Feministische Außenpolitik und der Weg zu nuklearer Abrüstung

Alter Wein in neuen Schläuchen?

von Aicha Kheinette
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Intersektional-feministisch betrachtet ist die Atombombe ein Instrument der ultimativen Unterdrückung und steht feministischen Werten wie friedlicher Konfliktlösung, Teilhabe und menschlicher Sicherheit diametral entgegen. Nukleare Abrüstung muss deshalb zentraler Bestandteil einer feministischen Außenpolitik (Feminist Foreign Policy = FFP) sein. Aber kann eine feministische Politikgestaltung für konkrete Veränderungen sorgen?

Mit der Verständigung auf eine FFP durch die Ampelkoalition wurde auch hierzulande eine Diskussion über die Wirkungskraft des Konzepts angestoßen und der Streit um das F-Wort ging in eine neue Runde. Zentraler Streitpunkt ist dabei immer wieder, ob wir dem Alten lediglich einen neuen Namen geben - alter Wein in neuen Schläuchen?

Zwar ist der Wunsch nach einer atomwaffenfreien Welt nicht neu, doch hinter dem Konzept FFP steckt mehr, denn es bricht patriarchal-elitäre Räume auf, in denen Atomwaffen lange exklusiv diskutiert wurden und stellt das traditionelle Sicherheitskonzept in Frage. Dieses denkt Sicherheit vor allem militärisch und nationalstaatlich. FFP hingegen stellt die menschliche Sicherheit in den Fokus. Der alte Wein fließt nicht durch neue Schläuche. Es wird neu verhandelt, was Wein eigentlich ist.

Zu Recht, denn das Märchen des atomaren Friedens ist auserzählt. Während die Eskalation des russischen Angriffskrieges für viele das vermeintliche Ende der Abrüstung bedeutet, zeigt die Krise auch, dass nukleare Abschreckung keine Sicherheit gewährleisten kann. Dafür schadet sie Mensch und Natur enorm - und das auch schon bevor die Bomben im Ernstfall eingesetzt werden.

Dennoch steigen die Ausgaben für Atomwaffen seit drei Jahren in Folge. Im Jahr 2022 gaben die Atomwaffenstaaten 82,9 Milliarden Dollar für ihre nuklearen Arsenale aus. (1) Damit sind Atomwaffen nicht nur eine Gefahr für unser Leben, die exzessive Aufrüstung hat auch eine beachtliche Umweltverschmutzung zur Folge und lenkt dringend benötigte Mittel weg von essenziellen Aufgaben der Menschheit - zum Beispiel im Bereich Klimaschutz.

Umweltschutz, Klimagerechtigkeit und Abrüstung gemeinsam betrachten
Umweltschutz, Klimagerechtigkeit und Abrüstung müssen daher gemeinsam betrachtet werden. Die Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit erfordert einen ganzheitlichen Ansatz - diesen Anspruch betont auch FFP. Alle Bemühungen, die Klimaerwärmung zu begrenzen, die Umwelt zu schützen und internationale Klimagerechtigkeit zu fördern, könnten durch den Einsatz von Atomwaffen zunichtegemacht werden - buchstäblich per Knopfdruck.

Dramatisch ist das menschliche Leid schon jetzt. Insbesondere Schwarze und indigene Gemeinschaften sind von den Auswirkungen der Atomwaffen in disproportionaler Weise betroffen. Nicht zuletzt, weil die Atommächte ihre über 2000 Testzündungen explizit in Kolonialgebieten oder Lebensräumen ethnischer Minderheiten durchführten. Feministische Perspektiven schenken diesen Zusammenhängen neue Beachtung und lassen nicht zu, dass sie als Kollateralschäden abgetan werden.

Aber was hat Deutschland damit zu tun? Schließlich haben wir keine eigenen Atomwaffen, oder? Ganz so leicht ist es nicht. Deutschland beherbergt US-amerikanische Atomwaffen und spielt eine aktive Rolle in der nuklearen Teilhabe der NATO, obwohl es keine eigenen Atomwaffen besitzt. Dadurch entstehen auch hierzulande enorme Kosten. Zudem trägt Deutschland aus einer dekolonialen Perspektive, insbesondere durch seine koloniale Vergangenheit auf den Marshall-Inseln, eine Verantwortung für die menschlichen und ökologischen Schäden der dort durchgeführten Atomwaffentests. Auch der Uranbergbau in der ehemaligen DDR trägt zur Verbindung mit nuklearen Aktivitäten bei. Diese und weitere Aspekte erfordern eine kritische Betrachtung und Aufarbeitung.

Aber kann FFP die Atomwaffenpolitik in der Praxis revolutionieren? Während regelmäßig vom Ende der Abrüstung zu lesen ist, verpflichten sich immer mehr Regierungen einer FFP und verleihen dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt neuen Nachdruck. Krisen sind auch Zeiten des Wandels und Chancen für eine Neuausrichtung. FFP ermöglicht einen ganzheitlichen Blick, der auch marginalisierte Lebensrealitäten anerkennt, und kann hier wichtige Impulse geben und eine Lücke füllen.

Dafür braucht es Mut, denn um langfristig erfolgreich zu sein, muss eine FFP in konkreten Fällen glaubhaft bleiben. (2) Im Kontext von Atomwaffen bedeutet dies unter anderem, dass Dialoge über Abrüstung wieder intensiviert werden, Investitionen weg von Atomwaffen gelenkt werden und völkerrechtliche Verpflichtungen eingehalten werden. Auch die Zusage einer Beteiligung an Opferhilfe und Umweltschutz muss sich in konkreter Politikgestaltung widerspiegeln und dabei gendersensibel sein und Intersektionalitäten berücksichtigen. Sicher ist, die feministische Perspektive hinterfragt den Status Quo und zeigt Alternativen auf. Gerade im Bereich der atomaren Abrüstung sind diese Alternativen dringend nötig.

Anmerkungen
(1) The International Campaign to Abolish Nuclear Weapons (ICAN): Wasted: 2022 Global Nuclear Weapons Spending. 2023
(2) Siehe BICC Bonn International Centre for Conflict Studies / HSFK Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung / IFSH Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg / INEF Institut für Entwicklung und Frieden (Hg.): Friedensgutachten 2023. Noch lange kein Frieden. S. 7-8

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Aicha Kheinette ist Referentin bei ICAN Deutschland, Teil der 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen. Zuvor war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag beschäftigt und studierte Internationale Beziehungen an der TU Dresden.