Einstellung eines OWI-Verfahrens

Amtsgericht Frankfurt am Main
Beschluss
In der Bußgeldsache gegen NN,

wegen Ordnungswidrigkeit gern. §§ 15 Abs. 1, 29 Abs.1 Nr. 3 Versammlungsgesetz wird das Verfahren gemäß § 47 Abs.2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OwiG) eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Es wird jedoch davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen (§ 467 Abs. 4 notwendigen Auslagen des Strafprozessordnung (StPO) in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG).

Gründe:
Sie sind als Teilnehmer einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel am 29.03.2003 einer vollziehbaren Auflage nach § 15 Abs.1 VersG nicht nachgekommen. Obwohl die Versammlung nur unter der Auflage genehmigt war, dass die Kundgebung lediglich auf der Landstraße L 3262 stattfinden durfte und die Ein- und Ausfahrt zur Air-Base und zur Cargo City Süd freizuhalten bzw. zu gewährleisten war, nahmen Sie an der Versammlung unmittelbar vor dem Tor zur Air-Base bzw. Cargo City Süd teil - zudem über den festgesetzten Zeitraum der Versammlung hinaus - so dass die Ein- und Ausfahrt nicht gewährleistet war. Darüber hinaus haben Sie sich nach Auflösung der Versammlung durch die Polizei nicht unverzüglich entfernt, sondern blieben trotz entsprechender Aufforderung durch mindestens drei Lautsprecherdurchsagen auf der Zufahrt zur Cargo City Süd sitzen, obwohl es ohne weiteres möglich gewesen wäre, den Versammlungsort zu verlassen, und haben sich dort über den festgesetzten Zeitraum der Versammlung hinaus aufgehalten.

Sie haben dadurch rechtswidrig und schuldhaft gehandelt. Rechtfertigungsgründe für Ihr Verhalten liegen nicht vor.

Ihr Verstoß gegen die Auflagen, sowie das Nichtentfernen nach Auflösung der Versammlung, waren unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei dem Krieg gegen den Irak - und der (im wesentlichen logistisch unterstützenden) Teilnahme Deutschlands hieran - tatsächlich, wie Sie meinen, um einen völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Angriffskrieg handelt oder nicht.

Auch war die Polizei - angesichts der Entscheidungen des BVerfG vom 06.04.1990 (Az.: 1 BvR 958/88) und 01.12.1992 (Az.: 1 BvR 88/91, 1 BvR 576/91) - zur Auflösung der Versammlung berechtigt, weil durch die Blockade der Zufahrt Auflagen zuwidergehandelt und die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet wurde (§ 15 Abs. 2 i.V.m. Abs.1 VersG), ein vollzugspolizeiliches Einschreiten insoweit wegen Gefahr im Verzug gerechtfertigt war und Ermessensfehler - auch bei der im Rahmen der Güterabwägung erforderlichen Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechts - nicht ersichtlich sind.

Ein rechtfertigender Notstand i. S. d. § 16 OWiG kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil weder der Verstoß gegen die Auflagen noch das Sich-Nichtentfernen nach Auflösung der Versammlung geeignete Mittel waren, den Krieg gegen den Irak zu verhindern oder zu beenden, was Ihnen auch bewusst war. Soweit die Aktion im wesentlichen Aufmerksamkeit auf Ihr Anliegen lenken sollte, um hierdurch eventuell Einfluss auf die politische Willensbildung zu nehmen, hätte dies in demselben Umfang auch durch die Teilnahme an einer Demonstration im Rahmen der erteilten Auflagen und unter Beachtung der Versammlungsauflösung erfolgen können.

Ihnen stand auch kein Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG zu, da eine hierfür erforderliche Beseitigung eines Verfassungsprinzips im Sinne des Art. 20 Abs. 1-3 GG allenfalls etwa anlässlich eines Staatsstreichs oder Bürgerkriegs in Betracht kommt (was hier auch bei einer - behaupteten - grundgesetz- und völkerrechtswidrigen Teilnahme an einem Angriffskrieg unzweideutig nicht vorliegt), zumal angesichts der funktionierenden Staats- und Verfassungsordnung grundsätzlich auch eine Korrektur über das Bundesverfassungsgericht möglich gewesen wäre.

Sie können sich auch nicht auf "zivilen Ungehorsam" berufen, da es sich insoweit um keinen rechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrund handelt. Vielmehr schließt die bewusste Normverletzung als Mittel zur Einwirkung auf den öffentlichen Willensbildungsprozess das Risiko entsprechender Sanktionen gerade mit ein.

Soweit Sie der Auffassung waren bzw. sind, Ihr Handeln sei gerechtfertigt gewesen, liegt allenfalls ein Verbotsirrtum vor, der ohne weiteres vermeidbar war (§ 11 Abs. 2 OWiG).

Eine Ahndung Ihres Verhaltens erscheint allerdings nicht geboten (§ 47 Abs. 2 OWiG).

Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass Sie mit dem Protest gegen einen (vermeintlich) völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gerade den Schutz der durch Verfassung und Völkerrecht begründeten Rechtsordnung bezweckten und nicht etwa aus einer rechtsfeindlichen Gesinnung heraus handelten.

Hinzu kommt, dass Sie sich in einem (wenn auch vermeidbaren) Verbotsirrtum befanden, da Sie das Vorliegen eines von der Rechtsordnung nicht anerkannten Rechtfertigungsgrundes (zivilen Ungehorsams) annahmen bzw. sich über die rechtlichen Grenzen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes (Notstand, Widerstandsrecht) irrten und deshalb Verstöße gegen Bestimmungen des Versammlungsgesetzes - irrtümlich - für gerechtfertigt hielten.

Auch waren die Auswirkungen der Blockadeaktion vergleichsweise gering. Insbesondere war das Gelände bereits wegen der (genehmigten und rechtmäßigen) Demonstration weiträumig abgesperrt, die Autobahnanschlussstelle und die direkte Zufahrt zum Haupttor zur Cargo City Süd gesperrt und das Haupttor zur Cargo City Süd geschlossen worden. Im übrigen war die Zufahrtsmöglichkeit über eine Ausweichroute sichergestellt. Zu einer Behinderung von Verkehrsteilnehmern, die die Zufahrt zur Air-Base bzw. zur Cargo City Süd benutzen wollten, kam es nur in wenigen Einzelfällen.

Schließlich sind Sie - soweit ersichtlich - bislang noch nicht wegen entsprechender Ordnungswidrigkeiten "in Erscheinung getreten" und haben bereits durch die unmittelbaren Folgen Ihres Tuns (längeres Festhalten, polizeiliche Identitätsfeststellung, in Einzelfällen auch Ingewahrsamnahme und erkennungsdienstliche Behandlung) gewisse "Nachteile" erlitten, die allerdings ihren Grund in rechtlich nicht zu beanstandenden Handlungen hatten. Ferner werden Sie, falls es zu einer entsprechenden Heranziehung durch die Verwaltungsbehörden kommt, in gewissem Umfang die Kosten des polizeilichen Einsatzes zu tragen haben.

Insoweit war das Verfahren gem. § 47 Abs. 2 OWiG, mit der ausgesprochenen Kostenfolge, einzustellen.

Ullrich
Richter am Amtsgericht

Ein kleiner Sieg am Rande
Der Streit um die Polizeigebühren

1363 Ordnungswidrigkeiten-Verfahren hatte die Staatsanwaltschaft gegen die SitzdemonstrantInnen vom Haupttor eingeleitet. 100,- Euro plus Verwaltungsgebühr waren gefordert. Nach ausführlichen Widersprüchen fast aller Beteiligter wurden die OWI-Verfahren allesamt eingestellt. Doch kurz darauf kamen Gebührenforderungen. Wegtragen kostet 30 Euro; 5 Stunden im gekachelten kalten Gewahrsam im Polizeipräsidium kostet 51 Euro. Zwei Musterklagen wurden nun vom Verwaltungsgericht Wiesbaden positiv entschieden.

Aus dem Urteil: "... so ergibt sich die Rechtswidrigkeit des Kostenbescheides hier daraus, dass die kostenverursachende Amtshandlung als unverhältnismäßig und damit rechtswidrig bewertet werden muss. ... Außerdem war die Ingewahrsamnahme nicht "unerlässlich`. ... Sie muss stets dass äußerste polizeiliche Mittel zur Verhinderung von Schäden sein und darf weder als Mittel zur Erleichterung polizeilicher Arbeit noch als Sanktions- und Disziplinierungsinstrument angewendet werden." Weiter führt das Urteil in Übereinstimmung mit den Beschwerdegründen von unserer Seite aus, dass mildere Mittel als die Ingewahrsamnahme zur Verfügung gestanden hätten. Ergebnis: "Da sich die polizeiliche Maßnahme insgesamt als rechtswidrig erweist, können dafür keine Kosten verlangt werden." (Richterin Kraemer / Az: 5 E 1388/04(V))

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