Die Feministische Außenpolitik und der Pazifismus

Die Feministische Außenpolitik und der Pazifismus

von Elise Kopper
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In den Leitlinien zur Feministischen Außenpolitik, die das Auswärtige Amt im März 2023 veröffentlichte, heißt es, Feministische Außenpolitik sei „nicht gleichbedeutend mit Pazifismus“. Auf der Website des Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP), dem prominentesten zivilgesellschaftlichen Akteur auf dem Gebiet der Feministischen Außenpolitik in Deutschland, kommen die Begriffe „pazifistisch“ und „Pazifismus“ nicht ein einziges Mal vor. Und auch die feministische Friedens- und Konfliktforscherin Cynthia Enloe, eine der Vordenkerinnen des Konzepts, wird in einem Interview mit der ZEIT im Juli 2023 mit dem Satz zitiert: „Feministische Außenpolitik ist nicht pazifistisch.“

Doch: Warum eigentlich nicht? Ist das Konzept als solches tatsächlich nicht vereinbar mit pazifistischen Grundsätzen? Oder ließe es sich nicht doch pazifistisch denken? In diesem Beitrag nenne ich einige Anschlusspunkte, die Feministische Außenpolitik und Pazifismus verbinden – vielleicht mehr, als es den Vertreter*innen beider Konzepte bewusst ist. (1)
 
Anschlusspunkt 1: Antimilitarismus
Feministische Außenpolitik versteht sich als antimilitaristisch. Einer Außenpolitik, die auf militärische Macht als Ausdruck patriarchaler Stärke setzt, wird eine Absage erteilt. Auch Militarisierung innerhalb der Gesellschaft wird abgelehnt. Stattdessen wird in zwischenstaatlichen und innergesellschaftlichen Beziehungen auf Dialog, Kooperation und Partnerschaftlichkeit gesetzt. Im Fokus stehen nicht die nationale Sicherheit und die Sicherheit der Landesgrenzen, sondern ein umfassendes Verständnis menschlicher Sicherheit von Individuen und marginalisierten Gruppen. Ähnlich wie der Pazifismus betont auch die Feministische Außenpolitik die Notwendigkeit für konsequente nukleare wie konventionelle Abrüstung.

Anschlusspunkt 2: Abrüstung und Ressourcenverteilung
Mit der Aufrechterhaltung eines militärischen Apparats geht notwendigerweise ein enormer Ressourcenaufwand einher. Das betrifft finanzielle Mittel, die etwa beim Klimaschutz und in sozialen Bereichen fehlen und damit nicht für die Schaffung von menschlicher Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit zur Verfügung stehen bzw. diesen aktiv abgezogen werden. Das betrifft aber auch die CO2 - Emissionen des Militärs – sie werden weltweit weitgehend von der Pflicht ausgenommen, sie in Berichten anzugeben – sowie andere umwelt- und klimaschädliche Stoffe, die zur Herstellung von Waffen, für Übungen und beim Einsatz von Militär in Kriegen genutzt bzw. ausgestoßen werden. Es ist dem militärischen Apparat (und seiner Schwester, der Rüstungsindustrie) inhärent, immer weiter wachsen zu wollen und damit nach innen wie nach außen Stärke zu demonstrieren. Feministische Außenpolitik und Pazifismus setzen dem den gemeinsamen Ruf nach Investitionen in den Frieden entgegen.

Anschlusspunkt 3: Waffen und Waffenlieferungen
Pazifismus wie Feministische Außenpolitik warnen gleichermaßen vor den Gefahren, die von Waffen und Waffenlieferungen ausgehen. Diese Gefahren beschränken sich dabei nicht nur auf unmittelbare Kriegssituationen, sondern betrachten auch die Nachkriegszeit und innergesellschaftliche Gewaltmuster. Stichworte sind hier etwa die kaum umzusetzende Endverbleibskontrolle sowie die häusliche Gewalt. Eine einmal gelieferte Waffe oder Waffentechnologie kann kaum noch kontrolliert werden und ist oft auch Jahre und Jahrzehnte nach ihrem „ursprünglichen“ Zweck noch einsatzbereit. Militärisches Großgerät kann genutzt werden, um friedliche Demonstrationen niederzuschlagen oder Minderheiten zu vernichten; Kleinwaffen gelangen allzu oft in kriminelle Strukturen oder private Hände, wo sie Gewalt auch gegen Zivilist*innen und häusliche Gewalt fördern; Minen, Streumunition und Uranmunition sorgen noch Jahrzehnte nach ihrem Einsatz dafür, dass Kinder beim Spielen tödlichen Gefahren ausgesetzt sind. Feministische Außenpolitik sieht all diese Problematiken – und kann und darf sie im Gegensatz zu herkömmlicher Politik nicht so einfach aus „realpolitischen Erwägungen“ wegwischen. Denn sie muss ihrem Anspruch gemäß ständig hinterfragen, welche Wirkungen ihr Handeln – auch langfristig – auf die Schwächsten der Gesellschaft hat. Wenn diese Wirkung eine potentiell massiv erhöhte Gefahr für diese Gruppen bedeutet, kann Feministische Außenpolitik zu einem ähnlichen Schluss kommen wie der Pazifismus und Waffenlieferungen ablehnen.

Anschlusspunkt 4: Komplexität
Feministische Außenpolitik, das wird zum Beispiel beim Thema Waffenlieferungen deutlich, macht es sich schwer – und zwar mit voller Absicht. Denn sie denkt in viel mehr Kategorien als herkömmliche Außenpolitik, schließt viel mehr Perspektiven und Akteur*innen ein, reflektiert permanent das eigene Handeln und fragt nach den eigenen Anteilen am Unrecht. Ganz ähnlich schwer macht es sich der Pazifismus. Mit dem nur vermeintlich einfachen „Nein“ zu militärischer Gewalt wird er ständig herausgefordert, auch ein „Ja“ als Alternative zu entwickeln. Seine Antworten auf bevorstehende und akute Gewalt, etwa die Zivile Konfliktbearbeitung, das Zivile Peacekeeping, den Gewaltfreien Widerstand oder die Soziale Verteidigung, erfordern viel mehr Nachdenken, Reflexion und Differenzierung, auch viel mehr Zeit als militärische Antworten. Wie die Feministische Außenpolitik steht auch der Pazifismus eben wegen dieser multiperspektivischen Abwägung von Bedürfnissen und Interessen immer wieder vor Dilemmata, die denen der Feministischen Außenpolitik nicht unähnlich sind.

Anschlusspunkt 5: Aufwertung weiblich konnotierter Eigenschaften
Pazifismus wie Feministische Außenpolitik sehen sich von Seiten der Mehrheitsmeinung oft mit derselben Herablassung konfrontiert: Sie seien schwach und naiv. Vokabeln, die traditionell weiblich konnotiert werden und in einer immer noch männlich geprägten Außen- und Sicherheitspolitik dazu beitragen, dass pazifistische oder feministische Ansätze als inkompetent dargestellt werden. Hier könnten und sollten sich beide Konzepte gegenseitig stärken.

Zentrale Herausforderung: Selbstverteidigung und Verteidigung von Menschenrechten
Am schwierigsten ist die Vereinbarkeit von Pazifismus und Feministischer Außenpolitik wohl dort, wo es um das Thema Selbstverteidigung und die Verteidigung von Menschenrechten geht. Hier sehen die meisten Vertreter*innen Feministischer Außenpolitik – im Gegensatz zu den meisten Vertreter*innen des Pazifismus – militärische Gewalt unter bestimmten Umständen als notwendig an. Doch: Denkt Feministische Außenpolitik beim Thema Selbstverteidigung dann nicht doch wieder in Kategorien der nationalen und nicht der menschlichen Sicherheit? Ist es wirklich mit Feministischer Außenpolitik vereinbar, wenn Menschen (überwiegend Männer) im Auftrag des Staates zur Verteidigung der Landesgrenzen in den Krieg und damit gegebenenfalls in den Tod geschickt werden? Und ist dieses „Manchmal geht es halt nicht anders als mit Militär“ wirklich etwas anderes als das, was bereits seit Jahrzehnten in Deutschland praktiziert wird? Rhetorisch hatten Prävention und Zivile Konfliktbearbeitung hier schon lange Vorrang.Praktisch wurde die vermeintliche ultima ratio Militär jedoch mit so viel mehr Mitteln ausgestattet und durch so viel stärkere Lobbystimmen gepusht, dass militärische Mittel dann doch verfügbarer, vertrauter und verlässlicher erschienen als die weniger erprobten zivilen pazifistischen Instrumente. Um diesen Kreislauf endlich zu durchbrechen und den pazifistischen Instrumenten eine echte Chance zu geben, braucht es ein radikales Umdenken – eine Revolution des außenpolitischen Denkens.

Und damit kommen wir zum letzten Anschlusspunkt 6: dem revolutionären Ansatz. Denn genauso wie der Pazifismus, benötigt und fordert auch die Feministische Außenpolitik revolutionäres Denken und Handeln, um nicht nur an der Oberfläche zu kratzen, sondern seinem Anspruch gerecht zu werden, die seit Jahrhunderten gefestigten patriarchalen und militaristischen Herrschafts- und Machstrukturen aufzubrechen und abzuschaffen.

Fazit
Ich bin der Überzeugung, dass es möglich und vielversprechend ist, das Konzept der Feministischen Außenpolitik auch pazifistisch zu denken. Und dass es sich lohnt, die einzelnen Grundsätze des Konzepts noch einmal tiefgehender auf Anknüpfungspunkte und Differenzen zu den Grundsätzen des Pazifismus abzuklopfen, als es dieser kurze Artikel leisten kann. Vielleicht kommen die Menschen, die das tun werden, dann zu einem anderen Ergebnis als ich. Aber vielleicht entdecken sie auch, dass die politische Revolution, die die Feministische Außenpolitik sein und herbeiführen will, den Pazifismus und die pazifistische Friedensbewegung mit ihrer besonderen Fachkompetenz braucht.

Anmerkung
(1) Vorangestellt sei hier, dass es „den“ Pazifismus als solchen genauso wenig gibt wie „die“ Feministische Außenpolitik. Beides sind Konzepte mit unterschiedlichen Strömungen. Bei der Feministischen Außenpolitik ist zudem zu betonen, dass hier klar zwischen dem zugrundeliegenden Konzept, das im Wesentlichen durch Zivilgesellschaft und Wissenschaft erarbeitet wurde, und der Umsetzung in der (deutschen) Politik unterschieden werden muss. Wenn in diesem Beitrag von Feministischer Außenpolitik die Rede ist, ist explizit nicht die aktuelle Außenpolitik der Bundesregierung gemeint, sondern das Konzept. Als Orientierung dient hier zum Beispiel das Manifest „Eine Feministische Außenpolitik für Deutschland“ (2021) des CFFP.

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Mitglied des Vorstands im Bund für Soziale Verteidigung e.V., Geschäftsführerin beim Frauennetzwerk für Frieden e.V. und Referentin für Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit bei erlassjahr.de - Entwicklung braucht Entschuldung e.V.