Ein schlechtes Vorbild für Kinder und Enkel

Atomwaffengegner vom Amtsgericht Cochem zu Haftstrafen verurteilt

von Wolfgang Sternstein
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Vorwurfsvoll richtete Oberstaatsanwalt Schmegler den Blick auf die Angeklagten: Die Ärztin Dr. Erika Drees, die Musikpädagogin Hanna Jaskolski und den Friedensforscher Dr. Wolfgang Sternstein: "Bedenken Sie doch, welch schlechtes Vorbild Sie Ihren Kindern und Enkeln bieten." Von seinem Standpunkt aus betrachtet, hatte er ja recht, denn wir, die Angeklagten, konnten jeweils mit einer ellenlangen Latte von Vorstrafen wegen gewaltfreier Aktionen aufwarten. Alle waren schon einmal im Gefängnis gesessen. Kein gutes Vorbild fürwahr für die zehn Kinder, die bei der Personalienfeststellung aktenkundig geworden waren, und die große Schar von Enkeln.

Wir Angeklagte sehen das freilich ganz anders. Was wir getan haben, haben wir für unsere Kinder und Enkel getan, und wer weiß, ob sie sich nicht eines Tages dankbar an uns erinnern werden.

Doch ich habe vorgegriffen. Denn zunächst ist von einer eindrucksvollen Mahnwache mit rund zwanzig Personen vor dem Amtsgericht zu berichten. Wir zeigten bei dieser Gelegenheit die Transparente, die wir auch auf dem Gelände des Fliegerhorsts entfaltet hatten: Völkerrecht achten - Atomwaffen abschaffen, Atombomben in Büchel = 100 x Hiroshima, Ziviler Ungehorsam gegen Atomwaffen, Deutsche Tornados in Büchel - bereit zum Massenmord. Ein großer aus Goldpapier gefalteter Kranich und viele kleine Kraniche bevölkerten die Fußgängerzone. In Japan sind sie zum Symbol der Friedensbewegung geworden. Nicht vergessen werden soll schließlich eine Musikgruppe mit Trompete, Querflöte und Schlagzeug, die die Friedenslieder der Demonstranten begleitete.

Die Verhandlung begann um 14 Uhr. Amtsrichter Johann führte sie betont höflich und korrekt. Doch sah er sich mehrmals veranlasst, das Publikum im überfüllten Gerichtssaal zu ermahnen, Beifalls- oder Missfallensäußerungen zu unterlassen.

Die Anklage lautete auf Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung. Was war geschehen? Am 7. April dieses Jahres war eine Gruppe von sieben Atomwaffengegnern in den Fliegerhorst Büchel eingedrungen, nachdem sie zuvor den Zaun in seiner ganzen Höhe durchschnitten hatten, um einen öffentlichen Zugang zu dem Gelände zu schaffen, auf dem der Atomkrieg von deutschen Tornado-Piloten vorbereitet und eingeübt wird. Sie entfalteten Transparente und wollten gerade zu einer "Inspektion" des Geländes aufbrechen, als sie entdeckt und festgenommen wurden (FF 2/2002, S. 10 f).

Die Angeklagten betonten in ihren jeweils halbstündigen Einlassungen, sie hätten nur ihre staatsbürgerliche Pflicht getan. Wenn schon angeklagt werden müsse, dann die Bundesregierung und der Bundestag, weil sie gegen Verfassungs- und Völkerrecht verstießen. Sie erinnerten noch einmal an die Stellungnahme des Weltkirchenrats von 1983, die die Herstellung und Aufstellung sowie den Einsatz von Atomwaffen als ein Verbrechen gegen die Menschheit brandmarkte, desgleichen an die zahlreichen gleichlautenden Äußerungen der Katholischen Kirche. Sie sprachen die Verfassungswidrigkeit von Atomwaffen an, weil ihrer Meinung nach die nach wie vor gültige "Politik der nuklearen Abschreckung" auf lange Sicht den Atomkrieg nicht verhindern könne, ihn vielmehr auf Grund der Selbstbindung der abschreckenden Staaten geradezu herbeiführe. Die aktuellen weltpolitischen Konflikte im Nahen Osten, zwischen Indien und Pakistan sowie der "Krieg gegen den Terrorismus" machten den Einsatz dieser grausigen Waffen immer wahrscheinlicher, da in allen diesen Konflikten auch Atomwaffenstaaten verwickelt seien. Die Pläne der US-Administration, sie auch als Gefechtsfeldwaffen gegen Nichtatomwaffenstaaten einzusetzen, gäben Anlass zu größter Besorgnis.

Der Bundesregierung warfen die Angeklagten vor, sie verstoße gegen zwei Artikel des Nichtverbreitungsvertrags (NVV) von 1968. Art. VI des NVV verpflichte sie zu Verhandlungen, die eine völlige Abschaffung dieser Waffen zum Ziele haben. Art. II verbiete den Nichtatomwaffenstaaten weder unmittelbare noch mittelbare Verfügungsgewalt über Atomwaffen anzustreben. Die "nukleare Teilhabe der Bundeswehr" in Gestalt des in Büchel stationierten Jagdbombergeschwaders 33, stelle zweifelsfrei eine zumindest mittelbare Teilhabe im Sinne des Art. II dar und sei somit völkerrechtswidrig. Nach Art. 25 des Grundgesetzes seien sie verpflichtet, den "allgemeinen Regeln des Völkerrechts", zu denen auch die Einhaltung internationaler Verträge gehöre, Vorrang vor den deutschen Gesetzen einzuräumen.

Mit keinem Wort gingen Richter und Oberstaatsanwalt auf die Argumente der Angeklagten ein. Wie meistens, wenn man inhaltlich nichts zu bieten hat, tritt die strikte Beachtung von Formalien in den Vordergrund. Der Soziologe und Systemtheoretiker Niklas Luhmann nennt das "Legitimation durch Verfahren". So bot denn auch ein bedauerlicher Zwischenfall bei der Urteilsverkündung dem Richter die Gelegenheit, seine Macht zu demonstrieren. Als ein Zuhörer und eine Zuhörerin bei den Worten des Richters: "Es ergeht folgendes Urteil im Namen des Volkes ..." empört den Saal mit den Worten verließen: "Aber nicht in meinem Namen", ließ er die Personalien feststellen und verhängte eine Ordnungsstrafe von 150 Euro.

Die Urteile: sechs Wochen Haft ohne Bewährung für Dr. Drees und Dr. Sternstein, vier Wochen für Hanna Jaskolski.

Kaum hatte der Richter die Sitzung geschlossen, ertönte das bekannte Lied der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung "We shall overcome", was den Reporter der Lokalzeitung veranlasste, seinen Bericht mit dem Titel: "Im Gerichtssaal gab`s Tumulte" zu versehen.

Die Angeklagten legten Rechtsmittel ein. Noch glimmt ja ein Funken Hoffnung, dass das Bundesverfassungsgericht die drei derzeit anhängigen Verfassungsbeschwerden gegen Urteile des Cochemer Amtsgerichts annimmt.

Wie immer man diese denkwürdige Verhandlung bewerten mag, fest steht, die Urteile sind ausgesprochen milde, bedenkt man, dass die Angeklagten Drees und Sternstein die Bewährungsauflage für eine ähnliche Aktion in Büchel im Sommer 1999 verletzt hatten. In den USA hätten sie für die gleiche Aktion sechs Monate bis sechs Jahre Gefängnis erhalten.

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Dr. Wolfgang Sternstein ist Friedens- und Konfliktforscher mit dem Schwerpunkt Theorie und Praxis der gewaltfreien Aktion. Er kam als Wissenschaftler nach Wyhl, schloss sich aber schon bald der Widerstandsbewegung gegen das Atomkraftwerk an. In seiner Autobiografie „Mein Weg zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit“ berichtet er ausführlich über den „Kampf um Wyhl“.