mit ISAF könnten sie für die Terroristenjagd nicht mehr so leicht mit den afghanischen Kriegsfürsten zusammenarbeiten.

Noch problematischer am Beschluss von Nizza ist aber, dass er die Unterschiede zwischen den beiden Missionen verwischt, ohne neue Klarheit zu schaffen. Auf einer Pressekonferenz im Anschluss an das Treffen wollte oder konnte NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer nicht sagen, wie die Verteidigungsminister sich die gemeinsame Zukunft von ISAF und OEF denn nun vorstellen. Es gehe darum, Synergien zu erzielen, sagte de Hoop Scheffer. Auf welchem Weg, müsse weiter diskutiert werden, wahrscheinlich zunächst einmal durch einen zweigeteilten Einsatz unter "irgendeiner Form von einheitlichem Kommando". Andere NATO-Offizielle sprachen sich laut Zeitungsberichten dagegen für eine Mission mit zwei Kommandeuren aus.

Die zum Teil widersprüchlichen Formulierungen deuten darauf hin, dass es den zentralen Akteuren an konzeptioneller Klarheit fehlt, wie sie ihre künftigen Aufgaben definieren und wie sie in Afghanistan weiter operieren wollen. Es ist schwer vorzustellen, dass sich etwa Frankreich und Deutschland schrittweise in den Krieg im Süden und Osten Afghanistans hineinziehen und zu Hilfstruppen eines US-NATO-Generals umfunktionieren lassen. Zugleich ist nicht damit zu rechnen, dass sich die US-Regierung im Antiterrorkampf zurückhält, nur um die Peacekeeping-Mission nicht in Verruf zu bringen. Die NATO-Länder sind drauf und dran, aus politischen Gründen - der Verschleierung transatlantischer Differenzen - in Afghanistan ein militärisches Durcheinander anzurichten, das in Kriegssituationen bislang stets in die Katastrophe geführt hat.

aus: Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit (E+Z) Jg. 46.2005:4
 

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Krisen und Kriege

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Jochen Hippler, Institut für Entwicklung und Frieden, Universität Duisburg-Essen. E-Mail: kontakt (at) forumzfd (Punkt) de Website: www.friedenbrauchtfachleute.de