Wie in der Sowjetunion der Umbau des Militär-Industrie-Komplexes erfolgt

Die Verteidigungsindustrie als Nothelfer?

von Dr. rer. oec. Alexej Kirejew

Die besonderen Probleme der Rüstungskonversion in der Sowjetunion thematisiert der von uns gekürzte Artikel aus der "Neuen Zeit", Nr. 36/89. Er verdeutlicht, wie schwierig es dort sein wird, die erhofften und beabsichtigten wirtschaftlichen Entlastungen beim Übergang zur ziviler Produktion so zu realisieren, daß keine neuen Erschwernisse z.B. durch Arbeitslosigkeit und Preiserhöhungen entstehen.

 

Im Dezember 1988 forderte Michail Gorbatschow vor der UNO-Vollversammlung alle Länder auf, von der Rüstungswirtschaft zur Abrüstung überzugehen, und schlug ein Aktionsprogramm dafür vor.

Die Hauptverpflichtung, die die Sowjetunion übernahm war, im Rahmen der Wirtschaftsreform einen eigenen nationalen Konversionsplan zu erarbeiten. Ein solcher Plan ist noch nicht veröffentlicht, doch die Konversion ist bereits im Gange.

Nur eine Notlösung

Die Funktion eines gesamtnationalen Konversionsplans wird teilweise vom Programm zur Steigerung der Produktion und zur Hebung des technischen Standes der Anlagen für die verarbeitenden Zweige des Agrar-Industriekomplexes übernommen. Es gibt auch ein Programm für die Entwicklung neuer Konsumgüter durch die Verteidigungsindustrie in den Jahren 1989-1995.

Entsprechend dem ersten dieser Programme zur Produktion von Anlagen für die Leicht- und Nahrungsmittelindustrie wurden 345 Verteidigungsbetriebe sowie über 200 führende Forschungsinstitute und Konstruktionsbüros, die für die Verteidigung arbeiten, herangezogen. In die Warenpalette der entsprechenden Ministerien und Betriebe werden die Anlagen für die Produktion von Nahrungsmitteln, Aggregate und Fließbänder für Fleisch- und Milchkombinate, Maschinen für Bäckereien, für die Zucker- und Süßwarenindustrie sowie vieles andere aufgenommen.

Nach dem zweiten Programm ist die Inbetriebnahme und Produktion von mehr als 140 Arten komplizierter Haushaltselektronik vorgesehen, darunter von Fernsehern mit Stereoton, von Küchenkombinen, Kühl- und Gefrierschränken, Staubsaugern sowie von früher in unserem Land nicht erzeugten CD-Spielern, Videowalkmen und -kameras, Personalcomputern und vielen anderen Erzeugnissen. Insgesamt ist geplant, Umfang und Warenpalette ziviler Erzeugnisse in den Rüstungsbetrieben bedeutend auszuweiten. In diesem Jahre sollen derartige Erzeugnisse im Werte von 27 Mrd. Rubel hergestellt werden. Das wird 7,5% aller Konsumgüter ausmachen. Während jetzt 40% der Erzeugnisse des Verteidigungskomplexes zivile Produkte sind, wird sich dieser Anteil bis 1995 auf 60 % steigern.

Doch die Verwirklichung der Konversion ohne einen entsprechenden staatlichen Plan hat bereits dazu geführt, daß sich die gefährliche Tendenz der Verpulverung der frei werdenden Mittel an verschiedenen Ministerien abzeichnet. Einstweilen beschränken sich offiziellen Angaben zufolge die Aufgaben der Konversion, darauf, schnellstmöglich, "um jeden Preis" die klaffenden Lücken in der Wirtschaft zu schließen. Und da dem so ist- vielleicht ist dann auch das Fehlen einer Konzeption eine Konzeption?

Die Verteidigungswirtschaft kann natürlich die Rolle eines Nothelfers spielen und vorübergehend die Unzufriedenheit dämpfen, die wegen des Mangels an den elementarsten Waren gärt. Doch wird das die Probleme auf Dauer lösen? Ich befürchte, nein. Indem wir die Verteidigungsbetriebe auf den nicht sonderlich hohen durchschnittlichen Unionsstand drücken, indem wir sie zwingen, Teigmischer oder elektrische Betäubungsanlagen für die Viehschlachtung zu erzeugen, geben wir den letzten technologischen Trumpf aus der Hand. Eine solche Technologiepolitik wird die sozialen Interessen der Mitarbeiter des Verteidigungssektors treffen, die entstandenen Produktions- und Absatzbeziehungen vernichten und große zusätzliche Ausgaben verlangen, um die Kapazitäten und Personal den neuen Anforderungen anzupassen.

In diesem Zusammenhang wird ein weiteres Konversionsproblem gesamtstaatlicher Dimension deutlich - das Fehlen einer gesetzgeberischen Regelung. Wenn so bedeutende Produktivkräfte in Bewegung kommen, wenn ihre Modernisierung das Schicksal von Millionen Menschen berührt, ist die gesetzgeberische Verankerung dieser Prozesse erforderlich.

"Geschlossene Objekte" in wirtschaftlicher Rechnungsführung

Von einer effektiven Konversion der Rüstungsbetriebe hängt entscheidend der reale wirtschaftliche Nutzeffekt durch Abrüstungsmaßnahmen ab. Nach Schätzungen sowjetischer Wirtschaftswissenschaftler werden es die gegenwärtigen Schritte in diesem Bereich erlauben, das Nationaleinkommen des Landes um mindestens 1,8 Mrd. Rubel zu erhöhen, und der wirtschaftliche Gesamteffekt durch die Verringerung der Rüstungsausgaben und der Truppenstärke sowie durch die Einbeziehung der zu entlassenden Militärangehörigen in die gesellschaftliche Produktion wird ca. 12 Mrd. Rubel oder fast 1,9 % des Nationaleinkommens und 1,4 % des 1988 erzeugten Bruttosozialprodukts ausmachen.

Die Volkswirtschaft wird zusätzlich 1,8 Mio. t Stahl, 0,5 Mio. t Aluminium und 1,8 Mio. t Brennstoff durch die Verringerung des Verbrauchs im militärischen Bereich erhalten. Insgesamt könne bei der Konversion ein Produktionsfond der sowjetischen Verteidigungsindustrie von etwa 17 Mrd. Rubel freigesetzt werden.

Ein Problem der Konversion besteht darin, daß viele sich scheinbar anbietende Richtungen der Umprofilierung der Rüstungsbetriebe (wie Panzer zu schweren Traktoren) heute wirtschaftlich nicht sinnvoll sind. Die Wahl alternativer Produkte, die der Verbrauchernachfrage gerecht werden, ist Sache der Arbeitskollektive dieser Betriebe selbst.

Und solange man die Konversion nicht exemplarisch in zwei oder drei Betrieben durchexerziert hat, werden die "geschlossenen Objekte", die in ihrer Mehrheit zur wirtschaftlichen Rechnungsführung übergegangen sind, administrativ herumkommandiert. Die Rüstungsbetriebe haben Waren zu erzeugen, die der Warenpalette vor der Konversion absolut nicht entsprechen. Die Aufgabe, Konsumgüter. zu erzeugen, kam für sie völlig überraschend. Eine Reihe von Rüstungsaufträgen wurde plötzlich zurückgezogen, was die Führung der Betriebe zwang, fieberhaft nach Auswegen zu suchen.

Wie kann man unter solchen Bedingungen Eigenwirtschaftlichkeit gewährleisten? Es gibt da nur einen Ausweg - die Preise für die erzeugten zivilen Produkte anzuheben. Diese Preise sind wirklich umwerfend. So kostet ein Käseabpackpumpe (Leistung: 2500 l pro Stunde) bei den zivilen Ministerien 180 Rubel, einige Rüstungsbetriebe aber nehmen dafür 3412 Rubel! Der Preis einer Taktstraße zur Butterproduktion klettert von 90.400 auf 160.000 Rubel, und für eine Flaschenwaschmaschine verlangen die Rüstungsbetriebe statt 11.300 sogar 50.000 Rubel!

Eine solche Verteuerung der Technik muß sich natürlich früher oder später auch auf den Preis der mit ihr hergestellten Produkte auswirken, worunter der Verbraucher schon sehr bald leiden wird.

Westlichen Schätzungen zufolge sind .in der Sowjetischen Verteidigungsindustrie etwa 6 bis 8 Millionen Menschen beschäftigt, und die sowjetische Truppenstärke beläuft sich auf mehr als 4 Millionen Mann. Eine Konversion wird so oder so, wenn schon nicht die meisten von ihnen, so doch viele betreffen. Die Hauptkaderverwaltung des UdSSR-Verteidigungsministeriums und das Staatskomitee für Arbeit und soziale Fragen der UdSSR haben Maßnahmen erarbeitet, um die zu entlassenden Militärangehörigen mit Arbeit zu versorgen und sie sozial sicherzustellen.

Die Maßnahmen laufen u.a. auf deren organisierte Einstellung in Betrieben und auf Bauobjekten unseres Landes hinaus, darauf, jenen, die im hohen Norden und in ihm gleichgestellten Regionen dienten, beim Abschluß von Arbeitsverträgen über die weitere Tätigkeit in dieser Region zu helfen. Wohnraum für Militärangehörige, die ihr ganzes Berufsleben fang keine eigene Wohnung besaßen, bleibt weiterhin ein überaus akutes Problem. Allein in Moskau sind ca. 7.000 Offiziersfamilien in einer Warteschlange registriert - in der Sowjetunion insgesamt mehr als 20.000.

Unter dem Gesichtspunkt der sozialen Sicherheit müssen die Mitarbeiter der Verteidigungsbetriebe, die ihre Arbeit aufgeben oder die sich umschulen lassen müssen, die gleichen Rechte wie die zu entlassenden Militärangehörigen haben. Bis heute gibt es kein gesamtnationales System, für die Umschulung und die Zuweisung von Arbeitsplätzen für Mitarbeiter der Verteidigungsbetriebe. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, daß selbst hochklassige Militärexperten weitaus nicht immer qualifizierte Arbeit in ihrer Fachrichtung finden können.

 

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