Die Friedensbewegung schweigt nicht, aber...

von Christine Schweitzer
Initiativen
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1. Positionsfindungen

Es muß festgestellt werden, daß es der Friedensbewegung nicht gelungen ist, zu einer gemeinsamen Position zum Krieg in Ex- Jugoslawien zu finden. Zum einen gibt es da diejenigen, die keine Lösung des Konfliktes jenseits eines verstärkten militärischen Engagements der UNO oder Westens in Ex-Ju­goslawien sehen. Im Gegensatz zum Golfkrieg, wo ein breiter Konsens gegen die Militärintervention bestand, ist die Verunsicherung im Falle Bosniens sehr groß. Viele sehen keinen anderen Aus­weg mehr, als mit Gewalt die bosnische Bevölkerung in Sarajevo, Tuzla und den Enklaven vor Vertreibung oder Tod zu schützen. Ein Angriff auf serbische Mi­litärstellungen - hier wird oft sehr auf die angebliche Präzision moderner Waf­fen gesetzt - scheint als das kleinere Übel. Dies ist im Übrigen auch die Posi­tion eigentlich aller Antikriegs-und Friedensgruppen im ehemaligen Jugo­slawien. Außerdem setzten sich viele (als zusätzliche Maßnahme oder alter­nativ) für die Aufhebung des Waffen­embargos ein. Dazu gehören besonders große Teile der Friedensbewegung in den USA und in England.

Ein zweiter Kreis vor allem aus pazifi­stischen Gruppen hat es schon seit län­gerem aufgegeben, dem Druck nach­zugeben, kurzfristige Lösungen benen­nen zu müssen. Gute Beispiele sind z.B. die Pressemitteilungen von Organisatio­nen wie Pax Christi und dem Komitee für Grundrechte und Demokratie (1). Sie benennen humanitäre Hilfe, die Unterstützung der Zivilgesellschaft in den Ländern Ex- Jugoslawiens (Medien, Friedens-und Menschenrechtsgruppen usw.) und eine andere Flüchtlingspolitik als Hauptansatzpunkte von Friedensar­beit. Bewusst oder unbewusst verweigern sie sich dabei der Beantwortung der Frage nach dem "was nun"?, denn ihre Vorschläge sind alle langfristiger Natur und kaum geeignet, die jetzt in Gorazde und Sarajevo Bedrohten zu schützen.

In Deutschland hat sich in den letzten Wochen das Interesse vor allem auf die Frage der deutschen Beteiligung an den Krisenreaktionskräften gerichtet. Sie wird von großen Teilen der Friedensbe­wegung abgelehnt, entweder aus grund­sätzlicher Kritik an der Interventionspo­litik heraus oder weil an die Rolle Deutschlands in Jugoslawien während des zweiten Weltkriegs erinnert wird. Bei einer vom Netzwerk Friedenskoope­rative organisierten Kundgebung in Lechfeld/Franken angesichts des Starts der Tornados nach Italien erklärten VertreterInnen verschiedener Organisa­tionen (u.a. AGDF, BBU, DFG-VK, Graswurzelrevolution und Komitee für Grundrechte und Demokratie), daß sie gegen militärische Intervention von au­ßen seien und vor weiterer militärischer Eskalation warnten und eine Beteiligung deutscher Tornados die Erinnerung an die Gräueltaten der Wehrmacht wachru­fen würde. Außerdem zählen sie eine Reihe alternativer Forderungen, von der Abschaffung der Visumspflicht für Flüchtlinge bis hin zur Stärkung der "Zivilgesellschaft" in den Ländern Ex-Jugoslawiens auf.

Es gibt allerdings auch einige Erklärun­gen oder Artikel, die versuchen, politi­sche Alternativvorschläge einzubauen, die der Frage nach kurzfristigen Schrit­ten genüge tun sollen. Dabei ist sicher­lich allen bewusst, daß diese Erklärun­gen mehr mit Blick auf die innenpoliti­sche Debatte geschrieben wurden als mit Hoffnung darauf, daß sie eine real­politische Umsetzung finden. Damit er­füllen sie aber eine wichtige Funktion, nämlich einen Weg jenseits von Nichtstun oder Bejahung militärischer Intervention aufzuzeigen.

Beispiele hierfür wären folgende:

1. Der Genfer Journalist Andreas Zu­mach hat vor wenigen Monaten vor­geschlagen, daß die Europäische Union allen jugoslawischen Nachfol­gestaaten die Mitgliedschaft in der EU anbieten und dies an bestimmte Bedingungen (Rückkehr aller Flüchtlinge und gerichtliche Verfol­gung aller Kriegsverbrechen) knüp­fen solle. EU-Mitgliedschaft sei für alle Länder so attraktiv, daß sie gewiss zu großen Zugeständnissen bereit seien, um sie zu erlangen. Und au­ßerdem würden die Grenzen zwi­schen den verfeindeten Ländern un­wichtig werden, wenn sie in die grö­ßere Gemeinschaft eingegliedert würden.

2. Der Völkerrechtler und Pazifist Cur­tis Francis Doebbler meldete sich Anfang Juni mit einem Beitrag zu Wort, in dem er sich für eine Kapi­tulation der bosnischen Regierung ausspricht. Er argumentiert, daß Krieg schließlich eine der schwersten Menschenrechtsverletzungen sei. Das, was gewonnen oder verloren werde wäre nur noch die Hülle eines Landes. Außerdem könnten Führer wie Radovan Karadzic und Slobodan Milosevic kein Volk ohne die Ablen­kung durch einen Krieg regieren - ein Kriegsende werde damit über kurz oder lang auch zu ihrem Sturz führen.

3. Stefan Gose, Mitglied der Redaktion der "antimilitarismus information" aus Berlin schlägt in einem Beitrag zur ami 5/95 vor, UNPROFOR solle aus Bosnien abziehen und durch rein zivile Hilfsdienste ersetzt werden. Seine Argumentation ist, daß der UNPROFOR-Einsatz in Bosnien ge­scheitert sei - ihr bleibe nur noch die Alternative zwischen Kampfeinsatz oder Abzug, da sie ihre Rolle als neutraler Dritter schon längst einge­büßt habe. Zivile Organisationen sollten die humanitäre Hilfe über­nehmen und die internationale Ge­meinschaft sich auf die strikte Ein­haltung des Embargos (gegen Bos­nien allein?) konzentrieren, wozu auch die finanzielle Unterstützung aller bosnischen Nachbarstaaten ge­hört.

4. Eine Erklärung des Bundes für So­ziale Verteidigung forderte als ersten Schritt die Rücknahme der Stationie­rung der "Krisenreaktionskräfte" und der Drohung mit weiteren Luftangrif­fen und eine Rückkehr zum klassi­schen Peacekeeping aus; die Ver­handlungen mit Milosevic zur Aner­kennung Bosniens und Kroatiens sollten vorangetrieben werden; der sog. Friedensplans der Bosnien- Kontaktgruppe dahingehend abgeän­dert werden, daß keine Seite einen Teil der zum Stichtag "heute" kon­trollierten Gebiete zurückgeben müsse; Garantien für den serbischen Korridor zur Krajina sollten in Tausch für Garantien für die einge­schlossenen ostbosnischen Städte und für Sarajevo durch die bosnischen Serben gegeben werden, abgesichert durch Versprechen wirtschaftlicher und sozialer Hilfe; und ein ausführli­cher Stufenplan zur Wiederherstel­lung friedlicher Verhältnisse wurde skizziert. International flankiert wer­den sollten diese Maßnahmen durch Initiativen, die dem Aufbau von De­mokratie und Medienvielfalt dienen.

2. Aktivitäten

Unabhängig von diesen Problemen in der Positionsfindung gibt es eine große Zahl von Aktivitäten gegen den Krieg aus Reihen der Friedensbewegung. Hu­manitäre Hilfe, Unterstützung von Gruppen und Organisationen in den Ländern Ex-Jugoslawiens, alternative Medienarbeit, Freiwilligendienste, Flüchtlingsarbeit usw. werden neben den klassischen Fachorganisationen wie Caritas, Ärzte ohne Grenzen, UNHCR etc. vor allem durch Gruppen geleistet, die der Friedensbewegung angehören oder nahestehen. Sie sollen hier nicht im Einzelnen aufgezählt werden - as Frie­densforum hat hierüber immer wieder berichtet - sind aber das Hauptargument der Friedensbewegungen den Vor­wurf, zum Krieg in Ex-Jugoslawien zu schweigen.

3. Die Politik hat versagt, nicht der Pazifismus

In diesem Krieg sind mehrfach ver­hängnisvolle Fehler von Seiten der in­ternationalen Gemeinschaft gemacht worden. Nicht die Friedensbewegungen sind schuld daran, daß es zur jetzigen hoffnungslosen Lage gekommen ist. Im Gegenteil: Sie waren die einzigen, die immer wieder warnend, aber vergeblich ihre Stimme erhoben. Wäre es zu der gewaltsamen Teilung Jugoslawiens ge­kommen, wenn die internationale Ge­meinschaft schon 1989/90 diplomatisch eingegriffen und Unterstützung bei einer friedlichen Neuordnung des Landes an­geboten hätte? Hätte der Krieg in Bos­nien vielleicht vermieden werden kön­nen, wenn das Land nicht übereilt und gegen den Willen eines Drittels seiner Bevölkerung Anfang April 1992 als un­abhängiger Staat anerkannt worden wäre? Warum hat nie jemand auch nur versucht, angesichts der Spannungen zwischen drei Bevölkerungsgruppen, die völlig gemischt zusammenlebten, an andere Lösungen als ethnisch einheitli­che Regionen ("Kantone" hieß es zuerst 1992) zu denken? Wurden Vertreibun­gen ("ethnische Säuberungen") viel­leicht deshalb so leicht hingenommen, weil auch die mächtigen westlichen Staaten nach dem Modell ein Volk-ein Staat organisiert sind? Und wie sieht es mit dem UN-Einsatz in Bosnien aus? Längst wird allgemein zugegeben, daß UNPROFOR mit ihrem Zwittermandat zwischen Peacekeeping und Friedenser­zwingung (peace enforcement), das selbst von Boutros Boutros-Ghali kürz­lich in einem Papier kritisiert wurde, ge­scheitert ist.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.