Kosovo/Jugoslawienkrieg:

Die Wahrheit muss ans Licht

von Clemens Ronnefeldt
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

"Bei den Grünen gab es in einem wichtigen Punkt ein intellektuelles Defizit: Sie sahen nur zwei Möglichkeiten: Entweder ethnische Säuberungen oder Bombardements. Und das was falsch", so der Friedensforscher Johan Galtung (in: Jungle World, 30.6.99).

In einem Brief an Erhard Eppler (dokumentiert in: "Die Woche", 2.7.99) zitierte Dieter S. Lutz, (IFSH), einige Quellen, die die NATO in einen Erklärungsnotstand bringen könnten.

Heinz Loquai zur OSZE-Mission
Lutz zitiert den den vormaligen, seinerzeit zuständigen deutschen Brigadegeneral bei der OSZE in Wien, Heinz Loquai:

" ... Entscheidungen (wurden) in der von Briten und Amerikanern dominierten Mission sehr langsam getroffen. So warteten zum Beispiel deutsche Beobachter mitunter wochenlang, bis sie akzeptiert wurden. Die jugoslawischen Behörden ... mahnten sogar eine schnellere Stationierung der OSZE-Mitarbeiter an, versprachen sie sich davon doch auch eine Kontrolle der UCK. Und dennoch: Die sichtbare internationale Präsenz an Brennpunkten des Geschehens trug zur Entspannung der Lage bei, ließ die Flüchtlinge wieder in ihre Dörfer zurückkehren. Mitte November wurden nur noch wenige hundert in einem Lager künstlich zurückgehalten, um den Medien ein solches Camp vorführen zu können.

Doch es gab ein Problem, auf das anscheinend niemand vorbereitet war. Die UCK, die sich an die Vereinbarungen nicht gebunden fühlte, rückte dort ein, wo die Jugoslawen abgerückt waren. Von jugoslawischer Seite wurde wiederholt erklärt, wenn die UCK weiterhin das geräumte Gebiet besetze, werde das zu Reaktionen führen. Der deutsche Botschafter in Belgrad, Wilfried Gruber, appellierte an Bonn, den deutschen Einfluss auf die Kosovo-Albaner geltend zu machen und den Worten auch Taten folgen zu lassen. ...
 

Aber die USA schienen ein militärischen Eingreifen schon vor den Rambouillet-Verhandlungen fest im Blick zu haben. ... Fixpunkt dabei war der Gipfel in Washington zur Feier des 50-jährigen Bestehens der Allianz. Auf dieses strahlende Ereignis sollte nicht der Schatten eines ungelösten Kosovo-Problems fallen".

In der FR-Dokumentation vom 22.9.99 wurde Loquai noch präziser:

"Die Ereignisse zeigen, dass durchaus Möglichkeiten für eine friedliche Lösung des Kosovo-Konfliktes bestanden. Greifbar nahe war diese Chance in der Zeit von Mitte Oktober bis Anfang Dezember 1998. In diesen Wochen befand sich die Bundesrepublik Jugoslawien auf Friedenskurs. Die Tauben hatten dort offenbar die Oberhand gewonnen. Es wäre nun erforderlich gewesen, auch die Kosovo-Albaner auf diesen Weg zu bringen oder zu zwingen. Eine rasche, flächendeckende Stationierung der OSZE-Mission hätte den Weg zum Frieden absichern können. Beides ist nicht gelungen. Doch auch danach gab es immer wieder relative Ruhe und Chancen für eine friedliche Lösung des Konflikts. Zwar zogen die Falken ab Dezember 1998 schon wieder ihre Kreise. Beide Konfliktparteien eskalierten die Gewalt. Die UCK sah sich ihrem Ziel, das sie beharrlich verfolgt hatte, ganz nah: einem Nato-Angriff auf die Bundesrepublik Jugoslawien. Die jugoslawischen Hardliner zielten darauf ab, die UCK und ihre gesamte Infrastruktur zu eliminieren. Beide Parteien nahmen auf die Zivilbevölkerung wenig Rücksicht, sie wurde für die jeweiligen Zwecke instrumentalisiert. Eine von langer Hand vorbereitete systematische Vertreibung der kosovo-albanischen Bevölkerung ist jedoch nicht erkennbar. Die OSZE konnte die Konflikte immer wieder einhegen und die Lage von Fall zu Fall stabilisieren. Doch ab Mitte Januar wuchs der Druck in Richtung einer militärischen Lösung aus der Nato, allen voran die USA, rapide. ... Außerdem konnte ja ein militärisches Eingreifen der Nato ohne UN-Mandat faktisch einen Anspruch bestätigen, den die USA bisher in den Verhandlungen über eine neue Bündnisstrategie noch nicht durchzusetzen vermocht hatten".

Loquai fasste seine Analyse in der NDR-4-Sendung "Streitkräfte und Strategien" am 22.5.99 folgendermaßen zusammen:

"Vertreibungen und Flüchtlingsströme setzten ein, nachdem die internationalen Organisationen das Kosovo verlassen und die Angriffe begonnen hatten. D.h. der Krieg verhinderte die Katastrophe nicht, sondern machte sie in dem bekannten Ausmaß erst möglich".

Ex-Nato-Generalsekretär Lord Carrington bestätigt Loquai: "Ich glaube, dass die Bombenangriffe die ethnische Säuberung verursacht haben" (in: Sächsische Zeitung, 28./29.8.99).
 

Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.3.99
Lutz untermauert seine These von der Abwendbarkeit des Krieges auch mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.3.99:

"UNHCR und KVM (Kosovo Verifikations Mission der OSZE, Anm: C.R.) berichten übereinstimmend über eine systematische Vorgehensweise der VJ (Anm.: Jugosl. Armee, C.R.) bei der Zerstörung von Dörfern mit dem Ziel, durch gezielte Geländebereinigung sämtliche Rückzugsmöglichkeiten für die UCK zu beseitigen ... Die Zivilbevölkerung wird, im Gegensatz zum letzten Jahr, in der Regel vor einem drohenden Angriff durch die VJ gewarnt. Allerdings ist laut KVM die Evakuierung der Zivilbevölkerung vereinzelt durch lokale UCK-Kommandeure unterbunden worden. Nach Beobachtungen des UNHCR ebnet die VJ die Dörfer entgegen der Vorgehensweise im letzte Jahr nicht völlig ein und zieht ihre Kräfte nach Beendigung der Aktionen rasch wieder ab. Nach Abzug der serbischen Sicherheitskräfte kehrt die Bevölkerung meist in die Ortschaften zurück. UNHCR schätzt, dass bisher lediglich etwa 2000 Flüchtlinge im Freien übernachten müssen. Noch ist keine Massenflucht in die Wälder zu beobachten.

Von Flucht, Vertreibung und Zerstörung im Kosovo sind alle dort lebenden Bevölkerungsgruppen gleichermaßen betroffen. Etwa 90 vormals von Serben bewohnte Dörfer sind inzwischen verlassen. Von den einst 14.000 serbisch-stämmigen Kroaten leben nur noch 7.000 im Kosovo. Anders als im Herbst/Frühwinter 1998 droht derzeit keine Versorgungskatastrophe".

Zeitpunkt der Kriegsentscheidung und Rolle W. Walkers
In der Mainzer Rheinzeitung (30.8.99) behauptete Willy Wimmer (CDU), Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE:

"Es gibt undementierte Zitate, dass Gerhard Schröder im Oktober zu Joschka Fischer sinngemäß gesagt hat: ´Die Amerikaner wollen den Krieg. Wenn Du Außenminister werden willst, musst du das mitmachen`. ... Es galt also, den Anlass zu finden. Das Elend haben wir dann gesehen".

Die Wochenzeitung "Jungle World" (30.6.99) fragte Johan Galtung: "Sie haben behauptet, die Entscheidung für den Krieg sei im frühen Herbst des vergangenen Jahres gefallen", worauf Galtung antwortete: "Man nennt jetzt den August 1998, eine Sitzung des Republican Foreign Policy Committee im amerikanischen Senat. Gerhard Schröder soll es im Oktober erfahren haben. ... Das Republican Committee hat gesagt, man müsse einen Anlass haben. Und das müsse medial verwertbar sein, sonst ginge das nicht. Also hat man gewartet bis Racak. ... Dazu muss man sich den Lebenslauf Walkers (OSZE-Missionschef, Anm.: C.R.) anschauen. Er war als CIA-Mann derjenige, der die ´schwarze Arbeit` machte. Er war eine Woche vor dem Militärputsch 1987 auf Fidschi, er war in El Salvador und Nicaragua, und er war derjenige, der Fakten produziert hat, wodurch man die interventionistische Politik der USA legitimieren konnte".
 

Wolfgang Petritsch, seit Oktober 1998 EU-Sondergesandter für das Kosovo, seit Juli 1999 Hoher Repräsentant der EU für den Wiederaufbau in Bosnien-Herzegowina, nannte Walker "eine personalpolitische Fehlentscheidung" und meinte in einem Interview (Jungle World, 7.7.99, "Walker war ein Cowboy"): "Vielleicht war Polen als damaliger Vorsitzender der OSZE auch überfordert. Die Amerikaner haben ihnen überall dreingeredet. Das habe ich auch spüren müssen: Als Richard Holbrooke mit dem jugoslawischen Außenminister Jovanovic das Abkommen über die Implementierung der OSZE geschlossen hat, rief er mich erst danach an. Obwohl ich damals schon EU-Sondervermittler war. Dann kam ich mit dem russischen und dem polnischen Botschafter zu ihm, und er hat uns vor vollendete Tatsachen gestellt: Wir Amerikaner stellen den Head of Mission, und die Europäer und die Russen können ja jeweils einen Stellvertreter für die Missionsleitung stellen. Aber man muss auch den Europäern den Vorwurf machen, sich zu wenig engagiert, zuwenig mitgestaltet zu haben".

Erich Schmidt-Eenboom, Leiter des Forschungsinstitutes für Friedenspolitik in Weilheim, meint: "Ein grünes Parteivolk in diese Hintergründe und die Komplexität der Machtspiele im Kosovokrieg einzuweihen, und dabei in aller Offenheit den Schritt zu einer ´normalen` Partei zu vollziehen, wäre für den Außenminister einem politischen Selbstmord gleichgekommen". (in: Kosovo-Krieg und Interesse - einseitige Anmerkungen zur Geopolitik, o.O., o.J.).

Ob Gerhard Schröder - konfrontiert mit den o.g. Quellen - immer noch der Ansicht wäre, dass der Einsatz der Bundeswehr geeignet ist, "die ´historische Schuld` Deutschlands auf dem Balkan verblassen zu lassen" (FR, 24.7.99)? Wird es nicht eher schon bald eine Ausstellung "Verbrechen der Bundeswehr im Kosovo-/Jugoslawienkrieg" geben müssen?

Hinweis: Die Interviews mit Wimmer, Galtung und Petritsch sowie der Brief von Lutz an Eppler sind gegen Vorab-Zusendung von Briefmarken für Porto (1,10 DM) sowie Kopierkosten (1,10 DM) erhältlich bei:

C. Ronnefeldt, Versöhnungsbund-Referat, Dorfstr. 3, 56288 Krastel, Fax: 06762-950511.

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Krisen und Kriege
Clemens Ronnefeldt ist seit 1992 Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.