Rolle und Funktion

Die Ostermärsche machen die Friedensbewegung stark

von Philipp Ingenleuf

1960 fand in Deutschland der erste Ostermarsch statt. 60 Jahre später gibt es sie noch immer und sie zeigen von Jahr zu Jahr, wie wichtig sie für die Friedensbewegung sind. Durch ihre Dezentralität stärken die Ostermärsche die ehrenamtlichen Strukturen auf lokaler Ebene und schaffen es, dank ihrer thematischen Vielfalt sowie einer Fülle von Handlungsmöglichkeiten, auch immer wieder neue Menschen anzusprechen und zu mobilisieren.

 

 

Die einzelnen Ostermärsche werden traditionell in lokaler und regionaler Verantwortung organisiert und durchgeführt. Immer wieder wird dies der Ostermarschbewegung jedoch als grundlegenden Fehler ausgelegt und kritisch hinterfragt, warum es denn nicht den einen großen Ostermarsch gibt, z.B. in Berlin, oder warum es nicht nur das eine große Thema gibt, das alle Ostermärsche gleichzeitig thematisieren, um die Aufmerksamkeit zu steigern.

Doch dies ist zu kurz gedacht. Eine zentrale Vorbereitung und Durchführung würde die Ostermärsche auf lange Sicht schwächen. Denn es würde die grundlegende Stärke der Ostermärsche beschneiden, die Dezentralität und regionale Mobilisierung. In Deutschland gibt es weit mehr als 100 ehrenamtliche Gruppen und Initiativen, die sich dem Thema Frieden verschrieben haben. Die Ostermärsche bieten diesen Gruppen jährlich die Möglichkeit, sich zu treffen und gemeinsam den Ostermarsch in ihrer Stadt vorzubereiten. Dies stärkt die Gruppe in ihrem Zusammenhalt und führt dazu, dass die Gruppen innerhalb ihrer Stadt ihr eigenes Netzwerk erweitern und ausbauen können. Darüber hinaus trägt es dazu bei, dass die Gruppen aktionsfähig bleiben und z.B. kurzfristig eine Mahnwache zu anderen Zeiten als Ostern organisieren können, wenn dies nötig ist.

Außerdem sind die dezentralen Strukturen bei weitem nicht so anfällig für das Auf und Ab der öffentlichen Aufmerksamkeit. Eine Großdemo in Berlin zu Ostern würde voraussichtlich erfolgreich sein, wenn es zeitgleich zu Ostern das eine, alles dominierende friedenspolitische Thema in der öffentlichen Wahrnehmung geben würde (z.B. ein Thema wie die Invasion des Irak 2003). Gebe es dieses eine große Thema, das auch Menschen außerhalb der Friedensbewegung mobilisiert, jedoch nicht, würde eine zentrale Demo voraussichtlich nicht in der Lage sein, viele Menschen zu mobilisieren. Dies würde die Bewegung eher lähmen und die Aktiven demotivieren.

 

Themenvielfalt als Pluspunkt

Durch die dezentrale Organisationsform der Ostermärsche ergibt sich auch ein weiterer Vorteil. Jede Gruppe schreibt einen eigenen Ostermarschaufruf für ihre Stadt und trägt damit zur großen Themenvielfalt der Osteraktionen bei. Dadurch entwickeln sich immer wieder neue thematische Anknüpfungspunkte, auch für Menschen außerhalb der Friedensbewegung. Beispiele in den vergangenen Jahren sind die Themen Flucht und Klimawandel, aber auch lokale Themen werden oft und gerne aufgenommen. Dadurch sind die Ostermärsche thematisch immer in Bewegung und schaffen es, mal mehr, mal weniger neue Menschen anzusprechen und mitzunehmen.

Nichtsdestotrotz lässt sich festhalten, dass sich jedes Jahr einige zentrale Themen und Forderungen identifizieren lassen, die von fast allen Ostermärschen aufgenommen werden. Dazu zählten in den vergangenen Jahren insbesondere die Abschaffung der Atomwaffen sowie die Forderung nach Abrüstung.

 

Ausblick: Die Ostermärsche bleiben in ständiger Bewegung

Die Ostermärsche unterliegen einem stetigen Prozess der Erneuerung. Vor allem seit 2014/2015 sind die Teilnehmer*innenzahlen wieder kontinuierlich gestiegen, und neue Ostermärsche sind hinzugekommen. Dies zeigt, dass das Thema Frieden für viele Menschen wieder zentraler geworden ist und die Ostermärsche eine geeignete Aktionsform für viele Menschen sind, um ihren Sorgen und Anliegen Ausdruck zu verleihen.

Dass vor 60 Jahren der erste Ostermarsch in Deutschland stattfand und 2020 diese Aktionsform immer noch durchgeführt wird, macht deutlich, dass die Ostermärsche kontinuierlich auch neue Menschen hinzugewonnen haben. Die Ostermärsche bleiben nicht stehen und sind offen für neue Menschen und  Themen. Spannend werden die kommenden Jahre sein, in denen der Generationswechsel innerhalb der Bewegung weiter voranschreiten wird. Dies wird dazu führen, dass sich zunehmend wieder neue Gruppen bilden werden und neue Impulse bei den Ostermärschen und in der Bewegung setzen werden. Auch in Zukunft werden die Ostermärsche einen erheblichen Teil dazu beitragen, dass die Friedensbewegung eine lebendige und bunte Bewegung bleibt.

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Geschäftsführer und Kampagnenkoordinator beim Netzwerk Friedenskooperative sowie Co-Sprecher der Kooperation für den Frieden.