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Das Friedensgebot des Grundgesetzes und der UN-Charta
von1. Nach Art. 1 Ziff. 1 der UN-Charta ist es das – gerade auch durch seine Platzierung herausgehobene – zentrale Ziel der Vereinten Nationen, „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen. ...“ Dies geschieht – wie es in der Präambel der UN-Charta heißt – deshalb, weil die Völker der Vereinten Nationen „fest entschlossen (sind), künftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren.“
Dafür sieht die UN-Charta neben der zwingenden Verpflichtung zur friedlichen Beilegung aller Streitigkeiten (Art. 2 Ziff. 3 UN-Charta) und dem allgemeinen Verbot der Anwendung und Androhung von Gewalt (Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta) ein „kollektives Sicherheitssystem“ vor. Dazu gehören insbesondere zahlreiche Verfahren, die dazu dienen sollen, den Frieden zu sichern. Im Mittelpunkt stehen dabei die Kompetenzen des UN-Sicherheitsrates. Sie eröffnen diesem ein weites Spektrum von Möglichkeiten, die im Kapitel VI von der freundlichen Ermahnung über Empfehlungen und spezielle Verfahren zur Konfliktbeilegung bis hin zu der in Kapitel VII vorgesehenen Verhängung von Sanktionen sowie zur Androhung und Anwendung militärischer Zwangsmaßnahmen reichen. Voraussetzung sowohl für nicht-militärische Sanktionen nach Art. 41 UN-Charta als auch für militärische Zwangsmaßnahmen nach Art. 42 UN-Charta ist stets, dass der UN-Sicherheitsrat zuvor nach Art. 39 UN-Charta förmlich feststellt, dass „eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung (Aggression) vorliegt.“
Für die Kompetenzen des UN-Sicherheitsrates ist damit der Friedensbegriff von entscheidender Bedeutung. Er ist in der UN-Charta nicht definiert. Das macht Probleme. Umfasst er nur die Abwesenheit eines zwischenstaatlichen Krieges oder, wie ich meine, schon wegen möglicher Auswirkungen für die internationale Sicherheit auch von Bürgerkrieg? Gehören dazu auch die Verhinderung von Flüchtlingsströmen, von schweren Menschenrechtsverletzungen? Das ist mittlerweise weithin anerkannt. Aber umstritten bleibt: Ist der Frieden etwa auch bedroht im Falle der Behinderung des Zugangs zu Rohstoffquellen oder Absatzmärkten oder zu wichtigen Wasserstraßen? Allgemein lässt sich feststellen: Je weiter der Friedensbegriff ausgelegt wird, umso weiter gehen die Kompetenzen des UN-Sicherheitsrates bei der möglichen Feststellung einer Bedrohung oder eines Bruchs des Friedens und bei der Festlegung der von ihm für erforderlich gehaltenen Maßnahmen. Hier hat der UN-Sicherheitsrat eine weite Einschätzungsprärogative und relativ große Gestaltungsfreiheit.
2. Militärische Gewaltanwendung durch die UN ist dabei nach der UN-Charta nur noch in zwei Formen vorgesehen bzw. zugelassen.
2.1 Zum einen ist militärischer Gewalteinsatz als Instrument des kollektiven UN-Sicherheitssystems durch eigene UN-Streitkräfte nach Art. 42 UN-Charta vorgesehen, wenn diese durch die Mitgliedsstaaten freiwillig in speziellen Abkommen nach Art. 43 UN-Charta zur Verfügung gestellt werden und dann unter der Ägide eines UN-Generalstabsausschusses (Art. 47 UN-Charta) eingesetzt werden. Dazu ist es bisher nie gekommen, weil ein solcher militärischer Generalstab der UNO wegen des Widerstands der UN-Mitgliedsstaaten nie errichtet und weil solche Gestellungsabkommen bisher nie abgeschlossen worden sind.
Zum andere sieht Art. 53 UN-Charta vor, dass der UN-Sicherheitsrat „regionale Abmachungen“ (z. B. etwa die „Arabische Liga“, die „Afrikanische Union“ (AU) oder bei entsprechender Fortentwicklung auch die „OSZE“) nach Maßgabe seiner Vorgaben zu militärischer Gewaltanwendung ermächtigen kann.
2.2 Darüber hinaus hat sich in den letzten Jahren die völkergewohnheitsrechtliche Praxis herausgebildet, dass der UN-Sicherheitsrat einzelne Staaten oder in Bündnissen zusammengeschlossene Staaten nach Art. 42 i.V.m. Art. 48 UN-Charta zum militärischen Gewalteinsatz ermächtigen kann („Modell Golfkrieg 1991).
2.3 Daneben gibt es seit Jahrzehnten auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage die sog. UN-Peacekeeping-Operationen, die aber voraussetzen, dass die jeweiligen Konfliktparteien in die Stationierung und Tätigkeit einwilligen.
3. Der Gewalteinsatz durch Einzelstaaten oder Staaten-Bündnisse (z.B. NATO)- ohne zumindest eine Ermächtigung durch den UN-Sicherheitsrat – ist dagegen nach der UN-Charta grundsätzlich verboten. Das völkerrechtliche Gewaltmonopol in Art. 2 Ziff.4 UN-Charta und die Art. 2 Ziff. 3 normierte Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung sind für die Mitgliedsstaaten der UN die zentralen Verhaltensnormen, die die UN-Charta zur Sicherung des Friedens aufstellt. Sie gehören auch zum „jus cogens“, das nicht vertraglich abdingbar ist, und zum Völkergewohnheitsrecht. Vom Gewaltverbot gibt es für Einzelstaaten nach der UN-Charta nur die Ausnahme des individuellen und des kollektiven Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51, solange der UN-Sicherheitsrat nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.
Dieses Selbstverteidigungsrecht ist allerdings die zentrale Achillesferse des kollektiven Sicherheitssystems der UN. Das wird an den folgenden Fragen aktuell besonders deutlich: Steht die Definitionsmacht über das Vorliegen eines „bewaffneten Angriffs“ allein dem Einzelstaat zu, der geltend macht, angegriffen zu sein? Das ist zu verneinen. Die Frage ist vielmehr nach einem „objektiven Empfängerhorizont“ zu beantworten. Schon lange ist umstritten: Welche Formen der bewaffneten Gewaltanwendung („armed attack“), die zur Selbstverteidigung berechtigt, werden von Art. 51 UN-Charta erfasst, z.B. auch der Gewalteinsatz durch private Terrorbanden? Antwort: wohl nur dann, wenn diese „private Gewalt“ einem Staat zurechenbar ist. Und weiter: Berechtigt das Selbstverteidigungsrecht – wie etwa US-Regierungen, aber auch israelische Regierungen nicht selten meinten – auch zum Präventivkrieg oder zum „preemptive strike“? Das wird in den verschiedenen Völkerrechtskreisen bis heute zu Recht überwiegend verneint.
4. Auch die Regelungen des UN-Systems der „kollektiven Sicherheit“ enthalten gravierende Schwachstellen, auf die ich hier nicht näher eingehen kann. Einige wenige Hinweise müssen genügen: Wer stellt fest, ob der Sicherheitsrat im Sinne des Art. 51 UN-Charta die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, die die weitere Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechts ausschließen? Was soll und was kann geschehen, wenn der UN-Sicherheitsrat z.B. wegen des Veto-Rechts eines Ständigen Mitgliedes sich nicht zu einem Handeln zur Abwendung des Bruchs oder der Bedrohung des Friedens oder einer Aggression entscheiden kann?[i] In welcher Weise unterliegt der UN-Sicherheitsrat einer rechtlichen Kontrolle? Hier besteht Klärungsbedarf, im Grundsätzlichen und im jeweiligen konkreten Einzelfall. Dabei ist klar: Völkerrechtliche Streitfragen müssen nach geltendem Völkerrecht ausschließlich friedlich (Art. 2 Ziff. 3 sowie Art. 33-38 UN-Charta), vor allem durch den UN-Sicherheitsrat sowie durch die Einschaltung des Internationalen Gerichtshofes (Art. 36 Abs. 3, Art. 92-96 UN-Charta) oder durch spezielle Abmachungen und Verfahren geklärt werden.[ii]
Ungeachtet dieser und anderer von der UN-Charta bisher nicht hinreichend gelösten Fragen kann und muss jedoch festgehalten werden: Die 1945 nach der Weltkatastrophe des 2. Weltkrieges geschaffene UN-Charta mit ihrem grundsätzlichen Verbot jeder einzelstaatlichen Anwendung und Androhung von Gewalt sowie die durch sie erfolgte Etablierung eines – wenn auch nur rudimentären – kollektiven Sicherheitssystems der UN sind eine zentrale historische Errungenschaft der Menschheit, die es zu verteidigen und fortzuentwickeln gilt. Das dürfen wir uns nicht kaputtreden lassen.
Die neun zentralen Elemente des Friedensgebotes des Grundgesetzes
Wenn vom „Friedensgebot“ oder von der „Friedensstaatlichkeit“ des Grundgesetzes gesprochen wird, wird zu Recht regelmäßig vor allem auf die folgenden neun Regelungskomplexe Bezug genommen:
1. Präambel und Art. 1 Abs. 2 GG
In der Präambel des GG heißt es, dass das „Deutsche Volk“, „von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“, sich kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben hat. Ferner wird in Art. 1 Abs. 2 GG deklamiert, dass sich das Deutsche Volk „zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“ bekennt. Diese Bestimmungen enthalten also eine normative Verpflichtung aller deutschen staatlichen Gewalt auf „den Frieden“, ohne jedoch nähere inhaltliche Festlegungen zu treffen. Insbesondere wird offen gelassen, inwiefern und in welcher Hinsicht Frieden ein „Mehr“ ist als jedenfalls die Abwesenheit von Krieg („pax absentia belli“).
2. Art. 26 GG
Die Vorschrift enthält vier Sub-Regelungen:
a) das Verbot, die „Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten“ (Satz 1),
b) das Verbot aller „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören“ (Satz 1 GG),
c) der Auftrag an den Gesetzgeber zur Pönalisierung aller Verstöße gegen dieses verfassungsrechtliche Verdikt „Art. 26 Abs. 1 Satz 2 GG) sowie
d) die Genehmigungspflichtigkeit von „zur Kriegsführung bestimmter Waffen“ (Art. 26 Abs. 2 GG).
Diese Vorgaben binden sowohl alle deutsche Staatsgewalt im In- und Ausland als auch alle in- und ausländischen natürlichen und juristischen Personen, die sich im Bundesgebiet aufhalten. Dies gilt auch für die ausländischen Streitkräfte, die im Bundesgebiet stationiert sind und damit – auch nach dem NATO-Recht – hier das inländische Recht zu beachten haben. Damit gilt auch für sie, dass auf deutschem Territorium weder ein Angriffskrieg vorbereitet oder begonnen noch von hier aus unterstützt werden darf. Ebenso wenig darf hier eine „Friedensstörung“ im Sinne des Art. 26 GG stattfinden oder von hier aus von ihnen Unterstützung erfahren.
Bis heute ist allerdings ein hinreichendes Ausführungsgesetz zu Art. 26 GG, mit dem das Verfassungsgebot konkretisiert werden muss, nicht ergangen. Die – manche sagen: absichtsvoll – missglückten Strafrechtsnormen in § 80 („Vorbereitung eines Angriffskriegs“) und § 80a StGB („Aufstacheln zum Angriffskrieg“) sind sehr unzureichend. Ich will einige gravierende Defizite dieser Bestimmungen kurz benennen:
a) Der Wortlaut des § 80 StGB erwähnt nur die „Vorbereitung“, nicht aber die Auslösung und Führung eines Angriffskrieges. Gerade auch die Führung eines Angriffskrieges und jede Mitwirkung hieran strafbar zu machen, sind aber der klare Sinn und Zweck des Art. 26 Abs. 1 GG. Dies war und ist auch der ausdrückliche Willen des Gesetzgebers von § 80 StGB, der dies in der Gesetzesbegründung klar zum Ausdruck gebracht hat: „§ 80 umfasst nicht nur, wie der Wortlaut etwa annehmen lassen könnte, den Fall der Vorbereitung eines Angriffskrieges, sondern erst recht den nach der Auslösung eines solchen Krieges.“ (BT-Drucksache V/2860, S. 2, rechte Spalte, 2. Absatz). Die Generalbundesanwaltschaft (GBA) in Karlsruhe ist darüber jedoch in mehreren Einstellungsentscheidungen hinweggegangen und sieht nur die „Vorbereitung“, nicht jedoch die Führung eines Angriffskrieges als von § 80 StGB erfasst an. Das bedarf der Korrektur.
b) Der deutsche Gesetzgeber hat es bisher versäumt, den Tatbestand des Angriffskrieges in § 80 StGB hinreichend bestimmt zu definieren und damit rechtsstaatlich anwendbar zu machen. Ebenso hat er es unterlassen, ihn in das deutsche Völkerstrafgesetzbuch[iii] aufzunehmen. Allerdings: Dieses Verbrechen ist bereits heute nach Straf-Völkergewohnheitsrecht strafbar. Der völkergewohnheitsrechtliche Straftatbestand umfasst jedenfalls jede massive Anwendung staatlicher militärischer Gewalt in eindeutiger Verletzung des Gewaltverbotes nach Art. 2 Nr. 4 UN-Charta.[iv] Das muss bei der Auslegung und Anwendung des Art. 26 GG und des § 80 StGB im Wege einer völkerrechtskonformen Auslegung (Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG) berücksichtigt werden.
c) Die weitere in der in den 60er Jahren während des Vietnam-Krieges geschaffenen Strafrechtsnorm des § 80 StGB enthaltene Beschränkung der Strafbarkeit auf die Vorbereitung eines Angriffskrieges, an dem Deutschland beteiligt ist, missachtet die Vorgaben des Art. 26 GG. Denn Art. 26 GG verbietet – wie auch Art. 20 Abs. 3 und Art. 25 GG[v] - jede im Bundesgebiet erfolgende Vorbereitung „eines“ Angriffskrieges und dessen Unterstützung, mag dieser dann auch ohne direkte Beteiligung deutscher Soldaten, jedoch mit anderweitiger Unterstützung (z.B. Geld, Gewährung von Überflugrechten, Nutzung von militärischen Einrichtungen in Deutschland, Logistikleistungen, Nachschub etc.) stattfinden.
d) Die §§ 80, 80a StGB beschränken ihren Anwendungsbereich zudem auf Handlungsweisen, die auf einen „Angriffskrieg“ abzielen, obgleich Art. 26 GG diesen „nur“ exemplarisch nennt. Der volle Regelungsbereich des Art. 26 GG umfasst das Verbot jeder im Bundesgebiet stattfindenden „Friedensstörung“. Um rechtsstaatlich handhabbar zu sein, müssten in §§ 80, 80a StGB sowohl der „Friedens“-Begriff als auch die Art der erfassten Störungshandlung definiert werden.
e) Ferner muss der Gesetzgeber hinreichend klar regeln, worauf die Absicht der Friedensstörung gerichtet sein muss. Die jetzige Fassung der §§ 80, 80a StGB, die den missglückten Wortlaut des Art. 26 Abs. 1 GG lediglich wiederholt, ist hinsichtlich des Friedensstörungsverbots praktisch nicht anwendbar: Wie soll einem Friedensstörer nachgewiesen werden, er erhalte sich so konkret in der „Absicht…, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören“? Notwendig ist eine Regelung, die das subjektive Tatbestandmerkmal der „Absicht“ auf einen (abstrakten) Taterfolg bezieht, der nach gesicherter Erkenntnis für eine Friedensstörung kausal werden kann.
f) Völlig unangemessen ist auch, die Zuständigkeit für die Verfolgung von Straftaten nach § 80 und § 80a StGB dem GBA zu überantworten,[vi] so lange dieser dem Bundesjustizminister untersteht, also dessen Erwartungen und Weisungen unterworfen ist und als politischer Beamter bei fehlendem „Vertrauen“ des Ministers ohne Angabe von Gründen durch die Exekutive jederzeit abberufen werden kann. Kann man sich vorstellen, dass ein dergestalt von der Exekutive abhängiger GBA unter Umständen auch gegen die Bundesregierung hinreichend ermittelt?
g) Des Weiteren fehlen im Ausführungsgesetz zu Art. 26 GG Regelungen über wirksame nicht-strafrechtliche Mittel zur Effektivierung des Friedensstörungsverbots. In Betracht gezogen werden sollten insbesondere die wirksame und gesetzlich abgesicherte Förderung der Friedenspädagogik, der Friedens- und Konfliktforschung, von Anti-Rassismus[vii]- und Anti-Kriegsprogrammen[viii], aber etwa auch ein erweiterter Anspruch von Opfern von Friedensstörungen auf presserechtliche Gegendarstellung (gegenüber friedensstörender Berichterstattung in der Presse und andere Medien), auch für ausländische Antragsteller.
3. Art. 9 Abs. 2 GG
Nach dieser Bestimmung sind Vereinigungen, die sich „gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten“, verboten. Davon erfasst werden insbesondere auch Organisationen, die rassistische, kriegsverherrlichende oder chauvinistische Parolen verbreiten oder gar zu Gewaltaktionen oder zur Diskriminierung gegen ausländische Mitbürger aufrufen.
4. Art. 25 GG sowie Art. 20 Abs. 3 GG
Ein besonders wichtiges Element des Friedensgebotes des GG ist die normierte Bindung an „Recht und Gesetz“ (Art. 20 Abs. 3 GG) und an die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ (Art. 25 GG).
Zum auch in Deutschland nach wie vor geltenden Völkerrecht gehört u.a. der „Vertrag über die Ächtung des Krieges“ (Briand-Kellog-Pakt) vom 27.8.1928, dem Deutschland wirksam beigetreten ist[ix] und zu dessen Vertragsparteien es bis heute gehört. Dieser sieht völkerrechtlich bindend vor, dass die Vertragsparteien „den Krieg als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle verurteilen “ und auf ihn „als Werkzeug nationaler Politik in ihren gegenseitigen Beziehungen verzichten“. Obwohl dieser bindende völkerrechtliche Vertrag in der vom Bundesjustizministerium herausgegebenen Sammlung der für Deutschland geltenden völkerrechtlichen Verträge[x] - zutreffenderweise – enthalten ist, wird er mit seinem klaren Verbot des Krieges „als Mittel für die Lösung internationaler Streitfälle“ und „als Werkzeug nationaler Politik“ zumeist nicht einmal zur Kenntnis genommen. Das darf nicht länger hingenommen werden. Die NGOs sollten dies künftig in geeigneten Fällen öffentlichkeitswirksam einfordern.
Art. 25 GG statuiert daneben eine Bindung an die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ (Art. 25 GG), die zum „Bestandteil des Völkerrechts“ erklärt sind und den innerstaatlichen Gesetzen vorgehen. Die in Art. 25 Satz 1 GG verankerte strikte Bindung aller staatlichen Organe an die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“, d.h. vor allem an das Völkergewohnheitsrecht und das sog. zwingende Völkerrecht („jus cogens“), umfasst insbesondere das völkerrechtliche Gewaltverbot (verankert auch in Art. 2 Nr. 4 UN-Charta), die völkerrechtliche Beschränkung des einzelstaatlichen Rechts auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung (Art. 51 UN-Charta), die souveräne Gleichheit aller Staaten, die Gewährleistung der in den internationalen Abkommen gewährleisteten Menschenrechte und ihre Durchsetzung nur nach Maßgabe der UN-Charta sowie ferner die zentralen Regelungen des sog. humanitären Kriegsvölkerrechts („Genfer Konventionen“).
Die in Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 25 GG normierten Bindungen haben unmittelbare Auswirkungen für alle Rechtsbereiche, und zwar zumindest in dreifacher Hinsicht:
a) Das gesamte deutsche Recht muss völkerrechtskonform ausgelegt und angewendet werden.[xi]
b) Deutsche Stellen dürfen im In- und Ausland, auch in internationalen Gremien etwa der EU oder der NATO, nicht an Aktionen oder Beschlüssen mitwirken, die einen Verstoß gegen geltendes Völkerrecht beinhalten oder bewirken.[xii]
c) Hoheitsakte – z.B. auch gegenüber Soldaten erteilte Befehle -, die gegen Art. 25 GG verstoßen (z.B. die Unterstützung von Militäraktionen, die gegen die UN-Charta oder Völkergewohnheitsrecht verstoßen), sind verfassungswidrig und nichtig. Sie brauchen nicht befolgt zu werden.[xiii]
Art. 25 GG ordnet darüber hinaus in seinem Satz 2 an, dass diese „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ allen innerstaatlichen Gesetzen vorgehen sowie unmittelbare Rechte und Pflichten für alle Bewohnerinnen und Bewohner des Bundesgebiets begründen. Das ist eine revolutionäre Neuheit in der deutschen Rechtsgeschichte, auch im internationalen Vergleich. Diese Regelung ist kein Redaktionsversehen des Verfassungsgebers, sondern von den Müttern und Vätern des GG ausdrücklich gewollt. In den Beratungen des Verfassungsgebers, des Parlamentarischen Rates, kommt dies unmissverständlich, insbesondere in den Beiträgen Carlo Schmids, zum Ausdruck. Alle Änderungsanträge auf Streichung oder Änderung dieser revolutionären Neuregelung wurden im Parlamentarischen Rat abgelehnt. Carlo Schmid setzte sich durch. Dabei ist es im Text des Grundgesetzes bis heute geblieben.
Leider ist diese Regelung in ihrer Tragweite bis heute nicht hinreichend erkannt und entfaltet worden. Das gilt etwa im Hinblick auf die Bestimmung der Klagebefugnis (§42 VwGO) und die Zuerkennung von rüge- und klagefähigen „eigenen Rechten“ in verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren. Von Bedeutung kann dies auch für das Demonstrationsrecht sein, insbesondere für die Auslegung und Anwendung der in § 15 VersG relevanten Tatbestandsmerkmale der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ oder auch für die Zuerkennung eines Rechtfertigungsgrundes bei strafrechtlichen Vorwürfen (z.B. im Falle des Tatvorwurfs einer Nötigung nach § 240 StGB bei sog. Sitzblockaden). Ein weiterer Anwendungsbereich könnte die Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Haftung bei Amtspflichtverletzungen (Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB) sein.
5. Art. 24 Abs. 1 GG
Art. 24 Abs. 1 GG enthält die Option, Hoheitsrechte durch (einfaches) Bundesgesetz auf „zwischenstaatliche Einrichtrungen“ übertragen zu können. Hiervon ist vielfach Gebrauch gemacht worden, zum Beispiel bei der Etablierung des Internationalen Seegerichtshofes.
6. Art. 24 Abs. 3 GG
Art. 24 Abs. 3 GG sieht vor, dass sich Deutschland einer allgemeinen, umfassenden, obligatorischen internationalen Gerichtsbarkeit unterwerfen wird, um seine Verpflichtung auf das gesamte geltende Völkerrecht und dessen Beachtung überprüfbar zu machen. Dem war Deutschland 59 Jahre nicht nachgekommen. Erst vor etwa einem Jahr hat nunmehr das deutsche Bundeskabinett am 30.4.2008 der von Außenminister Steinmeier beabsichtigten Erklärung gegenüber der UN zugestimmt, dass sich die Bundesrepublik Deutschland künftig der obligatorischen Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag unterwirft. Dies ist auch umgesetzt worden. Allerdings ist diese Erklärung mit einem doppelten (Militär-)Vorbehalt verbunden worden, die sie gerade in militärischen Konfliktfällen weithin wertlos macht.[xiv]
7. Art. 23 GG
Zu den friedensstaatlichen Regelungen des GG gehört auch die jetzt in Art. 23 GG enthaltene Verpflichtung zur Mitwirkung an der europäischen Einigung, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann.
8. Art. 20 Abs. 1 GG („Demokratiegebot“)
Von besonderer Bedeutung für die Friedensstaatlichkeit des GG ist ferner das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Demokratieverbot. Dies hat besondere Relevanz für das Verhältnis von Gesetzgeber und Exekutive in der Außen- und Sicherheitspolitik.
Die Einflussmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger auf die Entscheidungen gerade in außen-, sicherheits- und militärpolitischen Fragen, insbesondere bei der Entscheidung über konkrete Militäreinsätze, sind jedoch bis heute in der Praxis nach wie vor recht gering. Nicht einmal eine hinreichend effektive Kontrolle der politischen und militärischen Exekutive durch das Parlament ist gesichert. Ich nenne nur drei Problemfelder:
a) Die faktische Aushöhlung des Parlamentsvorbehalts durch Vor-Festlegungen im NATO-Bündnis und in den EU-Strukturen mit der Folge, dass sich jede Kritik an einem im Bündnis vorbereiteten und beschlossenen konkreten Militäreinsatz regelmäßig dem Vorwurf mangelnder „Bündnisfähigkeit“ ausgesetzt sieht. Bei einer nach wie vor hohen Akzeptanz der Mitgliedschaft im NATO-Bündnis ist die ein wichtiger struktureller Standortnachteil der Kritiker.
b) Die mangelnde effektive parlamentarische Kontrolle dieser internationalen Strukturen in NATO und EU vor allem in Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik. Auch im aktuellen „EU-Vertrag von Lissabon“, den der Deutsche Bundestag – wie das BverfG zwischenzeitlich festgestellt hat – ohne ein hinreichendes, die parlamentarischen Kontrollrechte wahrendes Begleitgesetz gebilligt hat, wird das EU-Parlament von einer Mitentscheidungskompetenz bei Militäreinsätzen im Rahmen der EU explizit ausgeschlossen. Erst recht hat im Bereich der NATO die „Parlamentarische Versammlung“ keine effektiven Kontrollkompetenzen gegenüber dem NATO-Rat und dessen politischen und militärischen Instanzen.
c) Es bestehen generell unübersehbare strukturelle Kontrolldefizite der nationalen Parlamente, auch des Deutschen Bundestages, vor allem in der Sicherheits- und Militärpolitik. Das gilt für nahezu alle Parlamente der westlichen Demokratien. Sie sind weit von Immanuel Kants Postulaten entfernt. Die Stäbe der politischen und militärischen Exekutive verfügen über beträchtliche finanzielle, personelle und informationelle Ressourcen für den Planungs- und Entscheidungsprozess. Dem können die deutschen Parlamentarier - anders als etwa der US-Kongress in den USA – bislang nichts Gleichwertiges entgegen setzen. Eine effektive parlamentarische Kontrolle der Exekutive gerade im Bereich der Militärpolitik setzt voraus, die Exekutive mit qualifizierten umsetzbaren Alternativen konfrontieren zu können.
Hinzu kommt das Problem der Geheimunterrichtung: Parlamentarische Kontrolle ohne die Möglichkeit, die von der Exekutive enthaltenen Informationen – vor allem bei erfolgten Rechtsbrüchen – auch zur verantwortlichen Unterrichtung der Bürgerinnen und Bürger, des Souveräns, und ggf. auch zu deren Mobilisierung gegen die konkrete Regierungspolitik nutzen zu können, ist keine wirksame parlamentarische Kontrolle.
9. Art. 24 Abs. 2 GG
Während Absatz 1 des Art. 24 GG die Möglichkeit eröffnet, Hoheitsrechte durch einfaches Gesetz auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen, sieht Absatz 2 die Option einer Einordnung „in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ vor.
9.1 Das BVerfG hat in seiner Out-of-Area-Entscheidung vom 12.7.1994[xv] - anders als in seiner früheren Rechtssprechung – argumentiert, besser gesagt: behauptet, es sei „unerheblich“, ob das von Art. 24 Abs. 2 GG adressierte „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ „ausschließlich oder vornehmlich unter den Mitgliedsstaaten Frieden garantieren oder bei Angriffen von außen zum kollektiven Beistand verpflichten soll“.[xvi] Entscheidend sei, dass das System „durch ein friedenssicherndes Regelwerk und den Aufbau einer eigenen Organisation für jedes Mitglied einen Status völkerrechtlicher Gebundenheit (begründet), und dieser Status der völkerrechtlichen Gebundenheit „wechselseitig zur Wahrung des Friedens verpflichtet“ und „Sicherheit gewährt“. Auf dieser Grundlage hat das BVerG dann die NATO als ein „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ i.S. von Art. 24 Abs. 2 GG qualifiziert.
Meine These ist: Diese Argumentation des BVerfG geht an Normstruktur und Norminhalt des Art. 24 Abs. 2 GG vorbei und implantiert so in diese Verfassungsnorm in ungerechtfertigter Weise eine abweichende, ja konträre sicherheitspolitische Grundkonzeption.
9.2 Im Völkerrecht ist seit Jahrzehnten klar: „Kollektive Sicherheit und Bündnisse widersprechen sich fundamental.“[xvii] Was sind diese fundamentalen Unterschiede, worin bestehen sie? Es lassen sich vier zentrale Kriterien festhalten:
a) Verteidigungsbündnisse und „Systeme kollektiver Sicherheit“ reflektieren zwei entgegengesetzte Konzeptionen von Sicherheitspolitik.
Das Grundkonzept von Verteidigungsbündnissen basiert auf Sicherheit durch eigene Stärke und die Stärke der eigenen Verbündeten. Es ist „partikulär-egoistisch“. Denn es verankert die eigene Sicherheit nicht zugleich in der Sicherheit des potentiellen Gegners, also gerade nicht in der gemeinsamen Sicherheit, sondern im Gegenteil in der relativen Schwäche und Unterlegenheit des potentiellen Gegners.
Die Grundkonzeption kollektiver Sicherheit, die in der Periode zwischen den beiden Weltkriegen als bewusste Alternative zu den tradierten sog Verteidigungsbündnis-Systemen entwickelt wurde, basiert dagegen auf der Sicherheit aller potentiellen Gegner durch die Reziprozität innerhalb einer internationalen Rechtsordnung. Es gründet auf dem Konzept der gemeinsamen Sicherheit.
b) Anders als ein System kollektiver Sicherheit ist ein Verteidigungsbündnis – so auch die NATO – nicht auf Universalität im Sinne des Einschlusses potentieller Aggressoren angelegt.
So steht die NATO – bezeichnenderweise anders als das System „kollektiver Sicherheit“ der UNO – nicht jedem Beitrittswilligen offen, der die im NATO-Vertrag verankerten Ziele anerkennt. Dementsprechend haben die NATO und ihre Mitgliedsstaaten sowohl in den Jahren 1954/55 als auch im Zusammenhang mit den NATO-Osterweiterungen der letzten Jahre Begehren der früheren Sowjetunion und Russlands auf Einbeziehung in das NATO-Bündnis ausdrücklich abgelehnt.
c) Drittens - und dies ist ein weiterer gravierender Unterschied eines Verteidigungsbündnisses zu einem kollektiven Sicherheitssystem – enthält der NATO-Vertrag für den Fall eines von einem eigenen Mitgliedsstaat begangenen Aggressionsaktes keine verbindlichen internen Konfliktreglungsmechanismen. Eine NATO-interne Verpflichtung der übrigen NATO-Partner, dem einen Aggressionsakt begehenden NATO-Verbündeten mit kollektiven NATO-Zwangsmaßnahmen entgegenzutreten, sieht der NATO-Vertrag gerade nicht vor. Dieses Defizit ist typisch für ein Bündnis zur kollektiven Verteidigung, das ja gerade zur Verteidigung gegen einen potenziellen externen Aggressor geschlossen wird.
d) Die NATO etabliert auch – dies ist der vierte wesentliche Unterschied zu einem System kollektiver Sicherheit – keine den Mitgliedsstaaten übergeordnete zwischenstaatliche oder supranationale Gewalt einer organisierten und rechtlich geordneten Macht nach dem Modell der Vereinten Nationen.
9.3. Art. 24 Abs. 2 GG knüpft an diese vierfach typisierte völkerrechtliche Begrifflichkeit und fundamentale Unterscheidung zwischen einem „kollektiven Sicherheitssystem“ und einem „kollektiven Verteidigungsbündnis“ an und inkorporiert diese Unterscheidung in das deutsche Verfassungsrecht. Diese Unterscheidung ist für die konzeptionelle Orientierung der deutschen Außen -und Sicherheitspolitik äußerst bedeutsam – rechtlich und verfassungspolitisch.
a) Rechtlich bedeutsam ist der Unterschied zwischen einem kollektiven Verteidigungsbündnis und einem System kollektiver Sicherheit vor allem im Hinblick auf die in Betracht kommende Rechtsgrundlage für Einsätze der Bundeswehr. Für militärische Einsätze „zur Verteidigung“ auf der Grundlage von Art. 51 UN-Charta, also zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, ist Rechtsgrundlage allein Art. 87a GG („nur zur Verteidigung“). Denn diese Bestimmung ist insoweit lex specialis. Art. 24 Abs. 2 GG scheidet dafür auch deshalb aus, weil diese Regelung auf Verteidigungsbündnisse keine Anwendung findet. Art. 24 Abs. 2 GG kommt als Rechtsgrundlage nur für Einsätze im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems wie der UNO oder vielleicht einmal bei entsprechender Ausgestaltung der OSZE und nur dann in Betracht, wenn dabei die deutschen Streitkräfte tatsächlich im Rahmen und nach den Regeln dieses kollektiven Sicherheitssystems eingesetzt werden. Militärische Einsätze außerhalb der UN oder gar unter Bruch der UN-Charta können keinesfalls auf Art. 24 Abs. 2 GG gestützt werden.
b) Das in Art. 24 Abs. 2 GG verankerte Konzept der „kollektiven Sicherheit“ hat darüber hinaus noch eine wichtige Leitfunktion für die verfassungsrechtliche Orientierung deutscher Außen- und Sicherheitspolitik.
Die Sog. Palme-Kommission, an der neunzehn bedeutende Politiker und Fachleute aus Ost und West, Nord und Süd, darunter der frühere deutsche Bundesminister und Abrüstungsexperte Egon Bahr, mitgewirkt haben, hat in der Hochphase des Kalten Krieges die lebensbedrohlichen Konsequenzen der nuklearen Abschreckungsdoktrin eingehend analysiert und daraus bemerkenswerte Schlussfolgerungen gezogen, die sie in einem Alternativ-Konzept „gemeinsamer Sicherheit“ zusammengefasst hat:
„In der heutigen Zeit kann Sicherheit nicht einseitig erlangt werden. Wir leben in einer Welt, deren ökonomische, politische, kulturelle und vor allem militärische Strukturen im zunehmenden Maße voneinander abhängig sind. Die Sicherheit der eigenen Nation lässt sich nicht auf Kosten anderer Nationen erkaufen.“
Im nuklearen Zeitalter der gegenseitig gesicherten Zerstörung ist Sicherheit nicht mehr vor dem potentiellen Gegner, sondern nur noch mit ihm, d.h. als gemeinsame Sicherheit zu erreichen. Das knüpft unmitttelbar an die Vorstellungen einer „kollektiven Sicherheit“ an, wie sie in Art. 24 Abs. 2 GG ihren Niederschlag gefunden haben.
Art. 24 Abs. 2 GG inhibiert zwar seit der im Jahre 1956 erfolgten Einfügung der sog. Wehrverfassung in das Grundgesetz, die u.a. in Art. 87a GG die verfassungsrechtliche Grundlage für die Aufstellung der Bundeswehr (nur) „zur Verteidigung“ geschaffen hat, nicht die Möglichkeit, sich einem Verteidigungsbündnis wie der NATO anzuschließen und dafür eigene Streitkräfte vorzuhalten. Die Vorschrift bleibt jedoch unabhängig davon mit ihrem spezifischen Regelungsgehalt weiterhin – parallel dazu – auf ein anderes Sicherheitskonzept orientiert, nämlich das der Eingliederung in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit. Daraus kann allerdings mit Mitteln der Verfassungsinterpretation nicht geschlossen werden, dass die staatlichen Organe allein von der Option des Art. 24 Abs. 2 GG, nicht aber von Art. 87a GG Gebrauch machen dürften. Das Grundgesetz hat vielmehr in seinem Text parallel nebeneinander zwei unterschiedliche sicherheitspolitische Grundkonzepte verankert, das der „kollektiven Sicherheit“ und das der „individuellen und kollektiven Verteidigung“.
Die Unterschiede zwischen beiden dürfen jedoch nicht verwischt werden, was aber durch die zitierte Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts geschehen ist und bislang seit Jahren weiterhin geschieht. Es ist deshalb, zurückhaltend formuliert, hohe Zeit, sich endlich wieder der fundamentalen Differenz zu vergewissern, die gerade auch den Vätern und Müttern des Grundgesetzes bei der Formulierung des Art. 24 Abs. 2 GG bewusst war: Es geht um die fundamentale Differenz zwischen einem „System kollektiver Sicherheit“ , das auf „gemeinsamer Sicherheit“ der potenziellen Konfliktparteien aufbaut, und einem Verteidigungsbündnis, das bis heute auf Konzepte der nuklearen (und nicht-nuklearen) Abschreckung setzt. Hieraus müssen die notwendigen praktischen Konsequenzen gezogen werden. Die bisherige einschlägige Rechtssprechung des BVerfG zu Art. 24 Abs. 2 GG trägt leider in starkem Maße dazu bei, diese fundamentale Differenz zu verdunkeln.
Es handelt sich bei dem Text um die gekürzte schriftliche Fassung des Vortrages, den der Verfasser auf der Konferenz „Frieden durch Recht?“ am 26./27.6. 2009 in der Humboldt-Universität in Berlin gehalten. Mit Erlaubnis des Verfassers übernommen aus Betrifft Justiz Nr. 99, September 2009, S. 143-149.
Anmerkungen
[i] Vgl. hierzu Deiseroth in: Bedjaoui / Benoune / Deiseroth / Shafer, Völkerrechtliche Pflicht zur nuklearen Abrüstung?, 2009, S. 289 ff.
[ii] Vgl. dazu auch das Europäische Übereinkommen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten vom 29.4.1957, dem u.a. Deutschland wirksam beigetreten ist (BGBl. 1961 II S. 82)
[iii] VStrGB vom 26. Juni 2002 (BGBl. I S. 2254)
[iv] Vgl. dazu im Einzelnen Kress, ZStW 2003, S. 294, 295ff mit weiteren Nachweisen.
[v] Vgl. dazu u. a. BVerwG, EuGRZ 2005, 636, 663ff.
[vi] Vgl. §§ 120 Abs. 1 Nr. 1, § 142 Abs. 1 GVG.
[vii] Vgl. dazu auch die im Rahmen einer völkerrechtskonformen Auslegung zu beachtenden Regelungen der Antirassismus-Konvention vom 7.3.1969, der Deutschland wirksam beigetreten ist (BGBl II 1969, S. 961).
[viii] Vgl. dazu auch Art. 20 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966 (BGBl. 1973 II 1534): „Jede Propaganda für den Krieg wird durch Gesetz verboten.“
[ix] Vgl. RGBl 1929 II S. 97.
[x] BGBl. Teil II „Fundstellennachweis B“.
[xi] Vgl. BverGE 58, 1 (34); 59, 63 (89); 63, 343 (373); 64, 1 (20); 75, 1 (18f); 109, 13 (23); 111, 307.
[xii] BVerG, NJW 1988, 1462 f.
[xiii] Vgl. BVerwG, Urt. v. 21.6.2005 – BVerwG 2 WD 12.04 – Eu GRZ 2005, 636 (648) m.w.N.
[xiv] Vgl. Dazu Deiseroth, in: Müller-Heidelberg u.a. (Hrsg.), Grundrechte-Report 2009, S. 209 ff.
[xv] BVerfGE 90, 286 (347-351).
[xvi] BVerfGE 90, 90, 349.
[xvii] Vgl. dazu meine Untersuchungen in: Die Friedens-Warte 2000, 101 ff sowie in Umbach / Clemens (Hrsg.), Grundgesetz (Mitarbeiterkommentar) 2002, Art. 24 Abs. 2 GG Rn. 194 ff; ferner in: Wissenschaft und Frieden, 2009, S. 12 ff.