Militaristischer Götzendienst als Signal der Anerkennung?!

Der Große Zapfenstreich

von Armin Lauven
Initiativen
Initiativen

Protest und Widerstand gegen den sog. Großen Zapfenstreich haben nicht nur in Bonn Tradition; die Kritik an militärischem Götzendienst ist meistens grundsätzlicher Natur, weist über die tagespolitischen Ereignisse weit hinaus und wirft daher zahlreiche Fragen auf.

Die auch öffentlich formulierte Ablehnung Militär und Gewalt verherrlichender Spektakel begleitet die Arbeit der Bonner pax christi Gruppe seit gut vierzig Jahren: Demonstrationen und lautstarke Proteste (1980), Mahnwachen (1995), verwaltungsgerichtliche Klagen (2005) und dieses Mal (2021) ein von 202 Einzelpersonen und 26 Gruppen getragener Aufruf an die politisch Verantwortlichen und Handelnden, dieses Ritual endlich abzuschaffen.

Ursprünglich war von der Verteidigungsministerin bereits für den 31.8.2021 ein Großer Zapfenstreich angeordnet worden, mit dem die Bundeswehr für ihren zwanzigjährigen Einsatz im Afghanistan-Krieg geehrt werden sollte. Aufgrund der aktuellen Ereignisse wurde dieses „höchste militärische Zeremoniell“ dann am 13.10.2021 in Anwesenheit der Staatsspitze und der Militärbischöfe vor dem weiträumig abgesperrten Reichstagsgebäude in Berlin nachgeholt; die breite Öffentlichkeit durfte lediglich per Fernsehübertragung teilnehmen.

Zunächst ist kritisch darauf hinzuweisen, dass auf den Öffentlichen Appell an die Verteidigungsministerin (und alle protokollarischen Spitzen der Verfassungsorgane) bis zum heutigen Tag von den Angeschriebenen nicht reagiert worden ist. Meine Mutmaßungen über die Gründe für ein solches Gebaren: Es gibt offensichtlich kein überzeugendes Argument, an diesem Anachronismus festzuhalten; dieses Ritual wird seit 1596 praktiziert, wohl erstmals 1726 in „Der vollkommene teutsche Soldat“ ausführlich beschrieben und erinnert an den Militarismus Preußens und weitere sehr dunkle Kapitel deutscher Geschichte.

Die Befehle „Helm ab zum Gebet“ und „Präsentiert das Gewehr“ sowie die Intonation des Chorals „Ich bete an die Macht der Liebe“ sind blasphemisch; ein weltanschaulich neutraler Staat darf ein solches Schauspiel nicht veranstalten und religiöse Symbole, Gebete, Gesänge und Riten nicht dazu missbrauchen, militärische Einsätze pseudoreligiös zu überhöhen, zumal sich Jesus von Nazareth für Gewaltfreiheit eingesetzt hat. Der Militärdienst wird geweiht und gesegnet, Muslime, Religions- und Konfessionslose werden ausgegrenzt.

Es ist dringend geboten, alle Opfer des Afghanistan-Krieges in angemessener Weise zu würdigen und ihrer zu gedenken; es ist erforderlich, sich besonders für diejenigen zu engagieren, die seelische und körperliche Verletzungen erlitten haben, Ängste zu bewältigen hatten und weiterhin zu verarbeiten haben und entsprechender Unterstützung bedürfen. Einen Großen Zapfenstreich anzusetzen, ist angesichts des offensichtlichen Scheiterns der gesamten Afghanistanpolitik der vergangenen zwanzig Jahre m.E. zynisch und in jeder Hinsicht unangemessen.

Was also veranlasst die politisch Zuständigen zu einer derartigen Inszenierung, die doch weder ihrem Anliegen – „Wertschätzung und Anerkennung ... (für) die Truppe“ – noch dem Kriegsdienst der einzelnen Soldat*innen, noch der Bundeswehr als Ganzes und schon gar nicht den zu beklagenden Opfern auf allen Seiten gerecht werden kann?

Was hat etwa 93.000 deutsche Soldat*innen dazu bewegt, dem Befehl „Auslandseinsatz in Afghanistan“ zu folgen, der jeweils auf der Grundlage von Bundestagsbeschlüssen und grundsätzlich legitimiert durch das unsägliche Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1994 weit über den Grundgesetzauftrag (Landesverteidigung) hinausgeht?

Warum findet über deutsche Auslandseinsätze, Interventionen, ja KRIEGE keine angemessene öffentliche politische Debatte statt?

Woher kommt die völlig aberwitzige Vorstellung, Deutschland werde nur dann seiner Verantwortung gerecht, wenn es auch militärische Präsenz zeige?

Warum werden Kriegsbeteiligungen der Bundeswehr bemäntelt, tabuisiert, verschleiert? Soldat*innendienst bedeutet Krieg, Tod, Leid, Zerstörung für alle Beteiligten!

Warum wird hartnäckig geleugnet, dass wirksamere Waffen weder dem Schutz der Soldat*innen nutzen, noch die Opferzahlen senken?

Es ist zu hoffen, dass bei der zugesagten Auswertung des Afghanistan-Krieges im Rahmen einer Enquete-Kommission auf diese Fragen plausible Antworten gegeben werden. In diesem Zusammenhang müssen dann natürlich auch die sog. Traditionspflege und der entsprechende Traditionserlass der Bundeswehr kritisch in den Blick genommen werden. Es ist höchste Zeit, andere Formen der Würdigung und der Respektbezeugung zu entwickeln.

Deutsches Militär hat in den vergangenen 150 Jahren auf der Welt genug Schaden angerichtet; dies der Weltgemeinschaft zu erklären und die Bundeswehr in einem ersten Schritt wieder auf ihr eigenes Terrain bzw. Territorium zurückzuführen, auf strukturelle Nichtangriffsfähigkeit umzurüsten und nicht in fragwürdige Auslandseinsätze (KRIEGE!) zu schicken, würde m.E. Respekt und Anerkennung zur Folge haben und auch spektakuläre Große Zapfenstreiche überflüssig werden lassen.

Armin Lauven ist Mitglied der pax christi-Gruppe Bonn.

Ausgabe

Rubrik

Initiativen
Armin Lauven ist Mitglied der Pax-Christi-Gruppe Bonn.