Frauen in der Bundeswehr

Echte Emanzipation oder Anpassung an militaristische Strukturen?

von Marlene BraunJennifer IngenleufStefanie Golomb
Hintergrund
Hintergrund

Die Frage nach der Rolle der Frau in der Bundeswehr ist – auch 20 Jahre nach der Öffnung für Frauen – eine nicht leicht zu beantwortende. Die sog. Kreil-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 11. Januar 2000 ermöglichte es Frauen in der Bundesrepublik, erstmalig auch aktiven Militärdienst leisten zu können. Wo die breite Mehrheit politischer Akteur*innen aus allen Reihen vorher verlauten ließ, dass Frauen keinesfalls Dienst an der Waffe leisten dürften, musste auf Basis des EuGH-Urteils das Grundgesetz geändert werden. (1)

Feministische Stimmen der deutschen Friedensbewegung lehnten die weibliche Beteiligung vor allem aus politisch-pazifistischen Motiven ab. Grundsätzlich wurde diese Entscheidung jedoch vor allem aus den Reihen von Aktivist*innen für die Gleichstellung der Geschlechter befürwortet. Gleichberechtigte Teilhabe und Chancengleichheit bzw. -gerechtigkeit könne und dürfe nicht mit einem „Aber“ versehen werden. Doch kann von einem wahrhaft emanzipatorischen Akt gesprochen werden, wenn Bedenkenträger*innen die Bundeswehr als nahezu letzte Bastion patriarchaler Männlichkeit betrachten und Gesetze nur aufgrund einer europäischen Anordnung, nicht aber aus gesellschaftlichem Konsens heraus geändert werden? (2)

Unter Einbezug der Definition von Emanzipation (3), die den Vorgang der Befreiung aus einer Abhängigkeit, Unterdrückung und/oder Unselbstständigkeit bezeichnet, kann die Antwort nur klar „NEIN“ lauten, auch wenn sicherlich davon auszugehen ist, dass sich durch die juristische Anerkennung die Gleichstellung in diesem Bereich langfristig reproduziert und konsensfähiger werden kann. Aktuell jedoch ist dies weder gesamtgesellschaftlich noch in der Bundeswehr zu beobachten, eher im Gegenteil: So lässt sich zum einem eine Verschlechterung des Integrationsklimas von Frauen* in der Bundeswehr sowie zum anderen der Druck des Ablegens ‚weiblicher Attribute‘ mit Eintritt in die Bundeswehr beobachten. (4) Welche Eigenschaften bzw. Attribute als weiblich gelten, ist scheinbar schnell ausgemacht: Weich, schutzbedürftig, schwach aber auch friedensstiftend, konfliktlösend, schlichtend. Diese Chance sehen zum Teil auch internationale Akteur*innen der Friedensbewegung und erhoffen sich durch die stärkere Positionierung von Frauen* im Militär mehr Friedensförderung und Vermittlung statt gewaltsamen Konfliktaustrag. Das Militär als Ausdruck männlicher Identität bleibt erhalten, trotz Gleichstellungsbeauftragten, Inklusionsansätzen und Familienfreundlichkeit des Arbeitgebers, bis heute. Denn dies sind grundlegende Schutzmaßnahmen für Arbeitnehmer*innen, insbesondere des öffentlichen Dienstes, welche sich nicht als Alleinstellungsmerkmal einer ‚emanzipierten‘ Bundeswehr zuschreiben lassen. Von den insgesamt 183.667 Soldat*innen sind nur 22.594 Frauen*, die einen Anteil von gerade mal 12,3 Prozent ausmachen, während im Sanitätsdienst der Anteil weiblicher* Beschäftigter bei etwa 40 Prozent liegt. In den Bereichen Streitkräftebasis, Heer, Luftwaffe, Marine und Cyber- und Informationsraum liegt die Quote jedoch nur bei jeweils ca. 7-10%. Um eine wirkliche Normalität und Gleichstellung von Frauen innerhalb der Bundeswehr zu erreichen, ist der Frauenanteil folglich zu niedrig. Sie bilden eine Minderheit und um zu bestehen, ist eine Anpassung an die vorhandenen ‚männlichen‘ Strukturen notwendig. Eine wirkliche Transformation kann so nicht gelingen.

Vielmehr spüren Frauen* auch heute noch den diskriminierenden und stigmatisierenden Charakter ihres Arbeitsumfeldes, auch wenn der aktuelle Jahresbericht des Wehrbeauftragen auf zwei ganzen Seiten betont, wie sehr sich um Geschlechtergerechtigkeit bemüht werde. (5) Neben Unterscheidungen der physischen Kraft und dem Zweifel an der Tauglichkeit von Frauen* zum Dienst an der Waffe, zeigen diverse Aussagen von Soldatinnen*, dass sich eine Akzeptanz sowie Kameradschaftlichkeit gegenüber ihrer Person nur dann einstellt, wenn sie sich im patriarchalen Gefüge nahtlos eingliedern. (6,7)

Und hier stellt sich ebenfalls wieder die Frage nach tatsächlicher Emanzipation im Rahmen der vollumfänglichen Teilhabe bei der Bundeswehr. Wie kann Frau* selbstbestimmt agieren, wenn diverse Personengruppen eine jeweils eigene Meinung zur gesellschaftlichen/politischen Rolle von Frauen* haben und echte emanzipatorische Ansätze auch noch abgelehnt werden, weil sie dem männlich-patriarchalen Verständnis von Militär nicht entsprechen?

„Die Vorstellung vom männlichen Krieger und der friedfertigen Frau ist Teil unserer Vorstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit. Symbolische Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit werden im Militär stereotyp wahrgenommen.“ (8)

Diesen Aspekt kritisierte Anni Brandt-Elsweier bereits in der Bundestagssitzung vom 12. Oktober 2000, welche leider bis heute wenig von ihrer Aktualität verloren hat: „Aber machen wir uns doch nichts vor: Die Bundeswehr ist eine der letzten Bastionen der Männer, der „kriegerische Männerbund“ ist identitätsstiftend für die Männlichkeit an sich. Wer hat sie nicht vor Augen, die amerikanischen oder auch die deutschen Kriegsfilme, in denen Männer – mehr oder weniger heroisch – ihr Leben für Volk und Vaterland einsetzen? Frauen sind da meist auf die Rolle der bangenden Gattin und der helfenden Krankenschwester beschränkt. Und deswegen gehören Frauen auch in die Armee, nämlich um die Geschlechterrollen aufzubrechen, um das Bild des Mannes als Krieger und Beschützer und das der passiven, hilflosen Frau endgültig zu verdrängen (…).“ (9)

Das Bild der Frau* in militärischen Kreisen spiegelt jedoch nicht nur die mangelnde Bereitschaft der Integration aller Geschlechter wider, sondern legt des Weiteren das noch viel grundlegendere Problem der Ablehnung von „Hybridisierung“ frei. Kerstin Botsch spricht in ihrer Studie „Soldatsein“ von einer Hybridisierung soldatischer Tätigkeiten, welche scheinbar gegensätzliche Aufgaben im Militär wie etwa helfen, vermitteln, schlichten und gleichzeitig kämpfen meint und in der Theorie zur normalen Alltagspraxis moderner militärischer Aktivitäten gehören soll. In der Realität werden klassisch-traditionelle Aufgaben wie etwa Kämpfen jedoch als das „Normale“ und zivile Konfliktbearbeitung als das „Andere“ wahrgenommen. Humanitäre Hilfe stellt nicht die Norm des Soldat*innenberufs dar und steht im Widerspruch zur militärischen Sozialisation. Die Entwicklung von ausschließlich militärischen Aufgaben der Soldat*innen hin zu einer hybriden Tätigkeit wird demnach weniger als zivilisatorischer Fortschritt, sondern vielmehr als ‚Verweichlichung‘ und Herabsetzung ‚soldatischer‘ Werte wahrgenommen und dargestellt. (10) Ebenso wenig wird Frauen* auf dem internationalen Parkett Möglichkeit zur Teilhabe an Krisenbewältigungsprozessen gegeben, obwohl diese statistisch betrachtet als Gruppe am stärksten von Kriegen und Krisen betroffen sind. Leider konnte auch die vor 20 Jahren verabschiedete UN-Resolution 1325 wenig an diesem Zustand ändern. Die Resolution fordert, dass Frauen* stärker in Friedensverhandlungen auf allen Ebenen beteiligt werden müssen. Die Inkonsequenz der Umsetzung, auch auf bundesdeutscher Ebene (11) sowie die dominierende Fokussierung auf Frauen* als Opfer von Gewalt ohne partizipatives Mitspracherecht und Empowerment spricht für sich. (12)

Es verwundert also nicht, wenn, ausgehend von einer maßgeblich männlich-dominierten Konfliktpraxis und damit einhergehenden Vorstellungen von kriegerischen Handlungen, ziviler Formen der Konfliktbearbeitung auch heute noch wenig bis gar keine Chance gegeben wird. Dies zeigt sich eindrücklich an aktuellen Konfliktentwicklungen. Die Öffnung des Soldat*innenberufs für Frauen* hat daran nichts geändert. Die Frage nach Emanzipation stellt sich damit viel mehr für die Bundeswehr selbst: als überholtes Konstrukt, welches sich frei machen muss von Strukturen kriegerischer Konflikteskalation. Oder, wie pazifistische Stimmen in der (Frauen* )Friedensbewegung fordern: ein Konstrukt, das abgeschafft gehört.

Anmerkungen
1 Art. 12a Abs. 4 Satz 2 GG.
2 Auch Seifert diskutiert in ihrem Artikel „Militär als geschlechterpolitisches Terrain“ die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern und verweist auf eine Verweigerung der Gleichstellung im Militär, vgl. Ruth Seifert, Militär als geschlechterpolitisches Terrain. Debatten über den Zusammenhang von Militär und Geschlechterverhältnis, in: Widerspruch (2007), Nr. 53, S. 87.
3 vgl. Gerd Schneider / Christiane Toyka-Seid, Das junge Politik-Lexikon von www.hanisauland.de, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2020.
4 vgl. Gerhard Kümmel, Soldatinnen in der Bundeswehr – Integrationsklima und Perspektiven. Dokumentation des Symposiums an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg am 10. und 11. Juli 2014, in: Potsdamer Schriften des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (2017), Nr. 27, S. 5f.
5 vgl. https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/165/1916500.pdf.
6 vgl. exemplarisch Vera Laumann, Frauen bei der Bundeswehr: Mein Leben als Soldatin (02.08.2019), URL: https://www.bildderfrau.de/familie-leben/article226577775/Frauen-bei-der... (Stand 29.02.2020).
7 vgl. exemplarisch Friederike Schröter, Frauen in der Bundeswehr: Man kann nicht Everybody´s Darling sein (20.03.2014), URL: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-03/gleichberechtigun....
8 Kerstin Botsch, Soldatsein. Zur sozialen Konstruktion von Geschlecht und sexueller Orientierung in der Bundeswehr, Freiburg 2014, S. 147.
9 Anni Brandt-Elsweier, Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 124. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Oktober 2000, S.11895f.
10 vgl. Botsch a.a.O., S.162.
11 Der erste Aktionsplan wurde in Deutschland jedoch erst 2013 veröffentlicht, vgl. https://www.auswaertiges-amt.de/blob/216940/dce24ab4dfc29f70fa088ed5363f...
12 vgl. Maja Apelt, Geschlecht und Militär – Grundzüge der neueren Diskussion, in: Ahrens, J-R., Apelt, M., Bender, Ch. (Hrsg.): Frauen im Militär. Empirische Befunde und Perspektiven zur Integration von Frauen in die Streitkräfte,Wiesbaden 2005, S.21f.

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Hintergrund
Marlene Braun ist Studentin der Philosophie und ist Vorstandsmitglied des Frauennetzwerks für Frieden.
Jennifer Ingenleuf ist Sozialwissenschaftlerin und Studiengangskoordinatorin an einer Hochschule sowie Vorstandsmitglied des Frauennetzwerks für Frieden.