Aufruf zur Eröffnung eines europäischen Friedensdialogs

von Andreas Buro
Initiativen
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Die dramatische Entwicklung des Krieges und der Menschenrechtsver­letzungen in der Türkei, die millionenfache Vertreibung von Kurden aus ihren Lebensgebieten bis hin zum Übergreifen des Krieges auf den Irak hat Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Literatur und Kultur, aus Politik, Publizistik und Kirchen sowie aus der Friedens- und Bürgerrechtsbe­wegung der Bundesrepublik Deutschland veranlasst, zur Eröffnung eines europäischen Friedensdialoges zwischen den Menschen der Gesell­schaften aufzurufen.

Der Aufruf geht von der Annahme aus, daß sich in der Türkei, wie auch im eu­ropäischen internationalen Umfeld, die Interessen und Kräfte verstärken, die für eine politische Lösung und eine sofor­tige Beendigung des Krieges in der Türkei eintreten. Die Aufforderung zum Friedensdialog richtet sich an Persön­lichkeiten aus den verschiedensten Ar­beits- und Lebensbereichen ebenso, wie an die im Exil lebenden Kurden und Türken. Wir hoffen auf ihre Bereit­schaft, den sicher mühsamen Dialog zu führen und auf ihre Antwort. Wir bitten, in anderen europäischen Ländern ähnli­che Initiativen zu ergreifen, so daß sich vielen Seiten Stimmen erheben.

Aufruf zur Eröffnung eines europäi­schen Friedensdialoges

Krieg in der Türkei:

Die Zeit ist reif für eine politische Lö­sung

Lange sagte man, Weiße und Schwarze könnten niemals gleichberechtigt mit­einander leben. Man mordete, folterte, zerstörte und grenzte aus. Dennoch wurde eine politische Lösung gefunden. In Südafrika zieht wieder Hoffnung ein.

Jahrzehnte hörten wir nur von Drohung und Gegendrohung, von Attentaten und militärischer Ver­geltung zwischen Is­raelis und Palästinensern. Endlich hatte man begonnen, gemeinsam nach Lö­sungen zu suchen. Nach langem Hass ist der Weg schwierig. Doch Hoffnung auf Frieden und Ent­wicklung hat sich er­mutigend entfaltet.

Terror und Gegenterror haben sich in Irland hochgeschaukelt. Mütter wehrten sich mit viel Mut da­gegen. Lange ver­sperrten die Schießwütigen auf beiden Seiten den Weg aus der Sackgasse. Nun hat man das Schießen eingestellt und sucht nach politischen Lösungen. Bald wird keiner mehr wissen, warum man so bitter anachronistisch kämpfte.

Die westeuropäischen Staaten haben sich Jahrhunderte bekriegt. Heute ver­handeln sie ihre Kon­flikte. Im Vielvöl­ker-Kontinent Europa ist es sinnlos, die Vielfalt von Kulturen und Völkern zu leugnen. Ethnischer Nationalismus wie im ehemaligen Jugoslawien ist wie ein Rückfall in schlimmste Barbarei.

In der Türkei herrscht seit Jahren Krieg unter einst befreundeten Völkern. Hun­derttausende, ja, Millionen Kurden wurden aus ihren Lebensgebieten ver­trieben, Dörfer und Landstriche zer­stört. Folter und Mord sind an der Ta­gesordnung. Menschen sterben auf bei­den Seiten. Auch Wirtschaft, Recht, Li­beralität und Kultur fallen dem Krieg zum Opfer. Eine Gesellschaft zerstört sich selbst, statt die Vielfalt der in ihr lebenden Völker und Kulturen als un­schätzbare Bereicherung anzuneh­men und alle Kräfte für ein freundschaftlich gleichberechtigtes Zusammenleben zu mobilisieren.

Freundschaft zur Türkei kann in dieser historischen Situation nur heißen, ihrer großen Gesellschaft aus Türken, Kur­den, Armeniern, aus Moslems, Christen und vielen anderen Völkern und Religio­nen beizustehen, um Gespräche und Verhandlungen für das zukünftige fried­liche Zusammenleben endlich beginnen zu lassen.

Helfen wir alle mit, damit die Vernunft siegt, damit die seit Jahrhunderten be­stehende Freund­schaftsbrücke zwischen Kurden und Türken nicht weiter zerstört wird, die zivilen Kräfte sich stär­ken und Frieden, der Wunsch der großen Mehr­heit dieser Völker, Wirklichkeit werden kann.

Im türkisch-kurdischen Krieg ist es höchste Zeit für eine politische  Lösung.

Auf Einladung von Ulrich Albrecht, Franz Alt, Klaus Bednarz, Andreas Buro, Hans-Peter Dürr, Iring Fetscher, Ute Gerhard, Günter Grass, Jürgen Ha­bermas, Inge Jens, Walter Jens, Marga­rete Mitscherlich, Wolf-Dieter Narr und Horst-Eberhard Richter unterstützen diesen

Aufruf: (z.B.) Heidi Alm-Merk, Karin Benz-Overhage, Renan Demirkan, Helga Einsele, Dieter Hildebrandt, Feli­cia Langer, Cem Özdemir, Lea Rosh, Dorothee Sölle, Martin Walser,

Auch Sie können zur Entfaltung des Dialoges beitragen

*     Sie können unter den Aufruf in Ihrem Bereich Unterschriften sammeln und den Aufruf lokal veröffentlichen.

*     Viele der Unterzeichnerinnen und Unterzeichner sind zum Gespräch mit den Medien bereit. sie können das vor Ort anbieten und vermitteln.

*     Sie können auch beginnen, in Ihrem lokalen/regionalen Umfeld Ihnen be­kannte Kurden und Türken zu einem runden Tisch einzuladen. Dabei ginge es um gemeinsame Suche, wie jeder von seiner Seite zum Frieden beitra­gen könnte.

In der kommenden Zeit geht es nun darum, den Dialog mit Türken und Kur­den im Exil und im Heimatland zu ent­falten, aber auch darum, ihn in andere europäischen Länder zu tragen. Der an­gestrebte Dialog hat zunächst die strate­gisch wichtige Aufgabe, die Möglich­keiten einer politischen Lösung als einen legitimen Anliegen, das nicht ge­gen die Türkei gerichtet ist, in der öf­fentlichen Auseinandersetzung zu ver­ankern. Damit - und das ist das zweite Ziel - sollen auch alle die Kräfte in der Gesellschaft der Türkei legitimiert und geschützt werden, die auf eine politische Lösung drängen und offen für sie ein­treten. Angesichts der Perspektivlosig­keit der gegenwärtigen Konfliktsituation wäre es ein enormer Fortschritt, könnte sich die Auseinandersetzung auf eine neue politische konstruktive Per­spektive verlagern. Die dritte strategi­sche Aufgabe haben wir leidvoll aus dem Bosnien-Krieg gelernt. Wir müssen dafür sorgen, daß aus den Exil-Gemein­den von Türken und Kurden nicht noch Öl ins Feuer des Konfliktes gegossen wird, sondern die Botschaft in die Tür­kei gelangt: Wir Türken und Kurden im Ausland treten ein für Versöhnung und Frieden. Dementsprechend sind runde Tische zu organisieren, dementsprechend müssen wir aber auch gegen jegliche Gewalttätigkeit zwischen den möglichen Dialogpartnern auftreten.

Abschließend ist zu erinnern: Ein Frie­densdialog hat seine Bedingungen. Un­terschiedliche Meinungen sind selbstver­ständlich, das ist das Wesen des Dialoges. Die Forderung nach Einheitsposi­tionen und Geschlossenheit von welcher Seite auch immer, ist unzulässig. Keiner darf ausgeschlossen werden, wie sollte sonst eine Verständigung erreicht wer­den können? Natürlich wäre es enorm hilfreich, es gäbe während der langen Phase des Dialogs Einsichten und Ein­gehen auf die Argumente anderer, und zwar auch im Sinne der Veränderungen der eigenen Position. Das wäre sinn­volles Auf-einander-zugehen, keines­wegs jedoch ein Gesichtsverlust. Fabel­haft wären einseitige deeskalierende Schritte im Kleinen und im Großen. Das Sinnvolles zu tun, auch ohne Gegenlei­stung augenblickliche Gegenleistung, ist weise. Viele solche Anforderungen, die aus dem Bemühen um Dialog entsprin­gen, sind für die meisten der Beteiligten fremd und schwierig. Doch die alten Verhaltensweisen mit ihren fatalen Fol­gen sind hinreichend und noch und noch durchexerziert worden. Wir müssen uns auf Neues einlassen.

 

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