Jemen

Drei Jahre gescheiterte UN-Mediation und wenig Aussicht auf Frieden

von Victoria Katharina Sauer
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“Krise” dürfte im internationalen Diskurs zum Jemen mittlerweile eines der am häufigsten gebrauchten Worte sein. Mit mehr als 22 Millionen Menschen, drei Vierteln der jemenitischen Bevölkerung, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, durchlebt das Land laut UN-Angaben die größte humanitäre Krise weltweit. (1) Das UN-Welternährungsprogramm stuft fast 18 Millionen Jemeniten als “ernährungsunsicher” ein. (2) Nahezu drei Millionen Kinder, Schwangere und stillende Mütter sind unterernährt.(3) Die Situation verkomplizierte sich im April 2017 weiter durch einen Cholera-Ausbruch, welcher bereits im Juli 2017 sämtliche Rekorde seit Aufzeichnungen brach (4) und im Dezember desselben Jahres laut der UN-Weltgesundheitsorganisation (5) mehr als eine Millionen Jemeniten infiziert hatte.

All dies macht deutlich, dass die indirekten Folgen des Krieges im Jemen weitaus fataler für die lokale Bevölkerung sind als die Kampfhandlungen, die gemäß UN-Angaben zu derzeit etwa zwei Millionen Binnenvertriebenen (6) und zum Tod von mehr als 6.000 ZivilistInnen geführt haben. (7) ExpertInnen vermuten, dass diese Zahl kaum der Realität entspricht und die Dunkelziffer der Todesfälle weitaus höher liegt. Schon vor Beginn des Krieges im März 2015 galt der Jemen als ärmstes Land der Region, dessen wirtschaftliche Lage sich nun im Zuge des Konflikts weiter verschlechtert hat. Geschätzt sieben Millionen Menschen, deren Existenzgrundlage von Einnahmen aus dem öffentlichen Sektor abhängig ist, leiden unter der Tatsache, dass ein Großteil der im öffentlichen Sektor Beschäftigten seit mehr als eineinhalb Jahren kein Gehalt erhalten hat. (8) Auch das Gesundheitssystem im Jemen steht kurz vor dem Zusammenbruch, da weniger als die Hälfte aller Gesundheitseinrichtungen voll funktionsfähig ist. (9)

Doch wie kam es zu dieser humanitären Krise, die von UN-VertreterInnen, einschließlich des UN-Generalsekretär António Guterres, als “menschengemacht” bezeichnet wird?

Konflikt als Ursache der humanitären Krise
Im Zuge des sogenannten “Arabischen Frühlings” erlebte auch der Jemen zahlreiche Proteste und die Einleitung eines Transitionsprozesses, der kurzweilig international und lokal Hoffnungen auf Demokratisierung erweckte, sich später jedoch in Konflikt umkehrte.

Eine fragile und im Land größtenteils unpopuläre Übergangsregierung unter Präsident Abdrabbuh Mansur Hadi ermöglichte es der sogenannten Houthi-Bewegung während des Transitionsprozesses, ihr Einflussgebiet im Norden des Jemen sukzessive auszubauen. Hierbei handelt es sich um eine zunächst sozio-religiöse Bewegung jemenitischer Zaiditen, die sich in den 1990er Jahren in Protest gegen saudisch-wahhabitische Einflussnahme und sozio-ökonomische sowie politische Marginalisierung in den nördlichen Gebieten des Jemen gebildet hatte. Im Zuge von sechs Kriegen, die von 2004 bis 2010 zwischen den Houthis und dem damaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh ausgetragen wurden, militarisierte sich die Houthi-Bewegung zunehmend. Nachdem sie in den ersten Jahren des Transitionsprozesses bereits einige nördliche Gebiete des Jemen unter ihre Kontrolle gebracht hatte, erreichte die Houthi-Bewegung im September 2014 schließlich auch die Hauptstadt Sana’a. Mehrere Faktoren begünstigten dies, so etwa Präsident Hadis Annahme, Houthi-Truppen manipulieren zu können, um die seine Regierung dominierende Partei Islah (10) zu schwächen. (11) Somit versuchten weder die Armee noch andere Sicherheitskräfte, den Einmarsch der Houthis in Sana’a aufzuhalten, die ihre Präsenz in den politischen Institutionen Sana’a’s sukzessive ausbauten, bis Präsident Hadi schließlich im Januar 2015 seinen Rücktritt erklärte. (12) Nach einmonatigem Hausarrest in Sana’a floh er in die südliche Stadt Aden, die er zur vorübergehenden Hauptstadt erklärte und von wo aus er seinen Rücktritt widerrief. (13) Indes ging die Houthi-Bewegung in Sana’a eine politisch-militärische Allianz mit dem vormaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh ein, welcher im Zuge des Transitionsprozesses im Februar 2012 sein Amt nach 33 Jahren offiziell an seinen Stellvertreter Abdrabbuh Mansur Hadi übergeben hatte. (14) Saleh und die Houthi-Bewegung bauten in den kommenden Monaten eine Gegenregierung in Sana’a auf und rückten militärisch noch im März 2015 bis nach Aden vor, weshalb Präsident Hadi nach Riad floh und den Golf-Kooperationsrat um militärischen Beistand bat. (15)

Am 26. März erklärte der heutige saudische Kronprinz und Verteidigungsminister Muhammad bin Salman, der zu jenem Zeitpunkt noch Vize-Kronprinz war, schließlich die Formierung einer militärischen “Koalition” zur Unterstützung Präsident Hadis gegen die Houthis. Dieser primär aus arabischen Staaten, insbesondere Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, bestehenden Allianz gelang es zwar sehr bald, die Houthis gen Norden zurückzudrängen. 2017 hingegen blieben die Frontlinien trotz der zahlreichen Luftangriffe durch die saudisch-geführte Allianz sowie direkter militärischer Konfrontationen zwischen Houthi-Saleh-Truppen und Hadi-loyalen Kräften größtenteils unverändert. Die Situation wandelte sich jedoch, als Ali Abdullah Saleh am 4. Dezember 2017 von seinen eigenen Verbündeten, den Houthis, ermordet wurde. Seitdem wurden Luftangriffe und Militäroperationen der saudisch-geführten Allianz und verbündeter jemenitischer Bodentruppen massiv intensiviert, was zu zahlreichen neuen Toten, Verwundeten und Binnenvertriebenen geführt hat. Indes nehmen Befürchtungen vor einer saudisch-geführten Großoffensive auf den von Houthis kontrollierten Hafen in al-Hudaydah zu. (16) Dies hätte fatale Folgen, da al-Hudaydah im Vergleich zu anderen jemenitischen Häfen die mit Abstand größte Entladekapazität aufweist. 80 Prozent aller Importe erreichen den Jemen über die im Norden gelegenen Häfen al-Hudaydah und Salif, über welche 70 Prozent der Bevölkerung versorgt werden. (17)

Diese Versorgung wurde jedoch immer wieder durch alle Konfliktparteien gefährdet. Während die saudisch-geführte Allianz kontinuierlich Importe über nördliche Häfen behindert und den Flughafen der Hauptstadt Sana’a für kommerzielle Flüge versperrt, erschweren Houthi-Truppen den Transport von Gütern und die Fortbewegung humanitärer Helfer in den von ihnen kontrollierten Gebieten. Zwar hat die saudisch-geführte Allianz Mitte Dezember 2017 eine im Vormonat verhängte Blockade kommerzieller Importe in nördliche Häfen des Jemen vorerst ausgesetzt. Jedoch trägt sie weiterhin entscheidend dazu bei, dass dortige Importe mit erheblichen Verspätungen in den Häfen von al-Hudaydah und Salif eintreffen. Bevor Schiffe diese Häfen erreichen, werden sie bereits durch den UN Verification and Inspection Mechanism (UNVIM) kontrolliert. Nachdem sie UNVIM-Genehmigungen erhalten haben, nimmt sich die Koalition wiederum das Recht vor, die Ladungen ebenfalls zu inspizieren, was sie mit der Behauptung begründet, dass der Iran den Houthis über jene Häfen Waffenlieferungen zukommen lasse. Dies wäre eine Verletzung des gegenüber den Houthis in der UN-Sicherheitsratsresolution 2216 verhängten Waffenembargos. (18)

Gescheiterte internationale Mediationsversuche
Der Hafen von al-Hudaydah spielt nicht nur wegen seiner vergleichsweise hohen Entladekapazität und seiner strategisch günstigen Lage am Roten Meer eine Rolle. Auch in internationalen Vermittlungsversuchen im vergangenen Jahr kam der Hafen wiederholt zur Sprache. Nachdem 2015 und 2016 durch die UN in Genf und Kuwait organisierte Verhandlungsrunden gescheitert waren, ließen sich die Konfliktparteien 2017 nicht mehr an einen gemeinsamen Verhandlungstisch bewegen. Auch im UN-Sicherheitsrat ließ sich in jenem Jahr kein Konsens für eine gemeinsame, den Jemen betreffende Resolution finden. Somit waren auf UN-Ebene lediglich die Vermittlungsversuche des damaligen UN-Sondergesandten Ismail Ould Cheikh Ahmed zu beobachten. Dieser wurde jedoch von Seiten der Houthi-Saleh-Allianz kontinuierlich als voreingenommen bezeichnet, weshalb sie Treffen mit Ould Cheikh Ahmed wiederholt verweigerten und ihm den Zutritt zu Gebieten unter ihrer Kontrolle im Juni 2017 dauerhaft untersagten. (19)

Nachdem Ould Cheikh Ahmed im Februar 2018 seinen Rückzug angekündigt hatte, übernahm Martin Griffiths am 19. März das Amt als UN-Sondergesandter für den Jemen. (20) Dieser Personalwechsel belebte Hoffnungen auf die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen, insbesondere als Griffiths bereits am 24. März einen einwöchigen Besuch in Sana’a antreten konnte. Dies schloss eine Telefonkonferenz mit Houthi-Anführer Abdulmalik al-Houthi ein. (21) In seinem ersten Briefing vor dem UN-Sicherheitsrat am 17. April betonte Griffiths, dass ein erneuter Friedensprozess möglich und von allen Konfliktparteien gewollt sei, wenn auch verschiedene derzeitige Entwicklungen Friedensverhandlungen abrupt verhindern könnten. (22) Unter solche Bedrohungen zählte er unter anderem verstärkte Raketenangriffe der Houthis gegenüber Saudi-Arabien sowie verstärkte Luftangriffe der saudisch-geführten Allianz auf von Houthi-Truppen kontrollierte Gebiete. Seine Befürchtungen schienen sich schließlich wenige Tage später zu bewahrheiten, als Saleh Ali al-Sammad, der Präsident des “Supreme Political Council” der Houthis, in al-Hudaydah durch einen Luftangriff getötet wurde. (23) Nicht nur die Tatsache, dass es sich bei al-Sammad um einen hochrangigen Houthi-Repräsentanten handelte, dürfte die Aussicht auf konstruktive Friedensverhandlungen in die Ferne rücken lassen. Auch der Umstand, dass ein als Hardliner bekanntes Mitglied der Houthi-Bewegung, Mahdi al-Mashat, al-Sammads Nachfolge antrat, könnte sich negativ auf internationale Mediationsversuche auswirken. (24)

Perspektiven und die Rolle der EU und Deutschlands
Im Anbetracht dieser jüngsten Entwicklungen sollten sich internationale und nationale Akteure darauf konzentrieren, den Dialog mit allen Konfliktparteien aufrechtzuerhalten. In der Vergangenheit hat sich insbesondere die EU dadurch ausgezeichnet, dass sie den Dialog mit allen Konfliktakteuren sowie zivilgesellschaftlichen und privaten Akteuren im Jemen pflegte. Das Scheitern des ehemaligen UN-Sondergesandten Ismail Ould Cheikh Ahmed macht deutlich, dass es für eine erfolgreiche Mediation entscheidend ist, von allen Konfliktakteuren als neutraler Ansprechpartner wahrgenommen zu werden. Die US-Politik vergleichsweise einseitiger Beschuldigung der Houthis und ihres vermeintlichen Verbündeten Iran im Rahmen des UN-Sicherheitsrates hat mehrfach gezeigt, dass sie lediglich zu rhetorischer Eskalation, nicht jedoch zu diplomatischen Erfolgen beitragen kann. Die Fehldarstellung des Jemenkrieges als Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und Iran wird der Realität und Komplexität primär innerjemenitischer Konfliktlinien nicht gerecht. (25) Die Ankündigung Präsident Trumps am 8. Mai, sich vom Atomabkommen mit dem Iran zurückziehen zu wollen, lässt eine Intensivierung konfrontativer US-Rhetorik gegenüber dem Iran und den Houthis naheliegend erscheinen. Solch negativen Einwirkungen auf die Mediationsversuche des UN-Sondergesandten Griffiths sollten die EU und Deutschland entschieden entgegentreten, indem sie die Kontakte zu sämtlichen Konfliktakteuren im Jemen aufrechterhalten. Im Gespräch mit Jemeniten unterschiedlichster politischer Orientierung wird stets deutlich, dass auch Deutschland als neutraler Partner wahrgenommen wird und daher in der Lage wäre, die von Griffiths geleiteten Mediationsversuche stärker durch eigenes Engagement zu unterstützen.

Anmerkungen
1 https://reliefweb.int/report/yemen/under-secretary-general-humanitarian-...
2 https://reliefweb.int/report/yemen/yemen-emergency-dashboard-april-2018
3 http://www.wfp.org/news/news-release/wfp-scales-response-yemen-prevent-f...
https://reliefweb.int/report/yemen/yemen-cholera-worst-record-numbers-st...
5 https://reliefweb.int/report/yemen/suspected-cholera-cases-yemen-surpass...
6 https://reliefweb.int/report/yemen/yemen-unhcr-update-1-14-april-2018
7 http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=23071&L...
8 http://sanaacenter.org/publications/yemen-at-the-un/5256#Economic_Develo...
9 http://www.emro.who.int/yem/yemen-news/yemeni-health-system-crumbles-as-...
10 Zu Deutsch “Reform”. Diese Partei setzt sich aus verschiedenen Strömungen zusammen, u.A. aus dem politischen Arm der Muslimbrüder im Jemen.
11 Lackner, Helen (2017) Yemen in Crisis, London, S. 49.
12 ibid, S. 51
13 https://www.reuters.com/article/us-yemen-security-idUSKBN0LP08F20150221
14 http://foreignpolicy.com/2012/02/27/after-33-years-of-power-yemens-presi...
15 Lackner a.a.O, S. 52
16 http://sanaacenter.org/publications/yemen-at-the-un/5773#New_Special_Env...
17 https://www.mercycorps.org/press-room/releases/joint-letter-secretary-ti...
18 https://www.un.org/sc/suborg/en/sanctions/2140
19 http://www.foxnews.com/world/2017/06/05/yemen-rebels-reject-un-envoy-as-...
20 http://sanaacenter.org/publications/yemen-at-the-un/5563#The-New-Special...
21 ibid.
22 https://osesgy.unmissions.org/martin-griffiths-special-envoy-yemen-makes...
23 http://sanaacenter.org/publications/yemen-at-the-un/5773#The_Killing_of_...
24 ibid.
25 http://sanaacenter.org/publications/analysis/5201

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Victoria Katharina Sauer studiert Politik- und Islamwissenschaft sowie Christentum und Kultur an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Sie ist Rechercheassistentin am Forschungsinstitut Sana’a Center for Strategic Studies, welches unter anderem politische und ökonomische Analysen zu Entwicklungen im Jemen und der Region veröffentlicht. Im vergangenen Jahr beaufsichtigte sie als Regionalleiterin am Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung e.V. (HIIK) die Beobachtung politischer Konflikte in der Arabischen Halbinsel.