Projekt Ermutigung

Die Widerstandsbewegung - eine Phantasie - „Fabrik“

von Robert Jungk

Ich meine, daß die Widerstandsbewegung neben·dem immer neuen, ideenreichen Protest ein brodelnder "IdeenTiegel" werden und ständig neue Problemlösungen hervorbringen müßte. So innovativ die Technokratie in der Entwicklung immer raffinierterer Apparaturen ist, so unbeweglich ist sie im Umgang mit gesellschaftlichen Problemen. Auf diese soziale Ratlosigkeit, die die Technokratie heute, bis in ihre höchsten Ränge hinein, befallen hat, sollte eine ganz gezielte Produktion von Ratschlägen und Vorschlägen antworten. Man muß, wenn möglich unter Mitarbeit von sympathisierenden Fachleuten, ständig Konzepte für alle Aspekte einer menschlicheren, vernünftigeren Welt produzieren, um sie der krisenhaften, "wahnsinnigen" Gegenwart entgegenzuhalten. Solche anschauliche Phantasieproduktion ist das Verfahren der "Zukunftswerkstätten", über die in dieser Streitschrift noch zu sprechen sein wird. Ich will aber keineswegs· nur auf sie abstellen. Soziale Erfindungen und Neuerungen können überall gemacht werden, wo betroffene und besorgte Menschen ihr entschiedenes "Nein" durch ein von ihnen gewünschtes „Ja" ergänzen wollen.

Ich meine, daß das Nachdenken über Problemlösungen vorsorglich und rechtzeitig genug geschehen sollte - nicht erst, wenn einem das Wasser schon bis zum Halse steht. Falls eine akute Notlage eintritt - und es wird in unserer "Pannengesellschaft" viele geben -, dann können die kreativen Widerstandskräfte eindrucksvoll auf ihre schon erarbeiteten Vorschläge hinweisen. Wenn, wie das tatsächlich geschieht, heute bereits alternative Chemiker an "sanfter Chemie" arbeiten, dann erhält das bei der nächsten Chemiekatastrophe entscheidende Bedeutung. Dann heißt die für die Öffentlichkeit eindrucksvolle Aussage nicht nur: Wir haben Euch ja immer gesagt, die industrielle Chemie ist schädlich, sondern: Wir wissen bereits, wie die chemische Produktion verändert werden müßte, um menschen- und umweltverträglich zu sein.

Wir brauchen eine starke Phantasiebewegung, an der nicht nur wenige Experten, sondern alle Interessierten - also auch Laien - beteiligt sein sollten. Ich will dazu anregen, daß viel mehr Zeitgenossen als bisher geistigen Widerstand leisten, indem sie konkret über neue gesellschaftliche Verhältnisse, andere produktive Möglichkeiten nachdenken, ohne schon ganz genau wissen zu können, wann und wie sie verwirklicht werden. Nur wer derart die Zukunft im Vorausgriff erfindet, kann hoffen, sie wirksam zu beeinflussen.

Ich trete also ein für ein massenhaftes Erzeugen von Vorschlägen auch ohne die Chance der sofortigen Verwirklichung. Ein Beispiel für einen Entwurf, der Geschichte machen könnte, ist das alternative Energieszenario Energy for a Sustainable World von Jose Goldemberg, Thomas. B. Johannsson, Amulya K. N. Reddy und Robert H. Williams. Diese imaginative und faktenreiche Studie hat das "World Resources Institute" in Washington im September 1987 veröffentlicht. Demnach werden durch intelligenteres und sparsameres Vorgehen bis zum Jahre 2010, trotz der voraussichtlichen Verdoppelung der Weltbevölkerung, höchstens 10 Prozent mehr an Energie notwendig sein, um alle Erdenbewohner, besonders auch die bisher Benachteiligten in der Dritten Welt, ausreichend zu versorgen. Das Argument, Kernenergie sei, wenigstens als Übergangslösung, immer noch unerläßlich, wird damit fadenscheiniger denn je. Eine solche Forschungsarbeit ist für mich ein Beispiel der notwendigen Produktion konkreter Utopien, die die Widerstandsbewegung braucht, wenn sie, aus der bloßen Verteidigungsposition herauskommend, Zukunft gestalten will.

aus: Robert Jungk, Projekt Ermutigung; s. 20-22

Copyright ( c) Rotbuch Verlag, Berlin 1988

 

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