Militärischer Keynesianismus

Der Waffendeal zwischen den USA und Saudi Arabien

von Peter Custers

Neuen, Mitte September publizierten Berichten zufolge beabsichtigt der US-Kongress, ein neues Übereinkommen über den Verkauf von Waffensystemen an den Ölgiganten Saudi-Arabien zu schließen. Der Deal wird letztlich rosige 60 Milliarden US-Dollar ausmachen. Obwohl die Lieferungen sich auf einen Zeitraum von zehn Jahren erstrecken werden, ist das Übereinkommen schon als eines der größten in der Geschichte bezeichnet worden.

Die wichtigsten Komponenten sind 85 F-15 Kampfflugzeuge und die Modernisierung von 70 weiteren, die früher geliefert worden waren. Der F-15 ist ein verhältnismäßig altes Modell, aber gilt als sehr effektives Mittel der Zerstörung im Luftkampf. Er wird von Boeing hergestellt, dem zweitgrößten Lieferanten für Waffen des Pentagon und eines der führenden Unternehmen in der globalisierten Rüstungsindustrie. Boeings Manager und Aktionäre werden gemeinsam mit denen von United Technologies und anderen Nutznießern ohne Zweifel über die Resultate ihrer Lobbyarbeit im Kongress begeistert sein. Doch wie soll man die Konsequenzen dieses Deals für den Nahen und Mittleren Osten bewerten, einer Region, in der viele Millionen Menschen in Kriegen der letzten dreißig Jahren ihr Leben verloren? Wie kann man ihn auf der Basis der Erfahrung mit westlichen Rüstungsexporten in der Vergangenheit analysieren?

Israel
Zunächst muss festgehalten werden, dass Israel, der wichtigste Verbündete der USA im Nahen Osten, keine Einwände hat, sondern stattdessen dem USA-Saudi-Deal ‚grünes Licht‘ gegeben hat. Anscheinend war ein Besuch des israelischen Verteidigungsministers Ehud Barak in Washington erforderlich, um die Spannungen bezüglich des geplanten Verkaufs zu beseitigen. Doch die Bedenken der Israelis, dass er den eigenen strategischen Interessen zuwiderlaufen würde, sind offensichtlich ausgeräumt worden. Die Erklärung, die Analysten dafür haben, ist die folgende: Auf der einen Seite werden die F-15 gemäß Informationen des britischen Guardian mit Sensorentechnologie ausgestattet sein, die es unmöglich macht, sie gegen ihre israelischen Äquivalente einzusetzen. Und auf der anderen Seite wird der Verkauf der F-15 begleitet von dem Verkauf der neuesten Militärmaschine der USA, Martin Lockheeds F-35, an Israel. Dies stellt sicher, dass Israel die Luftüberlegenheit über jeden möglichen Rivalen in der Region behalten wird. Die Dreiecks-Diplomatie anlässlich des US-Saudi-Deals unterstreicht einmal wieder den enormen Einfluss, den die israelische Lobby in Washington ausübt. Und das Ergebnis, d.h. die erhöhten Verkaufszahlen der F-35, ist ein weiterer Boom für die US-Rüstungsindustrie und für die staatlichen Wirtschaftsplaner. Denn die Verkaufsstrategie dieses Flugzeugs, das als „Joint Strike Fighter“ (JSF) bekannt ist, zeigt – vielleicht besser als die jedes anderen einzelnen US-Waffensystems –, wie die US-Regierung ihre Beziehungen zu dem militärischen Sektor nutzt, um den Wachstum der US-Wirtschaft zu stimulieren.

US-Handelspolitik
Bevor ich auf diesen letzten Punkt zurückkomme, sollten wir festhalten, wie der US-Saudi-Waffendeal Teil eines Kontinuums ist, dessen Politik von Washington in den 1970er Jahren in Reaktion auf die Ölkrise 1973 initiiert wurde. Die Ölkrise war von dem Bestreben der ölproduzierenden Länder ausgelöst worden, den Rohölpreis zu erhöhen. Die US-Regierung entwickelte daraufhin ein neues Handelsinstrumentarium. Anstatt dem Druck der Ölproduzenten weiter Widerstand entgegenzusetzen,  versuchte die Regierung von der Tatsache zu profitieren, dass die Regierungseinnahmen der Ölgiganten des Nahen und Mittleren Ostens anstiegen. So schlug es Saudi-Arabien und Iran (!) vor, einen größeren Teil ihrer zusätzlichen finanziellen Ressourcen für westliche Rüstungsanschaffungen zu nutzen. Diese Handelspolitik wurde beispielhaft in dem Al Yamanah-Deal verwirklicht, einem Tauschabkommen zwischen Großbritannien und Saudi-Arabien in den 1980er Jahren. Unter diesem Abkommen lieferte Großbritannien Waffen im direkten Tausch gegen Rohöl an Saudi-Arabien. Das gegenwärtige Abkommen zwischen den USA und Saudi-Arabien macht seinem Al Yamamah-Vorläufer in Bezug auf den Umfang Konkurrenz. Und obwohl es keinen Beweis gibt, dass der Deal ebenfalls als ein Tauschabkommen aufgefasst wird, gibt es keinen Zweifel, dass die saudische Regierung ihre zukünftigen Waffenkäufe mit dem Einkommen bezahlen wird, das der Staat von seinem enormen, weltweit größten Ölreichtum bezieht.

Doch der Deal stellt auch eine Fortsetzung einer anderen älteren Politik der USA dar, nämlich einer von der Clinton-Administration in den späten 1990er Jahren entwickelten Strategie. Zu jener Zeit entwickelte das Pentagon neue Ideen, der US-Regierung erneut zu ermöglichen, sich auf militärische Investitionen als Haupthebel der Stimulation des US-Geschäftszyklus zu stützen. Aus Angst, dass die primäre Abhängigkeit von den Rüstungsausgaben für allgemeines ökonomisches Wachstum zu Rezession führen könnte, beschloss die Clinton-Regierung eine neue Variante von dem, was, in theoretischen Begriffen ausgedrückt, als militärischer Keynesianismus (1) bezeichnet werden kann. Statt das Ziel makroökonomischen Wachstums durch Ausweitung des Militärhaushalts allein zu erreichen, würde die US-Regierung ab sofort das gleiche Ziel durch die zusätzliche Stütze durch Waffenexporte zu erreichen suchen. In erster Linie ging es dabei um den Export der erwähnten JSF. In der ersten Runde, von den späten 1990er Jahren bis zum Ende des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends, strebte die Regierung den Verkauf von JSFs und anderen US-Waffen in erster Linie an europäische Regierungen und in zweiter an die aufstrebenden Mächte in Asien (China, Indien) an.  Doch jetzt scheint es, dass der Kreis vollendet wurde und die Waffenexpore in den Nahen  und Mittleren Osten einen extra Stimulus für die US-Wirtschaft darstellen sollen. Von hoher Bedeutung aus dieser Perspektive ist die Parallele zwischen dem Deal zwischen den USA und Saudi-Arabien und dem früherenVerkauf von US-Waffen an die 600.000 Mann starke irakische Armee. Gemäß Informationen der jüngeren Zeit hatte der Irak genauso wie Saudi-Arabien und Israel zugestimmt, eine große Zahl von Kampfflugzeugen zusammen mit anderen Waffen im Wert von 16 Milliarden Dollar zu kaufen.

Beitrag zur „Stabilität“?
Die Frage lautet: Wie können diese verschiedenen parallelen Verkäufe zur „Stabilität“ im Nahen und Mittleren Osten beitragen? Das US-Außenministerium behauptet offiziell, dass Stabilität das zentrale Ziel des Deals zwischen den USA und Saudi-Arabien sei. Von einer sozialen Perspektive her gesehen, könnten die Multimilliarden-Waffenkäufe leicht als ein gewaltiger Verlust gesehen werden – ein Verlust für die Menschen in den Staaten der Region, die gezwungen werden, die ausländischen Waffen zu kaufen. Was regionale „Stabilität“ angeht, gibt es nicht nur Grund zum Skeptizismus. Die Geschichte lehrt uns, dass es ein Grund für Alarm ist. Sicher wäre es falsch zu argumentieren, dass die drei aufeinander folgenden Golfkriege, die der Mittlere Osten seit den 1980ern gesehen hat, das alleinige Ergebnis von massiven Waffenexporten in die Region gewesen seien. Der Wunsch der USA, die Ölressourcen zu kontrollieren, war ebenfalls eine Schlüsseldeterminante, wie Statements der US-Regierung bestätigen. Doch gibt es keinen Zweifel, dass Waffenexporte einer der Schlüsselfaktoren waren, die die mörderischen Kriege anfachten. Der zweite Golfkrieg von 1991, der vorgeblich die Befreiung Kuwaits zum Ziel hatte, wurde nach Berichten der Weltpresse genutzt, um die Effektivität der Patriot-Raketen und anderer US-Waffen zu demonstrieren. Durch das Abfeuern der Patriots wollten die USA Staaten des Mittleren Ostens dazu verlocken, diese Raketen von ihnen zu kaufen. Der erste Golfkrieg, der langanhaltende Krieg zwischen Iran und Irak in den 80er Jahren, wurde durch westliche Waffenverkäufe an beide Kriegsparteien angeheizt. Hätten Beobachter der Region Unrecht, wenn sie den Verdacht hätten, dass die USA angesichts ihrer völligen Abhängigkeit vom einheimischen wie ‚externalisierten‘ militärischen Keynesianismus ein Interesse an fortgesetzter Instabilität haben? Wenn nicht sogar an dem Ausbruch eines neuen Krieges in der Region, dieses Mal zwischen Saudi-Arabien und Iran?

 

Anmerkung
(1) Für eine ausführlichere Diskussion dieses Themas siehe Peter Custers, ‘Military Keynesianism Today: An Innovative Discourse’ (Race & Class, London, United Kingdom, Volume 51, April-June, 2010, p.79).

Keynesianismus bezeichnet eine von dem britischen Nationalökonomen J.M. Keynes in der Zwischenkriegszeit im letzten Jahrhundert entwickelte Theorie, in der die gesamtwirtschaftliche Nachfrage die entscheidende Größe für Produktion und Beschäftigung ist. Im Gegensatz zur klassischen Wirtschaftstheorie ging Keynes nicht davon aus, dass die Selbstregulierung des Marktes für Vollbeschäftigung sorge, sondern der Staat nehme durch ein antizyklisches Verhalten wichtige Aufgaben bei der Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und insbesondere beim Ausgleich der zyklischen Schwankungen von Angebot und Nachfrage wahr. Der K. bildete die wirtschaftspolitische Grundlage des modernen Wohlfahrtsstaates. (Die Red.)

Der Artikel wurde von der Redaktion aus dem Englischen übertragen.

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Dr. Peter Custers ist Autor des Buches ‘Questioning Globalized Militarism. Nuclear and Military Production and Critical Economic Theory’ (Merlin Press, London, 2000). Er lebt in Leiden in den Niederlanden. www.petercusters.nl