Deutsche Juristen

von Wolfgang Sternstein
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"Deutsche Juristen sind zu allem fähig", sagte der ehemalige Bundesverfassungsrichter Martin Hirsch. "Im Bösen wie im Guten", möchte man mit Blick auf die zwanzig Richter, die im Januar 1987 das Mutlanger Atomraketendepot blockierten, und den Stuttgarter Amtsrichter Rainer Wolf hinzufügen.

In der Tat, es ist schon bemerkenswert, daß ein Amtsrichter den Mut hat insgesamt neun wegen einer "Entzäunungsgsaktion" am EUCOM Angeklagte freizusprechen, weil er ihre Aktion für gerechtfertigt hält. (siehe FriedensForum 6/96). Das EUCOM ist die Kommandozentrale für die amerikanischen Truppen in Stuttgart-Vaihingen. Sein Einsatzgebiet umfaßt ganz Europa, Nordafrika sowie den Nahen und Mittleren Osten, einschließlich der Golfregion. Es spielt zudem eine wichtige Rolle bei der Einsatzplanung und dem Einsatz von Atomwaffen, von denen immer noch rund 80 auf deutschem Boden stationiert sind, vornehmlich in Ramstein und Büchel.

Seit 1990 haben am EUCOM insgesamt sieben Entzäunungsaktionen stattgefunden. Gruppen von 7-23 Personen gehen auf das Gelände des EUCOM, nachdem sie eine drei Meter breite Lücke in den Zaun geschnitten haben. Dort feiern sie ein "Fest der Hoffnung". Sie pflanzen Blumen, säen Getreide, singen Lieder und feiern ein Friedensmahl. Sie bekräftigen damit ihren Anspruch, das "Todesland" EUCOM in "Lebensland" umzuwandeln. Polizei und Staatsanwaltschaft sehen in solchen offen angekündigten Aktionen lediglich die Straftatbestände der Sachbeschädigung und des Hausfriedensbruchs verwirklicht.

Wie zu erwarten, ging die Staatsanwaltschaft stehenden Fußes in Revision mit dem Ergebnis, daß das Oberlandesgericht Stuttgart die Freisprüche aufhob und zur Neuverhandlung an das Amtsgericht zurückverwies. Diese Verhandlung steht noch aus.

Offenbar hat das Oberlandesgericht Richter Wolf mit seiner Urteilsbegründung nicht ganz zu überzeugen vermocht. Jedenfalls beschloß er nach einer weiteren Verhandlung über eine spätere Entzäunungsaktion am 25.2. dieses Jahres, den Fall dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen. Der Vorlagebeschluß lautet wie folgt:

"Gemäß Art. 100 Abs. 2 GG werden die Akten dem Bundverfassungsgericht vorgelegt zur Einholung der Entscheidung über die Frage, ob

- die Politik der atomaren Abschreckung,

- Entwicklung und Produktion von Kernwaffen,

- Drohung mit und Einsatz von Nuklearwaffen,

- Lagerung und Stationierung von Atomwaffen auf dem
  Gebiet der Bundesrepublik,

- die NATO-Strategie des nuklearen Ersteinsatzes,

- die Mitwirkung der Bundesregierung beim Einsatz
  und der Einsatzplanung von Atomwaffen

mit den Regeln des Völkerrechts, insbesondere

a) dem Verbot, im Krieg unnötig Leiden zuzufügen;

b) dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit und dem
   Grundsatz der Proportionalität;

c) dem Gebot der Unterscheidung zwischen Kombattanten
   und Nichtkombattanten und der notwendigen
   Differenzierung zwischen zivilen und
   militärischen Zielen;

d) dem Verbot des Völkermordes und von Verbrechen
   gegen die Menschlichkeit;

e) dem Verbot, der Umwelt dauernde und schwere
   Schäden zuzufügen;

f) dem Gebot, die Menschenrechte zu achten;

g) dem Verbot des Einsatzes von Gift oder giftiger
   Waffen;

h) dem Verbot, unbeteiligte und neutrale Staaten bei
   einem Waffeneinsatz in Mitleidenschaft zu ziehen

zu vereinbaren ist."

Man darf gespannt sein, wie das Gericht entscheidet, zumal seine Rechtssprechung zu Massenvernichtungswaffen aus den achtziger Jahren in scharfem Widerspruch steht zum Gutachten des Internationalen Gerichtshofes vom Juli 1996. In diesem Gutachten hatte der Internationale Gerichtshof den Einsatz und die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen für im Grundsatz völkerrechtswidrig erklärt. Wie sagte doch der ehemalige Bundesverfassungsrichter Martin Hirsch?: "Deutsche Juristen sind zu allem fähig" ...

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Dr. Wolfgang Sternstein ist Friedens- und Konfliktforscher mit dem Schwerpunkt Theorie und Praxis der gewaltfreien Aktion. Er kam als Wissenschaftler nach Wyhl, schloss sich aber schon bald der Widerstandsbewegung gegen das Atomkraftwerk an. In seiner Autobiografie „Mein Weg zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit“ berichtet er ausführlich über den „Kampf um Wyhl“.