Die Konversion militärischer Liegenschaften als zivilgesellschaftlicher Prozeß

von Michael Lobeck

Unter Konversion versteht man allgemein, wenn es sich denn um 'Militärisches' und nicht um Kirchenwechsel handelt, meistens die Um­stellung einer Produktion von Kriegsgerät auf zivile Güter - G3 zu Zapf­hähnen. Darum geht es hier aber nicht. Durch den Abzug der alliierten Truppen aus der Bundesrepublik sowie der Verringerung der Standorte der Bundeswehr werden ehemals militärisch genutzte Liegenschaften von derzeit ca. 247.000 Hektar frei. Dies entspricht knapp der Fläche des Saarlandes oder ca. der Fläche, die beim derzeitigen Tempo in sie­ben Jahren für Siedlungs- und Verkehrsfläche verbraucht werden wird.

 

Warum ist die freiwerdende Fläche so wichtig? Die Nutzung von diesen ehemals militärisch genutzten Flächen ent­scheiden direkt über die Lebenswelt der BewohnerInnen, die in der Nähe dieser Flächen leben oder sie sinnvoll für sich nutzen könnten, wenn sie denn zur Ver­fügung stünden. Es ist halt ein Unter­schied, ob auf einem aufgegebenen Truppenübungsplatz ein Naturschutzge­biet, eine Sondermüllverbrennungsan­lage oder ein Freizeitpark entsteht.

Wie viele Flächen werden wo frei? Ist der Abzug von Soldaten und Freigabe von Flächen für die betroffenen Kom­munen eher als Chance oder als Bela­stung zu werten? Wer entscheidet über die enorme Größenordnung der freiwer­denden Flächen und ihre zukünftige Nutzung? Welche Möglichkeiten und Grenzen gibt es für eine zivile Nutzung der freiwerdenden Flächen? Dies sind die Fragen, die ich im folgenden Artikel beantworten will. Es soll aufgezeigt werden wie groß die Bedeutung der freiwerdenden Flächen ist und wo Mög­lichkeiten und Risiken der Konversion ehemals militärisch genutzter Flächen liegen.

 

Die östlichen Bundesländer gewinnen die meisten Flächen

Von den ca. 243.000 ha die freigezogen werden, liegen 225.000 ha in den östlichen Bundesländern und "nur" 18.000 ha in den westlichen (vgl. zur Vertei­lung auch Karte "Flächenpotential frei­werdender militärischer Liegenschaf­ten"). Die genauere Verteilung ergibt sich aus der Tabelle "Übersicht frei wer­dender militärischer Liegenschaften in der Bundesrepublik".

 

Ist der Abzug Chance oder Bela­stung?

Die Frage, ob im konkreten Fall einer Gemeinde der Abzug als positiv oder

negativ bewertet wird, hängt von ver­schiedenen Faktoren ab. Die wesentli­chen sind hierbei:

- bisherige Abhängigkeit der Ge­meinde vorn Militär

- Größe, Lage und Zustand der frei­werdenden Liegenschaften

- Angebot- und Nachfrageverhältnisse auf dem Flächenmarkt

Während Kommunen in strukturschwa­chen Gebieten häufig über die in Zu­kunft fehlenden Einnahmen aus Kon­sumausgaben der Soldaten klagen, zei­gen sich die Städte und Gemeinden in wirtschaftlichen Wachstumsgebieten er­freut über den Zuwachs an disponibler Fläche, die die Engpässe auf dem Ge­werbe- und Siedlungsflächenmarkt dämpfen kann.

 

Der Prozeß von der Freigabe bis zur zi­viler Wiedernutzung

Wer entscheidet über Freigabe? In der Abbildung "Schematische Über­sicht über die Verfahrensschritte bei der Freigabe bisher militärisch genutzter Liegenschaften" wird deutlich, daß als Eigentümerin jeweils entweder das BMVg oder das Bundesministerium der Finanzen (BMF) fungieren. Nach der Beendigung der militärischen Nutzung, über das allein die Militärs (BMVg oder Alliierte) entscheiden, fallen die Liegen­schaften in das allgemeine Bundesver­mögen. Gleichzeitig fallen die Flächen aus der Hoheit der militärischen Fachplanungen in die allgemeine Raum­planung, die in den Händen der Kommunen liegt. Dies sagt jedoch noch nichts über die weitere Nutzung der Flä­chen aus.

Zunächst bleiben die Flächen im Bun­deseigentum und die Bundesfinanzverwaltung prüft, ob eine Bundesanschluß­nutzung erwünscht wird. Ist dies nicht der Fall, haben nacheinander zuerst das Land und dann die Kommune ein Vor­kaufsrecht für die Flächen, wobei ihnen der Bund für gewisse Nutzungen Ver­billigungen gegenüber dem 'Verkehrsert' einräumt.

 

Die Verbilligungen sind nicht billig genug

Die Kommunen sind so gut wie einhel­lig der Ansicht, daß die angebotenen 'Verbilligungen' nicht ausreichen und sehen sich in vielen Fällen außerstande, die angebotenen Flächen zu erwerben, selbst wenn sie sie für ihre Stadtentwicklung für bedeutsam halten. Es gibt in fast jedem Einzelfall einen Werter­mittlungstreit zwischen den Kommunen und dem zuständigen Bundesvermö­gensamt (BVA), einer administrativen Untereinheit der OFD. So streiten sich z.B. die Stadt Frankfurt und das zustän­dige BVA um den Preis verschiedener Kasernengelände. Die Stadt ist bereit 25 DM pro Quadratmeter zu zahlen, wäh­rend das BVA 1.000 DM verlangt. Diese enorme Spanne ist sicher nicht typisch. Deutlich wird aber ein fehlen­des Wertermittlungsverfahren, das z.B. zwischen dem BMF und den Spitzen­verbänden der Städte und Gemeinden ausgehandelt werden könnte, um dann in Einzelfällen vor Ort angewandt zu wer­den. Hier könnte man den Streit auf eine gründliche Auseinandersetzung redu­zieren, statt ihn ständig wieder neu vor Ort auszutragen.

 

Die Nutzung der Flächen und die 'Planungshoheit' der Kommune

In der Bundesrepublik sind die Kom­munen die Träger der Flächenplanung. Sie nehmen über Flächennutzungs- und Bebauungspläne Einfluß auf die städtebauliche Entwicklung der Gemeinde. Wenn es also zu wenig Flächen für Wohnungsbau gibt, oder keine Grünflä­chen mehr in der Stadt, liegt die Schuld beim Rat der Stadt. Sobald die militäri­sche Nutzung beendet ist, und die Flächen aus der Zuständigkeit einer Fach­planung des Bundes herausfallen, kön­nen die Kommunen über Flächennut­zungs- und Bebauungspläne gemäß Baugesetzbuch (BauGB) Einfluß auf die Nutzung der Flächen nehmen. Bei diesen Planungen gibt es auch eine gesetz­lich verankerte 'Beteiligung der Bürger' (§3 BauGB), die jedoch nur den wenig­sten bekannt ist und von noch wenige­ren genutzt wird. Man kann durch dieses gesetzlich verankerte Recht auf Beteili­gung einiges erreichen, auch wenn es nur zwingend vorschreibt, daß sich die Verwaltung mit den Einwänden der Bürgerinnen auseinandersetzen muß.

Nun gilt in der Bundesrepublik jedoch neben der Planungshoheit der Kom­mune (abgeleitet von Art. 28,2 GG) auch das Eigentumsrecht (Art. 14,1 GG). Dies sorgt dafür, daß ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen den In­teressen des Eigentümers (im Falle der Konversionsflächen der Bund) und der Kommune entstehen kann, da die Kommune berechtigt ist Rahmenbedin­gungen für die Nutzung der Fläche fest­zulegen, aber in der Regel den Eigen­tümer nicht zwingen kann, genau das auf der Fläche zu realisieren, was die Kommune für eine städtebauliche Ent­wicklung für das geeignetste hält. Um hier sicher zu gehen, muß die Kommune die Fläche selbst erwerben um die ge­wünschte Nutzung zu realisieren oder mit Auflagen in privatrechtlichen Ver­trägen zur weiteren Nutzung wieder zu veräußern.

Im konkreten Fall ist der Bund grund­sätzlich daran interessiert, für die zu veräußernden Flächen eine hohe Ren­dite zu erzielen, während die Kommu­nen evtl. Nutzungen für die betroffenen Flächen vorsehen, die diese hohe Ren­dite für einen interessierten Käufer (sei es die Kommune selbst oder ein interessierter privater Investor) nicht erwirt­schaften können (z.B. Naherholungsfläche, Schulen, ...). Für gewisse Nutzun­gen ist der Bund den Kommunen über die Verbilligungsrichtlinien entgegen gekommen, diese reichen aber wie ge­sagt den Kommunen in den meisten Fällen nicht aus.

Ein großes Problem für finanzschwache Kommunen stellen insbesondere die  mangelnden Informationen über das Freiwerden ehemals militärisch genutz­ter Liegenschaften dar. Nicht nur, daß das BMVg ständig seine Planungen verändert, es ist auch bis heute nicht in der Lage, eine Liste aller freiwerdender Lie­genschaften der Bundeswehr und NVA inkl. wichtiger Informationen wie Größe, Lage und insbesondere Zustand der Liegenschaft zu erstellen. Die Kommune oder ein interessierte privater Investor müssen sich die für sie wichti­gen Informationen mühsam einzeln zusammensuchen. Dies stellt insbesondere für finanzschwache Kommunen, die es sich nicht leisten können 'auf Vorrat' verschiedene Planungen durchzuführen, von denen sie dann nach Bedarf eine auswählen, zu großen Schwierigkeiten.

 

Möglichkeiten und Grenzen der zivilen Wiedernutzung

Die Lage der Fläche - in der Bundesrepublik und in der Stadt:

Darauf, daß Regionen mit 'Wachstums­ruck' keine sonderlichen Schwierigkeiten haben, freiwerdende Flächen wieder zu ­nutzen, sei es mit Gewerbe, Büros oder Wohnebauung, habe ich schon hingewiesen. Darauf, daß die BürgerInnen über die Beteiligung gemäß Bau­gesetzbuch Einfluß auf die Art der Nutzung nehmen können, auch. In vornehmlich ländlichen Gebieten, in denen die Investoren nicht Schlange stehen, kann die Umnutzung von Flächen ein erhebliches Problem darstellen. Findet man keine rentable Nutzung, verursacht die Fläche Kosten

(Verwaltung, Sanierung, evtl. Sicherung bei Gefahrenquellen wie Munitionsrückständen) ohne Einnahmen zu erwirtschaften. Hat die Fläche dann noch einen Nutzen, wie z.B. ein Naher­holungsgebiet, kann das für die betreffenden Gemeinde ja sehr sinnvoll sein, auch wenn 'es sich nicht rechnet'. Ohne sinnvolle Nutzung jedoch werden diese Flächen zum Problem.

Nicht nur die Lage in der Republik, sondern auch die Lage der Fläche in der Stadt ist für die mögliche Nutzung von entscheidender Bedeutung. So liegen von der. z.Zt.  bekannten freiwerdenden Fläche nur ca. 13% im Innenbereich der Städte, wobei die westlichen Länder hier mit einem Anteil von 34% deutlich besser gestellt sind als die östlichen mit ca. 12%. Flächen in der Stadt lassen sich, außer für störendes Gewerbe, das niemand gerne nimmt, offensichtlich viel leichter verwerten als Flächen im Außenbereich, die in vielen Fällen nicht einmal ausreichend erschlossen sind.

 

Zustand der Liegenschaften - Bund zahlt nicht für Sanierung der Altla­sten

Sehr viele der freiwerdenden Flächen sind als altlastenverdächtig einzustufen. Auf Übungsplätzen sind Munitionsrück­stände und Öle sowie Treibstoffe zu vermuten, auf Flugplätzen - ebenfalls letztgenannte. In Lagern sind alle nur erdenklichen Rückstände vorzufinden und selbst auf Kasernengeländen finden sich vereinzelt starke Verunreinigungen, die vor einer Wiedernutzung beseitigt werden müßten.

 

Nun scheint ja auf den ersten Blick ganz einfach, daß derjenige, der den Boden verseucht hat, ihn auch wieder sauber machen muß. Also das Militär. Der Bund ist neben den Verschmutzungen, die durch die Bundeswehr verursacht worden sind, auch für diejenigen der NVA verantwortlich, da er Rechtsnach­folger der DDR geworden ist. Mit der Westgruppe der sowjetischen . Streit­kräfte (WG'I) ist eine Vereinbarung ge­troffen worden, daß der Bund die Flä­chen einschließlich der Verantwortung für deren Zustand übernimmt. Die Flä­chen, die von den West-Alliierten be­nutzt wurden, sind von der Bundesver­mögensverwaltung vor der Rücknahme, zu überprüfen und etwaige Schäden den Vertragspartnern in Rechnung zu stel­len.

Also ist der Bund der Hauptansprech­partner für die Sanierung von Altlasten auf ehemals militärisch genutzten Lie­genschaften. Der Bund wird jedoch "nach seinen Bekundungen direkte Sanierungen nur zur Gefahrenabwehr (unmittelbare Gefahr für Menschen oder den Wasserhaushalt) vornehmen. ( ... ) Im Übrigen sieht sich der Bund generell zu einer Dekontaminierung nicht verpflichtet, weil dies seine Finanzkraft übersteigen würde." Dies stellt eine Abwälzung der nach dem Verursacher­prinzip vom Bund zu tragenden Kosten auf die Länder, Gemeinden und zukünf­tige Generationen dar.

Auch die häufig vertretene These, daß Sanierungen abhängig von der geplan­ten Folgenutzung durchzuführen seien, ist m.E. nicht haltbar. Niemand kann heute vorhersagen, ob diese geplante Nutzung, die evtl. gegenüber Altlasten relativ unempfindlich ist, nicht morgen in eine andere überführt wird, für die diese Einschätzung nicht gilt. Sicherlich ist es verständlich, daß sowohl der Bund, als auch die Länder und auch die Kommunen gewillt sind, angesichts lee­rer Kassen nicht unnötig Geld in die Sanierung von Flächen zu stecken, die da­nach vielleicht versiegelt werden und z.B. einer Spedition als Lagerfläche die­nen, und es ist auch nachvollziehbar, daß die vorhandenen Gelder zur Sanie­rung zuerst in den Regionen eingesetzt werden, wo der Bedarf an unbelasteten Flächen am größten ist: Von der prinzi­piellen Verantwortung des Verursachers bzw. seines Rechtsnachfolgers für eine vollständige Beseitigung der angerich­teten Schäden kann m.E. jedoch nicht abgerückt werden, ohne zukünftigen Generationen böse Überraschungen zu hinterlassen.

 

Fazit

- Die Konversion ehemals militärischer Liegenschaften in der Bundesrepu­blik hat für die Gestaltung der Le­benswelt der Menschen, die hier leben, allein schon aufgrund der Grö­ßenordnung eine entscheidende Be­deutung:

- Die Entscheidung über Weiternut­zung oder Freigabe ist von den Mili­tärs weitgehend hinter verschlosse­nen Türen getroffen worden. Sicher­lich mußte der Verteidigungsaus­schuß des Bundestages z.B. dem Truppenübungsplatzkonzept der Bundeswehr zustimmen, eine öffentliche Diskussion über Größenord­nung und Ort der Freigaben wurden jedoch weder vom BMVg noch vom Parlament aktiv angeregt.

- Über die Kontamination der freiwer­denden Liegenschaften mit Altlasten liegen nur in den seltensten Fällen systematische Untersuchungen vor. Der Bund weigert sich, die Flächen weitergehend als zur Gefahrenabwehr zu sanieren und verschiebt damit das Problem auf die Länder, die Kom­munen und zukünftige Generationen.

- Bis auf die zu begrüßenden aber of­fensichtlich zu geringen Verbilligun­gen für Kommunen beim Kauf von Liegenschaften für ausgewählte Nut­zungen und das den Ländern und Kommunen eingeräumte Vorkaufs­recht, hat der Bund keine Konzepte entwickelt, um die Verwertung der Flächen in Größenordnung des Saar­landes inhaltlich zu beeinflussen. So kann man zu dem Schluß kommen, daß sich die Haltung der Bundesre­gierung zur Konversion mit dem Satz beschreiben läßt: "Abrüstung voll­zieht sich im Rahmen einer neoliberalen Anpassungsstrategie nach marktwirtschaftlichen Entwicklungs­gesetzen und darf nicht durch Eingriffe des Staates beeinflußt werden."

- Die Kommunen gewinnen zwar durch die Beendigung der militärischen Nutzung augenblicklich wieder die Planungshoheit  über die betroffe­nen Flächen, können aber trotzdem häufig nicht durchschlagend auf die Nutzung Einfluß nehmen, u.a.  weil der geforderte Kaufpreis für sie zu hoch ist und/oder sie mit einer 'Planung auf Vorrat' aufgrund unsi­cherer und wechselnder Informationen von Seiten des Bundes finanziell und personell überfordert sind,

- Bürgerlnnen können über die Beteili­gung laut Baugesetzbuch ihren Kommunen auf die Füße treten und somit  versuchen, diesen riesigen Strukturwandel von militärischer zu ziviler Nutzung zumindest zu beein­flussen, falls sie nicht davon über­zeugt sind, daß die "marktwirtschaftlichen  Entwicklungsgesetze“ schon alles zu ihrem besten richten werden.

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Michael Lobeck arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei stadt und raum, Büro für angewandte Stadt- und Regionalforschung in Bonn (Wolfsgasse 6, 53225 Bonn)