Polizei - Geheimdienst - Militär in der Bundesrepublik

Es wächst zusammen, was nicht zusammen gehört

von Norbert Pütter

Seit der neue Anti-Terrorismus in das Zentrum der Bedrohungsszenarien gerückt ist, werden die Sicherheitsapparate der Republik massiv aus- und umgebaut. Die Geschwindigkeit und die Radikalität der Umbaupläne sind neu, aber in der zugrundeliegenden Logik folgen sie längst bekannten Mustern: Zentralisierung der Polizei, Ausdehnung verdeckter Methoden, Vermischung von präventiven und strafverfolgerischen, von geheimdienstlichen, polizeilichen und militärischen Aufgaben sowie Formen der Zusammenarbeit und des Datenaustauschs, die sich einer wirksamen politisch-öffentlichen Kontrolle systematisch entziehen.

Von der Restauration zum Antiterrorismus
Um die gegenwärtigen Veränderungen angemessen würdigen zu können, ist ein kur¬zer Blick auf die Entwicklung der bundesdeutschen Sicherheitsapparate hilfreich:
Am Anfang der Nachkriegsgeschichte stand der Einfluss-der Westalliierten, die die Weichen in Richtung einer bewusst zivilen und dezentralen Polizei zu stellen versuchten. Nach der Verabschiedung des Grundgesetzes wurden diese Elemente schnell zurückgedrängt. Gemäß der alten preußischen Tradition begann die Verstaatlichung der Polizei in den Ländern. Die „Restauration der deutschen Polizei" (F. Werkentin) bestimmte die 50er und 60er Jahre; sie war gleichbedeutend mit dem Versuch, die polizeilichen Verhältnisse der Vorkriegszeit wieder herzustellen. Anfang der 70er Jahre erreichten die Reformen in Staat und Gesellschaft auch Polizei und Geheimdienste. Die Apparate wurden organisatorisch gestrafft, das Personal besser ausgebildet, das Polizeirecht grundlegend umgestaltet, und die EDV hielt Einzug in die Sicherheitsarbeit. In den folgenden Jahrzehnten setzte sich der Ausbau der Apparate fort. Bis zur deutschen Vereinigung war die Entwicklung gekennzeichnet durch eine Zunahme des Personals, durch fortschreitende Spezialisierung und Professionalisierung, durch die Integration des technischen Fortschritts sowie durch immer neue Wellen rechtlicher Novellierungen, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Volkszählung (1983) verstärkt wurden. Nach einer kurzen Sinnkrise, von der die Nachrichtendienste nach dem Ende des Ostblocks erfasst waren, erlebten sie seit dem 11.9.2001 einen ungeahnten Wiederaufstieg. Und schließlich rückte im Kampf gegen den Terror auch die Bundeswehr in das Feld der Inneren Sicherheit.

Präventive Überwachung
Betrachtet man die längerfristigen Veränderungen, dann stechen im Bereich der Polizei zwei besonders hervor: die präventive Orientierung und die Zentralisierung der Apparate. Spätestens seit Mitte der 70er Jahre wurde „Prävention" zum Angelpunkt polizeilicher Strategien. Sie fand ihren deutlichsten Niederschlag im Auftrag zur „vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten". Damit eröffnete das Polizeirecht weite gesellschaftliche Bereiche polizeilichem Interesse und polizeilicher Ausforschung. Diese bis heute wirksame „präventive Kehre" hat erhebliche Folgen für die Rolle der Polizei in der Bundesrepublik. Zum einen ist sie geeignet, jede Form polizeilicher Eingriffe mit dem Verweis darauf, dass zukünftiger Schaden verhindert werden soll, zu legitimieren. Dass eine solche Entdeckung bevorstehender krimineller Handlungen auf verdeckte, d.h. eigentlich geheimdienstliche Methoden angewiesen ist, liegt auf der Hand. Bis heute ist die Entwicklung des Polizei- und Eingriffsrechts denn auch dadurch gekennzeichnet, dass immer neue geheime Überwachungsmethoden auf eine rechtliche Basis gestellt werden. Die weitere Folge der präventiven Orientierung besteht darin, dass die Unterschiede zwischen Polizei und Geheimdiensten schwinden. Denn Geheimdienste sollen traditionell im Vorfeld von Bedrohungen (für Staat, Verfassung etc.) nach Gefährdungen suchen. Die präventive Polizei arbeitet nun mit derselben Logik und denselben Instrumenten.

Zentralisierung und Bundespolizei
Die zweite Entwicklung betrifft die Zentralisierung der Polizei. Zwar wurden und werden bis in die Gegenwart die Polizei in den Ländern zentralisiert; aber für das Polizeisystem insgesamt ist die Stärkung des Bundes gegenüber den Ländern von größerer Bedeutung. Von dem Grundsatz ,,Polizei ist Ländersache" ließ das Grundgesetz nur zwei Ausnahmen zu: für die Zusammenarbeit in Fragen der Kriminalpolizei und die internationale Verbrechensbekämpfung waren die Einrichtung eines ,,Bundeskriminalpolizeiamtes" und zur Sicherung der Grenzen „Bundesgrenzschutzbehörden" vorgesehen. Seit Ende der 60er Jahre wuchs die Bedeutung des Bundeskriminalamtes in diesem System ständig: eigenständige Ermittlungszuständigkeiten, die Führung von Datenbanken, die Verfügung über spezielles kriminalistisches Know how, die Aufwertung als Zentralstelle im europäischen Polizeiverbund etc. waren begleitet von einem enormen Wachstum des Personals - zwischen 1950 und 2004 stieg der Personalbestand auf das Fünfzehnfache. Der Bundesgrenzschutz (BGS), bis zur Gründung der Bundeswehr als deren Vorschule gebildet - fast 60 % des Personals wechselten die Uniform 1956 -, wurde über die Jahrzehnte ebenfalls ausgebaut: von anfänglich 9.000 Bundesgrenzschützern auf gegenwärtig mehr als 40.000. Seit Anfang der 70er Jahre wurden dem BGS neue Aufgaben zugewiesen. Zunächst die Unterstützung der Länder bei Großeinsätzen, in den 90ern schließlich die Bahn- und Flughafenpolizei. Zusammen mit den neuen Befugnissen, die der BGS bekam, wurde er zu einer regulären, über das ganze Bundesgebiet agierenden Polizei des Bundes. Die 2005 erfolgte Umbenennung in „Bundespolizei" war nur eine Konsequenz dieser Aufwertungen.

,Abschied vom Trennungsgebot
Bis zum Beitritt der Länder der DDR zur Bundesrepublik galt das „Trennungsgebot" von Polizei und Geheimdiensten, das die Westallierten der Bundesrepublik bei 'ihrer Gründung auferlegt hatten. Dieses Gebot hatte nie bedeutet, dass Polizei, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst keinerlei Beziehungen unter¬hielten. Es führte jedoch zur Entwicklung eigenständiger Apparate, deren Beziehungen sich auf das Gebiet des Staatsschutzes beschränkten. Nach der deutschen Vereinigung begann die Ausweitung des geheimdienstlichen Beobachtungsfeldes auf ,,nicht politische" Kriminalität: Die Überwachung des internationalen Telekommunikationsverkehrs durch den Bundesnachrichtendienst wurde 1994 auf (vermutete) Bereiche Organisierter Kriminalität (OK) ausgeweitet. Einige Landesämter für Verfassungsschutz wurden mit der Vorfeldbeobachtung von OK beauftragt. Dass die Dienste 2002 im Rahmen des neuen Anti¬Terrorismus Zugang zu den Kundendaten von Post-,Telekommunikations- und Luftfahrtunternehmen sowie Banken erhielten, setzte die Aufwertung der Geheimdienste in der „präventiven" Kriminalitätsbekämpfung konsequent fort. So wurde das „Trennungsgebot" in sein Gegenteil umgedeutet: Aus der institutionellen Trennung resultiere die Pflicht zur informationellen Zusammenarbeit.
Die in den 70er Jahren beginnende Vergeheimdienstlichung der Polizei und die in den 90er Jahren forcierte Verpolizeilichung der Geheimdienste hat unter der Fahne des neuen Anti-Terrorismus zu neuen Formen der Zusammenarbeit geführt. Deutlichster Ausdruck der Verwischung institutioneller Grenzen sind das „Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum" (GTAZ) - gegründet 2004 - und das Gesetz über die Führung gemeinsamer Dateien durch Polizei und Geheimdienste von 2006. Die Trennung von Polizei und Geheimdiensten ist hier auf personal- und haushaltsrechtliche Besonderheiten geschrumpft. Faktisch findet eine Zusammenarbeit statt, die im Austausch unterschiedlicher „Erkenntnisse", in der Erstellung gemeinsamer Lageeinschätzungen und wohl auch in Absprache operativer Aktionen besteht. Mittlerweile sind auch in anderen Bereichen „Zentren" entstanden, in denen u.a. Polizei- und Geheimdienstangehörige vertreten sind, etwa das ,,Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration" (GASIM) oder das „Gemeinsame Internetzentrum" (GIZ). Die gegenwärtigen Pläne der Bundesregierung, im Bundesverwaltungsamt die Überwachung der Telekommunikation (für Polizei und Dienste) zu bündeln, werden dazu beitragen, die Grenzen zwischen polizeilichem und geheimdienstlichem Handeln weiter aufzulösen.

Militär.
Schützenhilfe für die Polizei

Ob das Militär im Innern tätig werden darf, war seit der Gründung der Bundeswehr umstritten. Nach heftigen Debatten brachten die Notstandsgesetze 1968 Regelungen, die nach Einsatzmöglichkeiten im Äußeren, im Inneren und im Katastrophennot¬stand unterschieden. Bis heute sind allein die damals geschaffenen Regelungen über den Katastropheneinsatz praktisch relevant geworden. Bis zum Ende des Kalten Krieges blieb die Bundeswehr- wenn man von Szenarien der Aufstandsbekämpfung im Verteidigungsfall absieht - ohne Bedeutung für den Alltag innerer Sicherheitswahrung. Um die Lücke, die das Verschwinden der alten Feindbilder Anfang der 90er Jahre schuf, zu füllen, tauchten immer wieder Vorschläge auf, die Streitkräfte an verschiedenen Aufgaben im Innern zu beteiligen: vom Einsatz im Umweltschutz bis zur Sicherung der deutschen Ostgrenze. Der 11. September hat auch hier zu einem deutliche Schub geführt: Was vorher nur einzelne forderten, die Bundeswehr an der Aufrechterhaltung innerer Sicherheit in Friedenszeiten zu beteiligen, steht seither auf der politischen Agenda. Den Weg über die Katastrophenhilfe hat das Bundesverfassungsgericht im Februar 2006 durch sein Urteil zum Luftsicherheitsgesetz verstellt. Eine Verfassungsänderung ist aktuell im letzten Moment gescheitert, weil die CDU das Grundgesetz weiter öffnen möchte als die SPD. Wegen dieser politischen Blockade wird derzeit praktisch versucht, die Reichweite bestehenden Rechts auszudehnen, militärische Ressourcen polizeilich nutzbar zu machen und die Öffentlichkeit an die Normalität militärischer „Dienstleistungen" im Innern zu gewöhnen - Heiligendamm 2007 war nur der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung.

Wer schützt die Bürger vor dem Staat?
Die Konturen der gegenwärtigen „Sicherheitsarchitektur" sind leicht bestimmbar. Strategisch wird die „Vernetzung" unterschiedlicher Behörden, Instanzen und Gruppen betrieben. Das Sicherheitsnetz besteht im Kern aus Polizei und Nachrichtendienste, die mit einem Kranz neuer Kooperationsformen (,,Zentren") und „neuer" Institutionen umgeben werden. Ideologisch wird dieses Gebilde durch den ,,neuen Sicherheitsbegriff" zusammengehalten. Ihm zufolge ist die Trennung von äußerer und innerer Sicherheit, von Kriminalität und Krieg, von ökonomischen, ökologischen und politischen Gefahren hinfällig. Aus dieser Perspektive werden alle gesellschaftlichen Probleme in die Sphäre von „Sicherheit" und damit in die Zuständigkeit der mit mehr Personal und Befugnissen, mit geheimen Methoden und physischen Gewaltmitteln ausgestatteten und untereinander sowie mit anderen öffentlichen und privaten Stellen vernetzten Sicherheitskomplexes verschoben.
Wenn jedoch Daten unterschiedlichster Quellen ausgetauscht und angereichert werden, wenn aus „Auswertungen" exekutives Handeln resultiert, wenn Personen observiert oder abgehört werden, wenn ihr Umfeld durchleuchtet oder ihre Computer durchsucht werden, wenn Demonstranten aus Tornados fotografiert und mittels Spähpanzern beobachtet werden, dann stellt sich die Frage nach dem Schutz der Bürgerinnen vor dem Staat neu. Verschiedene Staatstätigkeiten verschiedenen Behörden, die unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten folgen, zuzuweisen, die staatlichen Gewalten vertikal und horizontal zu gliedern, zwischen innerer und äußerer Sicherheit, zwischen gefahren abwehrenden, strafverfolgenden und nachrichtendienstlichen Befugnissen zu unterscheiden - das waren Versuche, die staatliche Machtentfaltung gegenüber den Bürger Innen zu bändigen. Wer all das zugunsten der „vernetzten Sicherheit" abschafft, der schafft vor allem Verunsicherung gegenüber dem Staat.

 

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Norbert Pütter, Bürgerrechte & Polizei/CILIP