Wie sich die Friedensbewegung neu erfinden kann

Buchbesprechung Abschied vom Pazifismus?

von Christine Schweitzer
Hintergrund
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Der Klappentext macht neugierig: „Will die Friedensbewegung wieder eine ernst zu nehmende Stimme in gesellschaftlichen Debatten werden, so muss sie sich dringend reformieren. Die friedensethischen und -politischen Fragestellungen im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine machen wie unterm Brennglas die Defizite der Bewegung sichtbar: Das ideologisierte Erbe der Vergangenheit, die mangelnde Rezeption wissenschaftlicher Erkenntnisse und das Abdriften in populistische Diskurse haben sie in die Sackgasse geführt“, heißt es da auf der Rückseite des Buches von Johannes Ludwig, das dieses Jahr im Herder-Verlag erschienen ist.
Der 27-jährige Autor Johannes Ludwig arbeitet als Referent für globale Vernetzung und Solidarität im Bistum Limburg. Er studierte u.a. Internationale Beziehungen und Katholische Theologie. „Abschied vom Pazifismus“ ist sein zweites Buch nach seiner Dissertation über die Arbeit des Vatikans bei der UN, die ebenfalls bei Herder herausgekommen ist.

Im ersten Teil des Buches gibt Ludwig einen Überblick über die Geschichte der deutschen Friedensbewegung seit dem 19. Jahrhundert, bei der er auch die DDR nicht ausklammert (was ihn positiv von manch anderen westdeutschen Autor*innen unterscheidet).

In seinem Vorwort beschreibt Ludwig, warum er dieses Buch geschrieben hat. Anstoß waren die Debatten um den Ukraine-Krieg und jetzt das Wiederaufflammen des Nahostkonflikts: „Aus meiner Sicht war und ist es fatal, dass die Stimme der Friedensbewegung in einer Zeit, in der sie am dringendsten gehört werden müsste, zu verstummen droht, weil Teile der Bewegung populistische und teilweise gar verschwörungstheoretische und antisemitische Narrative reproduzieren.“ (S. 9) Dieser Satz spricht auch schon eine der Hauptkritiken des Autors an der gegenwärtigen Friedensbewegung aus – den Einfluss, den populistische und rechtsoffene Gruppierungen auf sie nehmen. Eine zweite ist die Überalterung der Bewegung, die es nicht geschafft habe, den Generationenwechsel zu vollziehen. Und sie halte an alten Dogmen und Slogans fest, die überholt seien, etwa „Frieden schaffen ohne Waffen“. Wer jetzt meint, sie oder er wisse jetzt schon, was im Buch steht, und brauche eigentlich nicht weiterlesen, würde einen Fehler machen. Ludwig versucht nicht, Kriegsbeteiligungen oder Waffenlieferungen als ‚neuen Pazifismus‘ zu verkaufen. Was er fordert, ist eine neuerliche und vertiefte Auseinandersetzung mit der Friedensethik, bei der anerkannt wird, dass es unauflösbare Dilemmata gibt und Friedensbewegte sich diesen Dilemmata stellen sollten. Dazu gehört laut Ludwig auch, die historischen Grundüberzeugungen der Friedensbewegung als solche zu erkennen und neu zu evaluieren.
Außerdem müsse die Friedensbewegung sich mit gezielten Vorstößen an die richtigen Zielgruppen wenden und dabei dem Vorbild anderer, jüngerer Bewegungen folgen, die, wie Fridays for Future, durch gezielte Strategien politischen Wandel herbeigeführt haben. Auch die Friedensbewegung habe in ihrer Geschichte mit spezifischen Forderungen Erfolg gehabt, etwa beim Verbot von Landminen und Streumunition.

Seine letzte Empfehlung ist, positive Deutungsrahmen für friedenspolitische Themen anzubieten. Man solle nicht immer über Gefahren sprechen, sondern die „Attraktivität des Friedens vor Augen führen“. (S. 192)

Ludwig legt an einigen Stellen die Finger in die Wunde der Friedensbewegung. Ihre Überalterung, ihr Versagen bei der Abgrenzung von rechtsextremistischen und populistischen Positionen und ihr Verharren in Denkformen, die zumeist eher den 1980er Jahren als der heutigen Zeit entsprechen, können kaum widersprochen werden, Die Rezensentin hatte allerdings den Eindruck, dass er, sprichwörtlich ausgedrückt, ‚das Kind mit dem Bade ausschüttet‘. Atomwaffen sind im Jahr 2024 nicht weniger gefährlich, als sie es in den 1950 oder 1980er Jahren waren. Und er übersieht völlig jene Teile der Friedensbewegung, die konstruktive Ansätze verfolgten und verfolgen – von der praktischen auf Versöhnung gerichteten Arbeit im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahren bis zu Alternativen wie der Sozialen Verteidigung. An einer Stelle erwähnt er zwar „Friedenserziehung, Versöhnungsarbeit und Vergangenheitsbewältigung“ als „eminente Felder der Friedensarbeit“ (S. 36-37), aber im Fortgang des Buches fallen sie dann doch hinten runter. Trotz dieser Kritik: Dieses Buch ist lesenswert! Vielleicht mag man nicht an allen Stellen mit ihm mitgehen, aber es ist ein wichtiger Beitrag zu einer Weiterentwicklung und Modernisierung der Friedensbewegung, die so dringlich notwendig ist.

Ludwig, Johannes (2024): Abschied vom Pazifismus? Wie sich die Friedensbewegung neu erfinden kann, Freiburg: Herder, 208 S., ISBN 978-451-39749-3, 24,- Euro

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.