Repression und Gefängnis

Das Gefängnis – eine staatliche Gewalt-Institution

von Martin Singe

„Wir brauchen keine besseren Gefängnisse, sondern etwas Besseres als das Gefängnis“, so schon Gustav Radbruch, Justizminister in der Weimarer Republik. Damals gab es noch das Zuchthaus, das in der Bundesrepublik erst mit der Großen Strafrechtsreform von 1969 abgeschafft wurde. In den 70er Jahren gab es eine breitere Bewegung von Solidarität mit Gefangenen, und politisch wurde die Forderung nach Abschaffung des Gefängnisses (Abolitionismus) erhoben. In den Gefängnissen findet Desolation statt Resozialisierung statt. Rückfälle werden eher vorprogrammiert, als dass ihnen vorgebeugt würde. Die Isolation der Gefangenen steht im Gegensatz zum nur behaupteten Resozialisierungskonzept. Gefangene stammen in der Regel aus den sozialen Unterschichten der Gesellschaften, besonders deutlich in den USA an der Anzahl der eingesperrten Schwarzen im Verhältnis zu deren Anteil an der Gesamtbevölkerung. „Verbrecher“ werden isoliert für ihre Tat verantwortlich gemacht, obwohl jede Tat einen sozialen Kontext hat. Die Gesellschaft spricht sich rein, indem sie die „Bösen“ wegsperrt.

Heute wird auch in linken Kreisen über die Institution Gefängnis kaum noch diskutiert. Solidaritätsgruppen gibt es nur noch sehr vereinzelt. Haben wir uns an das Gefängnis gewöhnt? Friedensengagierte kommen evtl. mit dem Knast in Kontakt, wenn sie zu oft Raketen blockieren oder ihre Geldstrafenzahlung verweigern und dann eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen müssen. Ansonsten ist das Thema Knast in der Friedensbewegung eher kein Thema, obwohl das Gefängnis eine innerstaatliche Gewalt-Institution ist, die nur vorgibt, gesellschaftliche Konflikte oder Gewalttaten angemessen zu beantworten. Alternativen zu Haftstrafen sind vorhanden, werden aber kaum genutzt: z.B. Täter-Opfer-Ausgleich, Wiedergutmachungs-Verhandlungen, soziale Arbeit.

Die Gefängnisstrafe als Freiheitsentzug ist als solche schon eine bewusste Leidzufügung, die angeblich verschiedenen „Strafzwecken“ dienen soll, wie z.B. Schuldausgleich, Vergeltung, Sühne, General- und Spezial-Prävention. Alle diese Strafzwecktheorien sind überholt und nicht haltbar. Die einzigen Fälle, in denen man über eine angemessene Trennung eines Täters von der Gesellschaft nachdenken könnte, beträfe extreme Gewalttäter, die als weiterhin gefährlich prognostiziert werden. Allerdings sind die üblichen Prognosen nachgewiesenermaßen mit schweren Irrtümern belastet, zumal die Angst der PrognostikerInnen vor medialer Schelte im Fall von prognostizierter Nichtgefährlichkeit extrem zugenommen hat. Extreme Gewalttäter mit Wiederholungsgefahr machen aber an den Knastinsassen einen extrem kleinen Teil aus, es sind nicht mal 5%. Sie müssten eher psychisch betreut statt weggesperrt werden.

Ein Großteil der Gefangenen sitzt wegen Delikten, die im Kontext einer Drogenproblematik stehen. Eine andere staatliche Drogenpolitik, die Drogennutzung liberalisiert, der legale Verkauf von Drogen zum Eigennutz, Erweiterung von Substitutions- und Beratungsangeboten für Drogenabhängige und einfachere Zugänge zu Drogentherapien würden die Knäste um Tausende Menschen entlasten. Die Beschaffungskriminalität würde deutlich zurückgehen.

Völlig sinnlos ist das Absitzen von uneinbringlichen Geldstrafen durch Ersatzfreiheitsstrafen. Dem Staat kostet die Knastunterbringung viel mehr, als die Geldstrafen selbst ausmachen. Alternativen wären soziale Arbeit, bzw. könnte der Anspruch auf Zahlung aufrechterhalten bleiben, bis der / die Betroffene wieder zahlungsfähig wäre.

Durch die jeweiligen Formen der Haftbedingungen werden über den reinen Entzug der Freiheit hinaus zusätzliche Leidzufügungen verursacht. „Wir sind hier im Knast, damit uns die Freiheit entzogen ist, aber nicht, dass wir Zwangsarbeit für Billiglöhne machen“ – so fasste ein Gefangener seine Empörung zusammen. Im Knast gibt es immer noch Zwangsarbeit zum Durchschnittslohn von 9% des Durchschnittseinkommens. Gerade ging durch die Presse, dass die ehemalige Sozialministerin Bayerns, Christine Hardthauer, mit ihrem Mann zusammen für ihre Privatfirma teuer verkaufte Modellautos im Knast bzw. in der Forensik hat zuammenbasteln lassen. Außerdem sind Gefangene weder in die Rentenversicherung noch in der Krankenversicherung einbezogen. Die Bundesländer als Arbeitgeber lassen also zu Billiglöhnen schwarz arbeiten. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hatte 2010 eine Petition für die Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung gestartet, die erst 2014 an Bund und Länder zur weiteren Beratung gereicht wurde. Obwohl 1977 im neuen Strafvollzugsgesetz diese Einbindung in die gesetzlichen Versicherungen festgelegt worden war! Die Nichteinlösung dieser gesetzlichen Zusage kommt einem Verfassungsbruch gleich, da der Gesetzgeber eine Selbstbindung eingegangen war.

Weitere Skandale der Haftbedingungen können hier nur kurz erwähnt werden: Offiziell lt. Strafgesetzbuch sollen der offene Vollzug und die Entlassung nach 2/3-Strafe die Regel sein. Inzwischen ist das Gegenteil der Fall: geschlossener Vollzug ist die Regel und es wird auf Endstrafe abgesessen. Auch in den freien Zeiten der Häftlinge sind die Zellen meist verschlossen, statt Gruppenvollzugsmöglichkeiten anzubieten. Verwahrvollzug statt Angebote von gemeinschaftlichen Betätigungen. Viele Gefangene warten ewig auf eine therapeutische Betreuung. Es fehlt an TherapeutInnen und SozialarbeiterInnen: Sparvollzug. Gefangene haben extrem wenig Besuchszeiten für FreundInnen und Angehörige (oft nur drei halbe Stunden im Monat). Es gibt kaum effektive Beschwerdemöglichkeiten. Die ärztliche Versorgung ist sehr oft unzureichend, freie Arztwahl entfällt. Die Post wird kontrolliert, Pakete von draußen können nur sehr selten empfangen werden. Es gibt in der Regel keine Erlaubnis, Computer und das Internet zu nutzen. Es gibt verschiedene Formen interner zusätzlicher Bestrafungen, die oft ohne richterliche Anordnung durch das Personal angeordnet werden. Hinzu kommen viele Möglichkeiten der Demütigung oder Willkür in Entscheidungen über Anträge von Gefangenen.

Und die Opfer, mag manche LeserIn fragen: Das Grundrechtekomitee hatte in einem Manifest zur Abschaffung der lebenslangen und zur Zurückdrängung der zeitigen Freiheitsstrafen dazu ausgeführt: „Für die Opfer, ihre Angehörigen und Hinterbliebenen kommt das Strafrecht immer zu spät. Die Gewalttat ist geschehen und nicht wieder rückgängig zu machen. Langjährige Erfahrungen aus der Arbeit in der Opferhilfe und Befragungen von Opfern und/oder ihren Angehörigen haben ergeben, dass diese vor allen Dingen das Bedürfnis nach körperlicher, seelischer und materieller Rehabilitation haben. Sie wollen in ihrem Leid angenommen und dabei unterstützt werden, über dasselbe hinwegzukommen. Die Vereinsamung im Leiden stellt keine geringe Gefahr dar. Den Opfern und/oder ihren Angehörigen liegt nicht in erster Linie daran, den Täter zu bestrafen, sondern daran, dass er zur Verantwortung gezogen wird. Und es ist ihnen wichtig, dass sich eine solche Tat nicht wiederholt.“ (Das komplette Manifest schicken wir auf Wunsch gerne zu, mail s.u.)

 

Literatur
Komitee für Grundrechte und Demokratie, Hg., Haftbedingungen in der BRD, Köln, 2009, 168 Seiten, 8,- Euro (Bezug: info [at] grundrechtekomitee [dot] de)

Hubertus Becker, Ritual Knast. Die Niederlage des Gefängnisses – eine Bestandsaufnahme. Leipzig 2008 (erhältlich über Buchhandel).

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".