Überflüssig wie ein Kropf

Deutschland in den Sicherheitsrat?

von Andreas Zumach

Statt um einen ständigen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat sollte sich die Bundesregierung um eine umfassende Reform und die Stärkung der UN bemühen

Im Herbst dieses Jahres, sechs Jahrzehnte nach Gründung der UNO stehen wesentliche Entscheidungen über die Zukunft der Weltorganisation an. Die Generalversammlung befasst sich mit den über 100 Vorschlägen zur politischen und institutionellen Reform der UNO, die ein von Generalsekretär Kofi Annan berufenes Expertengremium (High Panel) im letzten Dezember vorgelegt hat. Zudem zieht die GV eine erste Zwischenbilanz der Umsetzung ihrer im Jahre 2000 beschlossenen "Milleniumsziele" zur Halbierung der weltweiten Armut bis 2015.

Verlauf und Ergebnis dieser Beratungen könnten endlich zu der so dringend erforderlichen Stärkung der Handlungsfähigkeit der UNO beitragen und zur Verbesserung ihrer in vielen der 191 Mitgliedsstaaten erheblich angeschlagenen Glaubwürdigkeit.

Eine Chance hierfür gibt es allerdings nur, wenn möglichst viele der 191 Mitgliedsregierungen aktives Interesse zeigen an dem gesamten Reformpaket des "High Panel" und nicht nur eng definierte nationale Machtinteressen verfolgen. Letzteres aber tut die Bundesregierung.

Bislang interessiert sie sich nur für einen ständigen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat im Zuge einer Erweiterung dieses Gremiums. Auf diesen Aspekt beschränken sich die öffentlichen Äußerungen und die Medienarbeit des Bundeskanzlers und des Außenministers sowie der Berliner UNO-Diplomaten in New York. Daher überrascht es nicht, dass in Deutschland bislang über Fachpublikationen wie die VN hinaus keine interessierte Öffentlichkeit für das Thema UNO-Reform in seinen vielfältigen Aspekten existiert.

Für die 16 Mitglieder des "High Panel" ist die Erweiterung des Sicherheitsrates - anders als von der Bundesregierung verbreitet - keineswegs "der Kern" der UNO-Reform. In dem 130-seitigen Bericht des Panels spielt das Thema nur eine untergeordnete Rolle. Und es ist - nicht zufällig - der einzige Punkt, in dem die Panel-Mitglieder keinen Konsens erzielen konnten. Deshalb präsentierten sie zwei denkbare Modelle für eine Ratserweiterung - eines mit und eines ohne neue ständige Sitze. Ausdrücklich einig war sich der Panel allerdings darin, dass es auf gar keinen Fall neue ständige Ratssitze mit Veto geben soll. Um so größer war das Befremden in New York, als der deutsche Kanzler wenige Tage nach Veröffentlichung des Panel-Berichts diesen Anspruch der Bundesregierung erneut öffentlich bekräftigte.

Zu Recht ist die Bundesregierung - gemeinsam mit einer großen Mehrheit der anderen 190 UNO-Staaten - der Ansicht, dass die derzeitige Zusammensetzung des Sicherheitsrates "die weltpolitische Realität der Gegenwart" und die Mitgliedschaft in der Generalversammlung "nicht mehr angemessen widerspiegelt". Aus der Forderung nach mehr "Repräsentativität" des Rates folgt allerdings gerade nicht, dass ausgerechnet Deutschland - oder ein anderes europäisches Land - einen ständigen Sitz erhalten sollte. Gemessen an den Anteilen der einzelnen Regionen an der Weltbevölkerung spricht eher alles für einen deutlichen Abbau der europäischen Stimmrechte im Sicherheitsrat. Denn die Einwohnerzahlen aller 25 EU-Staaten sowie Russlands machen nur knapp zehn Prozent der Weltbevölkerung aus. Gleichzeitig besetzen die Europäer aber bereits heute drei von fünf ständigen Sitzen. Mit der Forderung nach einem nationalen Sitz für Deutschland begibt sich die Bundesregierung zudem in Widerspruch zum auch von ihr proklamierten Ziel einer gemeinsamen Außenpolitik der Europäischen Union.

Die rot-grüne Koalition begründet ihren Anspruch auf einen ständigen Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat stets mit der Bereitschaft, "dauerhaft mehr Verantwortung" in der Welt zu übernehmen. Tatsächlich hat die Regierung aber bislang nicht erklären können, warum ein ständiger deutscher Ratssitz (ob mit oder ohne Veto) von Vorteil für die UNO und für den "Rest der Welt" wäre. Ihre Leistungsbilanz über die letzten zwei Jahre nichtständiger Mitgliedschaft im Rat liefert diese Erklärung nicht. Auch wenn der Widerspruch Berlins gegen den anglo-amerikanischen Irakkrieg sowie gegen die von Washington angestrebte Schwächung des Internationalen Strafgerichtshofes wichtig war und bei einer großen Mehrheit der Generalversammlung Unterstützung fand. Des weiteren begründet die Bundesregierung ihren Anspruch damit, dass Deutschland drittgrößter Beitragszahler der UNO sei, einer der größten Truppensteller für UNO-Missionen und sich auch bei den freiwilligen finanziellen Leistungen an das UNO-System in der Spitzengruppe der 191 Mitgliedsstaaten befände. Abgesehen davon, dass diese Argumentation der Idee der Vereinten Nationen schadet, weil sie suggeriert, man könne sich einen ständigen Ratssitz erkaufen oder militärisch erarbeiten, stimmt von den drei Behauptungen nur die erste.

Auf Grund objektiver, für alle Mitgliedsstaaten der UNO gleichermaßen gültigen Kriterien muss Deutschland seit der Vereinigung im Jahre 1990 nach den USA und Japan den drittgrößten Pflichtbeitrag an den regulären UNO-Haushalt zahlen. Bei den Truppen für UNO-Missionen liegt Deutschland jedoch (zumal wenn man die Soldatenzahlen in Relation zur Bevölkerungsgröße des Entsenderlandes setzt) weit hinter den Niederlanden und anderen europäischen Staaten und (auch in absoluten Zahlen) hinter armen Ländern wie Bangladesh. Und die freiwilligen Zahlungen Deutschlands an UNO-Organisationen (etwa im Entwicklungs- oder Flüchtlingsbereich), von denen diese Organisationen einen erheblichen Anteil ihrer Arbeit finanzieren müssen, sind in den letzten Jahren erheblich gekürzt worden.

So bleibt der Eindruck, der Berliner Koalition gehe es mit dem Streben nach einem ständigen Ratssitz vor allem um die "erneute Vermachtung" der deutschen Außenpolitk und um "deutschnationale Revisionsversuche", vor denen Joschka Fischer in seinem 1994 veröffentlichten Buch "Risiko Deutschland" noch nachdrücklich gewarnt hatte. "Es fängt heute an mit der Parole `Mehr Verantwortung übernehmen!`", schrieb Fischer damals. Danach würden "die ersten Kriegseinsätze Deutschlands stattfinden", Deutschland einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat erhalten und irgendwann auch eine Debatte "um die `vollständige Souveränität`" beginnen, die "in der heutigen Welt nun einmal die nukleare Souveränität" sei. So werde aus der wirtschaftlichen Großmacht Deutschland allmählich eine politische Großmacht, deren Hegemoniestreben bei den europäischen Nachbarn Furcht, Misstrauen und mehr oder weniger verdeckte Eindämmungsbemühungen auslösen werde. Elf Jahre später hat die rot-grüne Koalition die meisten Punkte auf Fischers Katalog "deutschnationaler Revisionsversuche" bereits umgesetzt. Und auch die von ihm prognostizierten skeptischen Reaktionen europäischer Nachbarn sind inzwischen erfolgt. Das zeigen aktuell die Bedenken in Polen, Italien, Spanien und anderen EU-Staaten gegen einen ständigen Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat. Dass die rot-grüne Koalition ihre ursprüngliche Forderung nach einen gemeinsamen Regionalsitz für die EU im Sicherheitsrat just dann aufgab, als klar war, dass Fischer keine Chance auf den Posten des ersten EU-Außenministers hatte, hat die Skepsis bei den europäischen Nachbarn noch verstärkt.

Fazit: Die Kampagne der Bundesregierung für einen ständigen Ratssitz nützt der UNO nichts, sie erschwert die gemeinsame Außenpolitik der EU, und sie wird möglicherweise im Herbst mit einer peinlichen Abstimmungsniederlage in der Generalversammlung enden. Wenn die Bundesregierung - wie sie gerne behauptet - tatsächlich die UNO stärken will, sollte sie ihre Kampagne jetzt einstellen und mit aller Kraft zur Umsetzung der tatsächlich wichtigen Reformempfehlungen des "High-Panel" Berichts beitragen.
 

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt