Europas zukünftige Rolle in der Weltpolitik

von Andreas Buro

Natürlich bin ich kein Hell­seher. Die konkreten Ereig­nisse der Zukunft können nicht vorhergesagt werden. Möglich ist es jedoch, die bestehenden politischen und sozio-ökonomischen Faktoren in ihren Tendenzen ein Stück weit in die Zukunft zu verlängern. Um ein Bei­spiel zu nennen: Der Zwang zu tiefgreifenden Reformen im Ostblock war lange vor Gorbatschow erkennbar, nicht voraussagbar war ihre tiefgreifende Dynamik, die zu einer qualitativ neuen Si­tuation führte.

Diese ist auch der Grund, weshalb grundsätzlich neu über die europäische Zukunft nachgedacht werden muß. Die Veränderung im Osten machen aus dem Europa zwischen den beiden Großmächten ein Europa, daß in ho­hem Maße selbständig - selbstver­ständlich alle internationale Zusam­menhängigkeit vorausgesetzt - seine Zukunft gestalten kann. So war es bis­her nicht und so haben wir uns bisher meist nicht verstanden ... und schon gar nicht war uns Deutschen bewußt, daß uns in dieser neuen Situation eine Schlüsselrolle als zumindest ökono­misch stärkster Macht Europas zufällt.

Wenn man Europa sagt, denkt man oft an die gemeinsame kulturellen Tradi­tionen und dementsprechend an eine tendenzielle Einheit, die sich nun mehr und mehr verwirklichen müßte. Ich finde diese Vorstellung wenig hilfreich. Ich sehe vielmehr ein reiches, ökono­misch und militärisch mächtiges West­europa und ein armes Europa. Zu dem armen Teil gehören nicht nur die ehemaligen mittel- und osteuropäi­schen Staaten des Warschauer Paktes, die sich jetzt, ihr Gesellschaftssystem in Richtung Kapitalismus verändernd, auf die EG orientieren. Es gehören dazu auch EG Staaten wie Portugal, Irland und Griechenland, aber auch ganze Teile der wohlhabenderen Staaten. Süditalien ist hierfür ein Bei­spiel. Die Zukunft Europas wird aber, dies ist meine Prognose, nicht von den armen Europäern, sondern von den reichen EG-Staaten bestimmt werden.

Diese EG-Westeuropas ist das dyna­mische und damit prägende Zentrum des europäischen Entwicklungs- und Strukturierungsprozesses. Es bleibt trotz Intergration hierarchisch struktu­riert nach politischer und ökonomi­scher Stärke. Es strukturiert auch sein Umfeld. Dazu gehören die meist wohlhabenden EFTA-Staaten, deren eigener Integrationsprozeß gescheitert ist. Neu hinzukommen die ehemals "reals-sozialistischen" bürokratischen Gesellschaften Mittel- und Osteuro­pas, deren ôkonomien auf absehbare Zeit nicht konkurrenzfähig sind und die in Gefahr sind peripher-kapitali­stisch, also wie Staaten der 2/3. Welt arbeitsteilig eingeordnet zu werden. Ob auch die Sowjetunion letztlich in dieser Weise eingegeliedert wird, ist gegenwärtig nicht absehbar. Sie kann dieses Schicksal m.E. nur vermeiden, wenn sie zu einem eigenständigen "autozentrierten" Entwicklungsmodell finden kann. Sehr fraglich, ob die bü­rokratische Sowjetgesellschaft dies lei­sten kann! Angegliedert an den dyna­mischen EG-Kern, wenn auch an lan­ger Leine, sind viele Länder der 2/3. Welt, insbesondere die AKP-Staaten (afrikanisch-karibisch-pazifisch), über die LomÇ-Verträge. Es kann keinen Zweifel geben: EG-Europa hat Inter­essen und enge Verknüpfungen im globalen Maßstab. Es ist eine Welt­macht.

 

Allerdings entspricht seine politische Integration und damit seine aussenpo­litische und militärische Handlungsfä­higkeit noch nicht diesem Status. Die gegenwärtigen Anstrengungen, um die Vollendung des gemeinsamen Mark­tes, die Kernstücke Währungs- und Wirtschaftsunion bis hin zur politi­schen Union, dienen der öberwindung diese Defizits. Das wird wegen der wi­dersprüchlichen nationalen Interessen schwierig und hindernisreich sein, aber die Antrieb das Ziel, die Politische Union und damit die politische Hand­lungsfähigkeit zu erreichen, sind stär­ker, so meine Prognose.

Die Rolle der USA als "Führungs­macht der westlichen Welt" ist stark relativiert. Die USA sind nicht stark verschuldet, sondern selbst in vielen Gebieten der High-Technology nicht mehr konkurrenzfähig. Am stärksten ist ihr Vorsprung noch im militäri­schen Bereich. Dieser hat je­doch durch die sowjetische Abrü­stungsbereitschaft und den Zerfall des Warschauer Paktes an politischer Be­deutung verloren. Westeuropa " muß deshalb jetzt nicht mehr um den ame­rikanischen Nuklearschirm bangen". Es braucht ihn selbst aus der Sicht der Militärs nicht mehr. Die NATO wird so zwar nach wie vor der militärischen Abstimmung und Kooperation dienen, die eigenständige Rolle der EG-NATO-Staaten darin wird aber so wachsen, daß daraus eine militärisch eigenständige Militärmacht Westeu­ropa wird, wenn, ja wenn die Europäer ihre Politiker und Militärs nicht daran hindern. Die Funktion der NATO mag in der Tat politisieren und dann vor allem der atlantischen EG-USA-Ab­stimmung dienen.

Für mich zweifelsfrei wird Westeuropa als Weltordnungsmacht schnell weiter an Bedeutung gewinnen. Bei der Ge­staltung der von ihm auferlegten Ord­nung ist zwar der marktwirtschaftlich-kapitalistischen Logik und ihren Zwängen unterworfen, aber es ist doch offen, in welcher Form diese Zwänge politisch verarbeitet werden. Wird Westeuropa noch einmal wie in der Phase des Imperialismus seine "Ordnung" militärisch durchzusetzen versuchen? Welche Rolle werden In­stitutionen der politischen Krisenver­arbeitung spielen? Wird die von West­europa mit durchgesetzte Weltar­beitsteilung ausreichende Handlungs­räume für ôkologiepolitik und zur Be­kämpfung inner- und weltgesellschaft­licher Armut lassen?

Diese und andere Fragen der "Pax EG" sind heute nicht beantwortbar.

Die tatsächliche historische Entwick­lung in dieser Hinsicht wird nicht un­erheblich von dem Verhalten der Eu­ropäer bestimmt sein, ob sie für ein zi­viles Europa bereit sind, sich zu enga­gieren; ob sie die weitere Demokrati­sierung ihrer Gesellschaften zu ihrem Anliegen machen; ob sie begreifen, daß sie ein Teil des ökologischen Pro­blems sind, das nur international zu lö­sen ist; ob sie die Menschenrechte so ernst nehmen, daß sie bereit sind zu teilen, damit Hilfe zur Selbsthilfe möglich wird.

Europas Rolle in der Weltpolitik ent­scheidet sich nicht irgendwo in fernen Kontinenten, sondern europäischen-innenpolitisch durch die Europäer selbst, die alles gewußt haben konnten, was zu wissen notwendig war.



 

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