Frauen und Frieden

Dialog erneuern, Vertrauen neu aufbauen, Sicherheit wieder herstellen

von Heidi Meinzolt

Unter diesem Leitmotiv hat Deutschland im Januar 2016 turnusgemäß von Serbien den OSZE-Vorsitz übernommen. An fünf Aktionsleitlinien will es sein Engagement ausrichten:

  • Engagement im Krisen-und Konfliktmanagement
  • Stärkung der OSZE-Fähigkeiten im gesamten Konfliktzyklus
  • Nutzung der OSZE als Dialogplattform
  • Stärkung der wirtschaftlichen und Umweltdimension
  • Fokus auf die menschliche Dimension mit Schwerpunkt Toleranz und Nichtdiskriminierung

Alle fünf Ansätze kann die Zivilgesellschaft begrüßen. Sie muss ihre Expertise auf dem Gebiet der Ursachenforschung für den Ausbruch gewalttätiger Konflikte und Kriege, des Verständnisses von Sicherheit im Rahmen komplexer menschlicher Sicherheit, der good practice-Beispiele für Maßnahmen zur Prävention und Konfliktnachsorge, des Dialogs und der gesamten Bandbreite ziviler Instrumente einbringen.

Als Antikriegsorganisation mit einem besonderen Blick auf geschlechtsbezogene Gewalt und den Schutz von Frauen, auf Frauenrechte und die gleichberechtigte Beteiligung von Frauen an Konfliktlösungen und Verhandlungen, hat IFFF/WILPF zusätzlich immer einen grenzüberschreitenden Ansatz verfolgt. Dieser bekommt 2016 in einem krisengeschüttelten Europa, wo neue Mauern und Zäune aufgerichtet werden und patriotische bis rassistische Sprüche und Aktionen die Menschen voneinander trennen, wieder eine hohe Dringlichkeit. Im Sinne des umfassenden Verständnisses von menschlicher Sicherheit sind wir alarmiert, wenn Armut, Perspektivlosigkeit von Menschen, die vom Wohlstandsmodell abgehängt sind, aber auch Klimawandel, Austeritätsmaßnahmen, Frauen und Mädchen auf der Flucht und ethnische Zementierung von Konflikten nach intensiver ziviler Kooperation rufen, weil sie sich weder durch Abschreckung noch militärisch lösen lassen.

IFFF/WILPF hat in ihrer über 100-jährigen Geschichte den Aufbau kooperativer Sicherheitsarchitektur gefordert (vom Völkerbund bis zu den Vereinten Nationen), die nichtmilitärische Konfliktlösungsmodelle und vor allem präventive Maßnahmen unter verantwortlicher Mitwirkung auch von Frauen entwirft und vorantreibt. Die Unterstützung der OSZE entspringt einem umfassenden Konversionsansatz, der punktuell im Rahmen von Friedensverhandlungen und Wahlbeobachtungen, aber auch in langfristigen überstaatlichen Dialogstrukturen ihren Ausdruck findet.

Kleiner historischer Rückblick
Bereits 1996 hat Barbara Lochbihler als damalige Generalsekretärin von WILPF die Anstrengungen innerhalb der OSZE-Strukturen für eine neue Sicherheitsarchitektur für Europa mit den Worten begrüßt:

Veränderungen in dem allgemeinen Denken über die Bedeutung von Sicherheit heute, die Konfliktursachen minimieren und Konflikte auf nichtmilitärische Weise lösen ... dass Sicherheit in gerechten und nachhaltigen ökonomischen und sozialen Entwicklung liegt ... dass die Ressourcen der Welt auf bessere Art denn in Waffen investiert werden müssen ... die Sicherheitspolitik der Zukunft muss eine Konversionspolitik entwickeln, die von Krieg zu Frieden führt.” (1)

Mit der Istanbuler Sicherheitscharta von 1999 wurde eine überzeugende Plattform für kooperative Sicherheit verabschiedet, die von einer Friedensbewegung begrüßt wurde, die sich vehement gegen die parallel in Gang gesetzte „realpolitische“ NATO-Erweiterung stemmte. Statt dramatisch erhöhter Militärbudgets, Ausbau von Overkillkapazitäten, offensiver Förderung der Rüstungsindustrie und Einrichtung strategischer Militärbasen setzte sie auf Ausbau und Aufwertung politischer Prozesse in der Perspektive einer europäischen Friedensordnung und eines Paradigmenwechsels. Sie sprach sich für die Einrichtung nuklearfreier Zonen (2) und den Ausbau schnell einsetzbarer Polizeikräfte (rapid reaction forces) aus und für Trainingsprogramme zur Überwindung von Gewaltstrukturen, zum Aufbau von Vertrauen und für die gesamte Palette von Präventionsinstrumenten, für die Generationen von FriedensforscherInnen Konzepte entwickelt hatten, die auf langfristige Unterstützung durch Geber von zivilgesellschaftlichen Gruppen/Frauenorganisationen in den Konfliktregionen setzten. Es bleibt die Erkenntnis, dass Prävention nicht im medialen Interesse lag und liegt, denn sie produziert nur „Nichtereignisse“. (3)

Aus wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen wurde die OSZE in den Folgejahren politisch marginalisiert - trotz effektiver Feldoperationen z.B. im Kaukasus und in Moldawien. Nach veränderter Schwerpunktsetzung mit den Helsinki-Beschlüssen zur europäischen Sicherheitspolitik und dem Ausbau der EU-Verteidigungssäule und damit Militarisierung der EU, brauchte es fast bis zum Ukrainekonflikt 2014, bis wieder jemand von der OSZE sprach, bzw. sie als relevanten Player mit Vermittlungsmöglichkeiten zwischen Ost und West ins Spiel brachte. Dass auch in diesem Einsatz vorwiegend MilitärbeobachterInnen zum Zug kamen, ist eine bittere Pille. Problematisch ist jedoch, dass der UN-Sicherheitsrat zunehmend vorwiegend selektive Militäreinsätze sanktioniert, und dies natürlich auch an der OSZE-Struktur nicht spurlos vorbeigeht. Die geänderte Weltlage, internationale Interventionspolitik, die Aufrechterhaltung der Abschreckungslogik (mit Atomwaffen), Planungen für einen USA-Sicherheitsschirm, die Verzahnung (militärischer) Strukturen von EU, NATO, UNO und OSZE und vor allem die institutionalisierte militärisch-zivile Kooperation hebeln Neutralität aus und behindern kooperative Strukturen. Das Doppeldilemma der OSZE, für die Sicherung der Rechte des Individuums und der Staaten zuständig zu sein, erschweren gleichzeitig die in den Statuten verankerte Konsensbildung für (schnelle) Entscheidung. Erfolge werden dadurch nur für Insider noch sichtbar.

Genderdimension
Die OSZE hat früh eine Genderdimension (Geschlechterdimension) verankert und bereits 2004 einen Aktionsplan zu Genderequality verabschiedet. (4) Zugang zu Bildung und Empowerment von Frauen auch im Bereich von Wirtschaft und Beschäftigung, Antidiskriminierung, Förderung von Kompetenz und Expertise in grenzüberschreitenden Initiativen gehören dazu, wie die Einbeziehung von Frauen in Entscheidungsstrukturen auf allen Ebenen, in den 57 OSZE-Staaten wie in den Exekutivorganen. Das Gender-Sekretariat sitzt in Wien: „Die OSZE erkennt an, dass gleiche Rechte und Möglichkeiten für Frauen und Männer fundamental sind, umfassende Sicherheit zu erzielen, und hat sich verpflichtet, sicherzustellen, dass eine Geschlechterperspektive in alle ihre Aktivitäten integriert ist. Um dies effektiv zu tun, gibt die Gender-Abteilung des Sekretariats Unterstützung für alle OSZE Strukturen, Feldeinsätze und teilnehmende Staaten.” (5) In diesem Auftrag wurde in der Special Monitoring Mission in der Ukraine z.B. eine Vollzeit-Genderberaterin eingestellt.

In einem Addendum 2014 zum 10. Jahrestag des Plans bleiben aber noch viele Wünsche offen bezüglich gegenderter Konfliktanalyse, aktiver Einbindung von Frauen in alle Phasen des Krisenmanagements, insbesondere auch in Führungspositionen und in der Terrorismusbekämpfung.

Mira Beham, die Genderberaterin der OSZE im Botschafterrang, verwies bei einem Treffen mit der Zivilgesellschaft zum Beginn der deutschen OSZE-Präsidentschaft auf dominierende patriarchale Strukturen in manchen (postsowjetischen) Mitgliedsstaaten und das zähe Bohren dicker Bretter auf allen OSZE-Konferenzen, denen sie mit spezifischen Lockangeboten wie „Genderbriefing beim Powerbreakfast“ begegne.

Auch bei Konferenzen mit Beteiligung der Zivilgesellschaft ist die Bewusstseinsbildung zur Integration des Gendermainstreamings noch nicht in allen Köpfen angekommen, denn Staaten wie Organisationen entsenden mehr Männer als Frauen, und die Erkenntnis, dass es ohne Frauen keinen Frieden geben kann, steht noch aus.

WILPF und die OSZE im Jahr 2016
WILPF war zu Beginn des Jahres im Rahmen des Frauensicherheitsrates und der Umsetzung der UNSCR1325 zu einem ersten Briefing für die Zivilgesellschaft eingeladen. Da die NGO-Beteiligung seit 2014 (Schweizer Präsidentschaft) insbesondere über die Civic solidarity platform (6) organisiert wird, ist WILPF dieser Plattform beigetreten und engagiert sich im Bereich Antidiskriminierung, Verfolgung sexualisierter Gewalt, Frauen in Entscheidungsfunktionen und good practice-Beispielen aus den Erfahrungen der WPS-Agenda (Frauen, Frieden und Sicherheit, 7) auf Konferenzen in Wien im Rahmen der Human Dimension zum Thema „Antidiskriminierung, Toleranz und Antisemitismus“ und in Tbilissi zu „Kleiner werdender Raum für Zivilgesellschaft und den Schutz von MenschenrechtsvderteidigerInnen“. Zu letzterem gibt es Kooperationen mit türkischen Frauenorganisationen.

In Deutschland beteiligt sich der Frauensicherheitsrat mit Kommentierung an der Evaluation der Ratspräsidentschaft durch das Deutsche Institut für Menschenrechte und voraussichtlich im Herbst an einer Überprüfungskonferenz in Warschau zum Bereich „Frauen, Frieden und Sicherheit“ mit einem Sideevent.

 

Anmerkungen

1 Barbara Lochbihler, presentation to the OSCE Review Conference, Vienna 1996

2 1995 massive Proteste in Frankreich gegen Nukleartests, Abolition 2000

3  2010 Heidi Meinzolt zu nötigen erhöhten Präventionsanstrengungen im Bereich der UNSCR1325

4 http://www.osce.org/what/gender Gender Action Plan for the Promotion of Gender Equality MC.DEC/14/04)

5 http://www.osce.org/what/gender

6 http://www.civicsolidarity.org/

7 www.peacewomen.org, www.wilpf.org

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