Zu den Demonstrationsbeobachtungen des Grundrechte-Komitees rund um Heiligendamm

Eskalationsträchtiger Polizeieinsatz

von Elke Steven
Initiativen
Initiativen
( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Zwei gänzlich unterschiedliche Bilder prägen die Erinnerung an die Proteste der KritikerInnen der Globalisierung, wie sie die reichen und mächtigen Staaten betreiben. Einerseits bleiben die Bilder von "Krawallen" im Rostocker Hafen hängen, das Bild eines brennenden Autos, das sich in der Medienberichterstattung vervielfacht hat, schwarz gekleidete Personen, die in aggressiver und gefährdender Weise Steine, Flaschen und Stöcke warfen. Andererseits bleiben die Bilder von großen Gruppen Demonstrierender in Erinnerung, die sich mit der "Fünf-Finger-Methode" aufteilten, Polizeiketten umfließend über Felder und Wiesen gingen, und wieder zusammenkamen, um die Zufahrtswege nach Heiligendamm zu blockieren.

In der Demonstrationen verbietenden Allgemeinverfügung und in den weiteren Begründungen zur Notwendigkeit einer solchen Außerkraftsetzung von Grundrechten in einem riesigen Areal gegenüber dem Bundesverfassungsgericht gelten diese Aktionen gleichermaßen als Beleg der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Proteste. "Gewalt" geht aus Sicht der Polizei von beiden Aktionen aus. Zumindest die, die dabei waren, haben es gänzlich unterschiedlich erlebt. Nicht unterschiedlich war die Reaktion der Polizei, die in beiden Situationen - wie auch bei den vielen anderen Protesten in diesen Tagen - eskalierend, Menschen verletzend, rücksichtslos gegenüber Demonstrierenden und das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit missachtend vorgegangen ist.

Vom Komitee für Grundrechte und Demokratie haben wir die Demonstrationen in dieser Woche mit insgesamt 30 BeobachterInnen begleitet und werden demnächst ausführlich darüber berichten. Hier können zunächst nur einige zentrale Aspekte zusammengefasst werden (vgl. auch unser erstes Resümee: www.grundrechtekomitee.de).

Die Polizei ist dem Protest von Beginn aller Planungen an eskalierend und kriminalisierend begegnet. Früh wurde vor terroristischen Taten, vor Straf- und Gewalttätern öffentlich und medienwirksam gewarnt. Dann wurden einige Brandanschläge zu terroristischen Straftaten umdefiniert, um die Ermittlungsmethoden nach § 129a zur Verfügung zu haben. Ergebnislose, äußerst fragwürdig begründete Hausdurchsuchungen folgten sowohl vor als auch nach den Protesten. All die nebulösen Prognosen und unhaltbaren Begründungen und Informationen verschafften der Polizei vor allem Handlungsspielraum. Sie ermöglichten eine Demonstrationen verbietende Allgemeinverfügung, die vor dem Bundesverfassungsgericht nur aufgrund der Auseinandersetzungen am Rande der samstäglichen Demonstration Bestand hatte.

Zum polizeilichen Vorgehen in den Demonstrationen
Während der Demonstration am Samstag beobachteten wir zunächst einen ersten Versuch einer kleinen Polizeigruppe, mitten aus der Versammlung heraus wahrscheinlich zwei Personen festzunehmen. Dies schlug fehl aufgrund sofortiger Proteste und erster massiver Steinwürfe. (Fast) gleichzeitig eskalierten die Auseinandersetzungen an anderer Stelle am Rande der Demonstration. Nun ging die Polizei immer wieder in kleinen Gruppen, die videografierten und manchmal festnahmen, mitten in die Versammlung hinein. Dies geht nur unter rabiatem Wegdrücken und -schlagen Umstehender. Ein solches Vorgehen entspricht dem Konzept der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) und ist ein Versammlungen gefährdendes Konzept. Die Polizei hat in Versammlungen von Bürgern und Bürgerinnen nichts zu suchen. Geht sie in Versammlungen hinein, um mögliche Straftäter zu verfolgen, handelt sie zumindest fahrlässig. Geht sie nur hinein, um Straftaten wie Steinwürfe zu filmen, um die Täter später festnehmen zu können, so gefährdet sie die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Zu diesen BF-Einheiten gehören des weiteren zivile Beamte, die im outfit der Demonstrierenden an den Demonstrationen teilnehmen, in Kontakt mit ihrer Einheit stehen und gegebenenfalls Festnahmen dirigieren. Im Kontext der Sitzblockaden am Mittwoch wurden zwei solcher Beamter entdeckt und einer der Polizei übergeben. Erst als die Beweislage eindeutig war, gab die Polizei zu, dass es Beamte einer Bremer BF-Einheit waren, die als "Autonome" auftraten. Zeugen berichten, dass sie andere zu Steinwürfen animieren wollten.

Zum Eskalationsverhalten gehörten auch die häufigen und willkürlichen Durchsuchungen von Rucksäcken oder auch von Personen. Immer wieder kam es zu Festnahmen aus den Demonstrationen heraus. Die Polizei berichtet, dass 1.057 Personen in die Gefangenensammelstelle eingeliefert wurden. Die vor Ort anwesenden Anwälte glauben, dass die weitaus meisten Festnahmen unbegründet waren. Die Umstände in der Gefangenensammelstelle - in Käfigen, rundum einsehbar, Tag und Nacht beleuchtet und videoüberwacht - waren menschenrechtswidrig. Obwohl das Konzept der "Fünf-Finger" bei der Polizei bekannt war, wurden diesen Gruppen gegenüber Wasserwerfer und Gaspatronen eingesetzt. Donnerstag wurden gegenüber einer Gruppe Demonstrierender auf einer Wiese neben einer Zufahrtsstraße ohne jede Aufforderung oder einer Auflösung der Versammlung neun Wasserwerfer eingesetzt.

Entsprechend den Plänen eines immer weitergehenden Einsatzes der Bundeswehr im Inneren, ist die Bundeswehr in bisher unvorstellbarem Maße im Kontext der Versammlungen eingesetzt worden. Tornado-Flugzeuge haben Camps zur "Aufklärung" in unzulässig niedriger Flughöhe überflogen. Spennek-Spähpanzer sind zur Überwachung der Straßen um den Flughafen Rostock-Laage eingesetzt worden. CRC-Feldjäger (Crowd and Riot Control), die wie Bereitschaftspolizei ausgerüstet sind, sollten das Militärgelände um den Flughafen sichern. Noch ungeklärt ist, ob auch Heereshubschrauber zum Transport von Polizeibeamten eingesetzt wurden.

Demgegenüber haben die Demonstrierenden vielfältige Formen der deeskalierenden Intervention entwickelt. Clownsgruppen und "Clownsarmee" sorgten für Spaß und Ironisierung angespannter Situationen. Trommel- und Rhythmusgruppen kümmerten sich um Entspannung, Unterhaltung und Bewegung. Lautsprecherwagen ermöglichten Information und Orientierung. Samstag versagten all diese Mittel zunächst angesichts einer auf Randale orientierten Gruppe schwarz Gekleideter, die ohne Rücksicht harte Gegenstände warfen und damit andere gefährdeten.

In unserem ersten Resümee schrieben wir zusammenfassend: "Die Polizei betreibt - gemeinsam mit BKA und Verfassungsschutz - zunehmend eine eigene Politik, die beängstigend ist, behält man Grundgesetz, die garantierten Grundrechte und die demokratische Verfasstheit im Auge. Sie schafft mit Fehlinformationen und grundrechtlich nicht legitimierbaren Aktionen und Eingriffen eine Lage, in der sie im selbst geschaffenen Ausnahmezustand gemäß ihrer unüberpüfbaren Kriterien agieren kann - z.B. Sitzblockaden hoheitlich zulassen oder Versammlungen mit (Wasserwerfer-)Gewalt und ohne Kommunikation auflösen. Die Kontrolle über die exekutive polizeiliche Gewaltausübung droht in solchen Ausnahmesituationen zu entgleiten. Voraussetzung hierfür sind eine Öffentlichkeitsarbeit, die polizeiliche und geheimdienstliche Erkenntnisse behauptet, ohne sie zu belegen, oder die nach den Auseinandersetzungen am Samstag, 2. Juni 2007, von 10 (oder auch 35) Schwerverletzten berichtet und erst später, auch nach der Bestätigung der Allgemeinverfügung durch das BVerfG, zugibt, dass nach den offiziellen Kriterien nur zwei Beamte schwer verletzt wurden, also stationär behandelt werden mussten. Auch diese konnten nach zwei Tagen das Krankenhaus verlassen. Diese Öffentlichkeitsarbeit schafft - das konnte in vielen Gesprächen mit PolizistInnen beobachtet werden - auch innerhalb der Polizei eine Stimmung, die die Gewaltbereitschaft der einzelnen PolizistInnen heraufsetzt. Vor allem aber ist es die Öffentlichkeit, die systematisch getäuscht wird, wenn z.B. berichtet wird, in der Versammlung "Flucht & Migration" seien gewaltbereite Autonome gewesen. Auch die Behauptung, die Clownsarmee hätte ihren Wasserpistolen Säure beigemischt, konnte nur durch Recherchearbeit widerlegt werden - tatsächlich hatten statt der behaupteten größeren Zahl zwei Polizeibeamte auf die Seifenblasenlauge allergisch reagiert. Dieser Fehlinformation der Öffentlichkeit entspricht auf der anderen Seite die Nicht-Kommunikation mit den Demonstrierenden. Sie wurden meist nicht über Forderungen und polizeiliche Maßnahmen informiert, sondern begegneten einer wortlosen Gewaltdemonstration, von der man nie wusste, wann und ob sie eingesetzt wird."

Ausgabe

Rubrik

Initiativen
Elke Steven ist Soziologin und Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln.