Denn sie wissen was sie tun:

Direkte Demokratie in den Landesverfassungen der neuen Bundesländer

von Jürgen Roth
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Demokratie ist mehr als die Vergabe politischer Macht auf Zeit. Während der Bundeskanzler und mit ihm die Mehrheit seiner zerstrittenen Koalitionsmehrheit immer noch meint, alle wichtigen Entscheidungen allein treffen oder aussitzen zu können, haben sich die meisten Bürgerinnen und Bürger längst entschieden: sie sind der dauernden Bevormundung durch eine kleine Schickt von Politikern überdrüssig. Alle Umfragen bestätigen diesen Trend: er geht einher mit der wachsenden Unzufriedenheit mit der Politik der großen Parteien, denen mehr und mehr die Fähigkeit abhandenkommt, mit den alltäglichen Sorgen, Nöten und Ängsten der Menschen umzugehen. Der dramatische Vertrauensverlust aller parlamentarischen Parteien (mit Ausnahme der Grünen) zeigt die Grenzen des parlamentarischen Regiments.

Die Grenzen zwischen den Parteien spiegeln kaum noch die jeweiligen politischen Diskussionen wieder. Die Parteien verlieren ihre Integrationskraft. Das zeigt sich in jüngster Zeit beispielsweise an der Auseinandersetzung über den Schwangerschaftsabbruch. Über die Fraktionen hinweg haben sich insbesondere Parlamentarierinnen auf eine (gerade noch hinnehmbare) Regelung verständigt. Dabei zeigt sich, daß die moderaten Kräfte und die Fundamentalisten fraktionsübergreifend zu finden sind. Bei genauem Hinsehen sind allein bei der Unionsfraktion drei gegensätzliche Hauptströmungen erkennbar, eine trägt den neuen Gruppenantrag, die Mehrheit beharrt auf einer eingeschränkten Indikation, während eine rechte Minderheit das  strikte Verbot betreibt.

Ähnliche Tendenzen sind auch bei anderen großen Sachfragen erkennbar. Ob in der Ausländer- oder der Friedenspolitik, die Debatten und Streitlinien laufen quer durch die Parteien. Trotzdem hält eine Allianz aus Ministerialbürokratie und Politikern von Union, FDP und SPD (Penner und Ehmke) am strikten Monopol der parlamentarischen und parteigebundenen Willensbildung unbeirrt fest. Es zeichnet sich aber ab, daß diese systemkonservativen Kräfte Einfluß verlieren. Es ist bemerkenswert, daß sich beispielsweise die Verfassungskommission des Bundesrates (mit einfacher Mehrheit) für die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheiden im Grundgesetz eingesetzt hat. Ob sich diese Vorstellungen in der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bun-destag und Bundesrat durchsetzen werden, ist noch völlig offen. GRÜNE / BÜNDNIS 90 werden sich jedenfalls mit allen ihren (wenngleich schwachen) Kräften bemühen, mehr Demokratie zu verwirklichen.

Ein wesentlicher Impuls für die neuere Debatte zu Volksbegehren und Volksentscheiden kommt aus den neuen Bundesländern.

Der Verfassungsentwurf des Runden Tisches in Ost-Berlin legte noch zu DDR-Zeiten einen von allen Parteien getragenen Verfassungsentwurf vor, der ausdrücklich die Rechte von Bürgerinitiativen stärkte, Akteneinsichtsrechte einführte und die Volksgesetzgebung vorsah. Typisch für die Vereinigungssituation war dann allerdings der Umgang mit diesem Verfassungsentwurf. Er wurde nicht einmal in der damaligen Volkskammer debattiert, sondern beiseitegelegt.

Unter dem Eindruck dieser Entwicklung wurde dann als erste gesamtdeutsche Bürgerinitiative das Kuratorium für einen demokratisch verfaßten Bund deutscher Länder gegründet, das sich zum Ziel setzte, eine neue gesamtdeutsche Verfassung in die Diskussion zu bringen, die mehr direkte Demokratie vorsieht. Der Kuratoriumsentwurf sieht u.a. die Möglichkeiten von Volksbegehren und Volksentscheiden vor.

Eine wichtige Vorreiterrolle haben mittlerweile die Verfassungen der neuen Länder übernommen, deren Beratungen gegenwärtig in ihre entscheidende Phase treten. Beispielhaft ist die Verfassung des Landes Brandenburg, deren Entwurf am 14. April vom Landtag verabschiedet wurde und über die von der Bevölkerung des Landes am 14. Juni im Rahmen einer Volksabstimmung entschieden werden soll. Die Arbeit an den anderen Verfassungen ist noch nicht abgeschlossen. Es zeichnet sich aber überall trotz des Widerstandes vor allem westlicher Berater überall (wenngleich in höchst unterschiedlicher Qualität) eine Regelung zur direkten Demokratie ab. Damit wird übrigens keineswegs Neuland beschritten, auch die meisten westlichen Länder haben in ihren Lan-desverfassungen Regelungen zum Volksentscheid (allerdings mit horrenden formalen Voraussetzungen).

Weitgehend unbekannt ist auch die Bestimmung in Artikel 20 Absatz 2 des Grundgesetzes, in der ausdrücklich von "Abstimmungen des Volkes" die Rede ist. "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch entsprechende Organe ausgeübt." Leider wurde aber bei der Abfassung des Grundgesetzes 1949 das Verfahren nicht geregelt.

Die Verfassung des Landes Brandenburg (ihr Inkrafttreten unterstellt) ist für den Bund eine sehr gute und brauchbare Diskussionsgrundlage. Die Anlehnung an den Kuratoriumsentwurf ist an man-chen Stellen unverkennbar. Artikel 22 sieht ein dreistufiges Verfahren vor, das wie folgt ausgestaltet ist:

1.    Eine Volksinitiative kann mit 20.000 Unterschriften (ca. 1,3 v.H. der Ab-stimmungsberechtigten) dem Landtag eine Vorlage unterbreiten.

2.    Stimmt der Landtag binnen vier Monaten nicht zu, können 80.000 (ca. 5 v.H.) Abstimmungsberechtigte mit ihrer Unterschrift ein Volksbegehren einleiten.

3.    Stimmt der Landtag diesem Begehren binnen zwei Monaten wiederum nicht zu, so findet innerhalb von drei Monaten ein Volksentscheid statt. Der Landtag kann einen konkurrierenden (eigenen) Entwurf zur Abstimmung stellen.

Ein Gesetz kommt auf dem Weg des Volksentscheids nur zustande, wenn mindestens ein Viertel der Abstimmungsberechtigten diesem Entwurf zugestimmt haben. Bei Verfassungsänderungen ist sogar eine Zweidrittelmehrheit nötig. Ferner müssen mindestens die Hälfte der Abstimmungsberechtigten der Verfassungsänderung zugestimmt haben.

Die Möglichkeit der Verfassungsänderung ist in meinen Augen zu streng reglementiert, die Zweidrittelmehrheit hätte durchaus ausgereicht. Das Zustimmungsquorum von 25. v.H. bei ein-fachen Landesgesetzen erscheint ebenfalls als entbehrlich. Quoren aller Art haben erfahrungsgemäß die fatale Nebenwirkung, die Gegner einer solchen Initiative zum Totschweigen und zur Wahlenthaltung zu motivieren, statt zur politischen Auseinandersetzung.

Dennoch bleibt festzuhalten, daß die Verfassung des Landes Brandenburg für die übrigen Landesverfassungen, aber auch für die Gemeinsame Verfassungskommission im Bund einen Vorbildcharakter hat. Es lohnt sich, politisches Engagement für mehr demokratische Handlungsspielräume zu entwickeln und durch konkrete Auseinandersetzung in der Sache zu führen, statt sich auf Parteien und Bürokratien zu verlassen. Es lohnt sich aber auch, diejenigen mehr zu unterstützen, die sich für eine Weiterentwicklung der Demokratie einsetzen.

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