Demokratie beginnt zu blühen

von Maggie Helwig
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Viele Dinge führten zu dem Sturz von Suharto, dem Diktator Indonesiens über 32 Jahre. Die asiatische ökonomische Krise hatte Indonesien hart getroffen und Suhartos Verhandlungen mit dem IWF waren größtenteils nutzlos und erniedrigend. Spaltungen innerhalb der Elite - besonders innerhalb des mächtigen Militärapparates - spielten eine wichtige Rolle. Aber keines dieser Elemente wäre ausreichend gewesen, Suharto loszuwerden, und sogar noch vor wenigen Monaten schien es wahrscheinlich, daß er bis an sein Lebensende regieren werde.

Stattdessen machte eine Demokratiebewegung, die seit einigen Jahren in der Stille gewachsen war, plötzlich einen Sprung vorwärts. Eine tumultreiche Woche im Mai lang wurde die Macht durch eine Sammlung von StudentInnen und anderen ausgeübt, die Blumen und Transparente trugen, als sie das Parlamentsgebäude des Landes besetzten. Indonesische Dissidenten haben die allgemeinen "Wahlen" von 1997 und die Präsidentschafts"wahl" vom März 1998 als Schlüsselmomente der Mobilisierung ausgemacht. Protest auf den Straßen war verboten worden, aber Proteste an den Hochschulen waren ein beinahe alltägliches Ereignis - einschließlich massenhafter Frauendemonstrationen im April. Islamische StudentInnen versammelten sich in Surabaya, um Bestattungs-Gebete für das Suharto-Regime zu sprechen. Die Behörden reagierten mit Verschwindenlassen und willkürlichen Festnahmen. Einige der Verschwundenen tauchten wieder auf und berichteten von Folter in geheimen Lagern; andere sind immer noch vermißt.

Unbewaffnete StudenInnen erschossen
Im Mai begannen die Demonstrationen sich auf die Straße zu verlagern. Die Sicherheitskräfte antworteten mit Tränengas, Wasserwerfern englischer Produktion und Gummikugeln. Aber am 12. Mai schossen Scharfschützen in eine unbewaffnete Gruppe von StudentInnen an der Trisakti Universität. Mindestens vier, vielleicht sechs Studenten wurden getötet.

Am nächsten Tag explodierte Jakarta in gewalttätigen Unruhen. Es ist immer noch sehr unklar, wie dies entstand. Ein Gedenk-Gottesdienst an der Trisakti Universität an diesem Tag drückte Wut aus, war aber nicht gewaltsam. Es scheint, daß nur wenige StudentInnen, wenn überhaupt welche, in die Unruhen verwickelt waren. Stattdessen wurden anscheinend organisierte Männergangs in Bussen in der Stadt herumgefahren, um Aufstände anzuheizen. Dabei richtete sich die Gewalt vorrangig gegen die chinesische Minderheit. Diese Gangs hatten Verbindungen zum Militär, das Vorteil aus dem weitverbreiteten anti-chinesischen Rassismus zog.

Es wird geschätzt, daß über 1.000 Menschen getötet wurden. Eine Frauenorganisation, Mitra Perempuan, glaubt, daß hunderte von Frauen, die meisten Chinesinnen, vergewaltigt und sexuell mißhandelt wurden. Große Teile Jakartas, besonders die chinesischen Gebiete, wurden abgebrannt.

Rosen für die Soldaten
Entsetzt stoppten die StudentInnen die Demonstrationen und verbrachten das Wochenende mit hektischen Strategiesitzungen. Sie hatten dies schon einmal 1996 erlebt: Große Demonstrationen arteten in zerstörerische Unruhen aus, die schließlich zum Erliegen kamen und die Menschen vielleicht noch hilfloser als vorher zurückließen.

Am Montag, den 18. Mai gingen mehrere hundert StudentInnen mit einer Petition zum Parlamentsgebäude. Einige trugen Rosen und sangen "We Shall Overcome" und die Nationalhymne "Indonesia Raya". Verblüffenderweise senkten die Soldaten nicht nur ihre Waffen, sondern eskortierten eine Gruppe von Studenten in das Gebäude. Sie gaben dem Anführer der militärischen Fraktion einen Rosenstrauß und ließen sich für ein langes Warten nieder.

Die Parlamentarier verließen schließlich das Gebäude und am Ende des Tages hatten rund 10.000 Menschen den Parlamentsplatz, die Büros und sogar das Dach des Gebäudes besetzt, von dem aus mindestens ein agiler Protestierer Bungee-Springen übte. Die Besetzung wurde den Dienstag hindurch fortgeführt, wobei es Zeichen gab, daß Teile des Militärs sich auf die Seite der StudentInnen stellen würden.

Aber die Spannung wuchs. Der muslimische Anführer Amien Rais hatte versprochen, am Mittwoch eine Million Menschen auf die Straßen Jakartas zu bringen und es gab Befürchtungen, daß sich die Ereignisse des Tiananmen-Platzes wiederholen könnten.

Am frühen Mitwoch-Morgen machte Rais die wohl cleverste Entscheidung, die er hätte treffen können. Er erschien im Fernsehen, um bekanntzugeben, daß der Marsch abgesagt sei und daß er zum Parlament gehen werde, um seine Solidarität mit den StudentInnen zu zeigen.

Die Einwohner Jakartas wachten am Morgen in einer Geisterstadt auf, in der sich niemand außer 40.000 Soldaten bewegte. Die Maske der "Demokratie" war Suhartos Indonesien für immer und ewig vom Gesicht gerissen worden. Es war der Welt nur zu deutlich, was es kosten würde, diesen Mann an der Macht zu halten.

Suharto tritt zurück
Inzwischen waren eine Million Menschen auf den Straßen in den Städten ganz Indonesiens. Rasch einberufene Treffen zwischen den Mitgliedern von Suhartos Kabinett, Generälen und Verfassungsexperten fanden statt. Am nächsten Morgen, den 21. Mai, verkündete ein angespannter und unterlegener Suharto seinen Rücktritt und übergab die Präsidentschaft an seinen Vize-Präsidenten BJ Habibie.

Es wäre natürlich ein Fehler anzunehmen, daß Indonesien über Nacht eine wirkliche Demokratie geworden wäre. Suharto ist weg, aber die meisten Männer in Machtpositionen sind noch da. Das Militär besitzt immer noch das letzte Wort. Einige wenige politische Gefangene wurden freigelassen, aber viele mehr blieben im Gefängnis; eine Wahlreform wurde versprochen, aber es ist keineswegs klar, ob sie mehr als nur kosmetische Veränderungen bringen wird.

Was sich dramatisch verändert hat, ist die Größe des verfügbaren politischen Raumes und die Selbstwahrnehmung der Indonesier. Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen blühen. Mindestens 16 neue politische Parteien sind gegründet worden, einschließlich einer chinesischen Partei mit einer Anti-Diskriminierungs-Plattform. Obwohl die Habibie-Regierung sich nach besten Kräften bemüht, die alten Strukturen zu erhalten, muß sie jetzt die Forderungen der StudentInnen, der neuerdings legalen SBSI Gewerkschaft und die immer aufmüpfiger werdenden Medien berücksichtigen. Ziemlich plötzlich sind die Menschen Indonesiens sich bewußt geworden, daß sie mächtig sind, daß sie einen Diktator stürzen können und daß sie eine politische Kraft darstellen, mit der gerechnet werden muß.

(Der Artikel wurde aus Peace News Juli 1998 entnommen. Übersetzung: Redaktion)

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Maggie Helwig ist Mitglied der War Resisters" International und beschäftigt sich seit langem mit Indonesien. Sie lebt in Kanada.