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Europas zukünftige Rolle in der Weltpolitik
vonNatürlich bin ich kein Hellseher. Die konkreten Ereignisse der Zukunft können nicht vorhergesagt werden. Möglich ist es jedoch, die bestehenden politischen und sozio-ökonomischen Faktoren in ihren Tendenzen ein Stück weit in die Zukunft zu verlängern. Um ein Beispiel zu nennen: Der Zwang zu tiefgreifenden Reformen im Ostblock war lange vor Gorbatschow erkennbar, nicht voraussagbar war ihre tiefgreifende Dynamik, die zu einer qualitativ neuen Situation führte.
Diese ist auch der Grund, weshalb grundsätzlich neu über die europäische Zukunft nachgedacht werden muß. Die Veränderung im Osten machen aus dem Europa zwischen den beiden Großmächten ein Europa, daß in hohem Maße selbständig - selbstverständlich alle internationale Zusammenhängigkeit vorausgesetzt - seine Zukunft gestalten kann. So war es bisher nicht und so haben wir uns bisher meist nicht verstanden ... und schon gar nicht war uns Deutschen bewußt, daß uns in dieser neuen Situation eine Schlüsselrolle als zumindest ökonomisch stärkster Macht Europas zufällt.
Wenn man Europa sagt, denkt man oft an die gemeinsame kulturellen Traditionen und dementsprechend an eine tendenzielle Einheit, die sich nun mehr und mehr verwirklichen müßte. Ich finde diese Vorstellung wenig hilfreich. Ich sehe vielmehr ein reiches, ökonomisch und militärisch mächtiges Westeuropa und ein armes Europa. Zu dem armen Teil gehören nicht nur die ehemaligen mittel- und osteuropäischen Staaten des Warschauer Paktes, die sich jetzt, ihr Gesellschaftssystem in Richtung Kapitalismus verändernd, auf die EG orientieren. Es gehören dazu auch EG Staaten wie Portugal, Irland und Griechenland, aber auch ganze Teile der wohlhabenderen Staaten. Süditalien ist hierfür ein Beispiel. Die Zukunft Europas wird aber, dies ist meine Prognose, nicht von den armen Europäern, sondern von den reichen EG-Staaten bestimmt werden.
Diese EG-Westeuropas ist das dynamische und damit prägende Zentrum des europäischen Entwicklungs- und Strukturierungsprozesses. Es bleibt trotz Intergration hierarchisch strukturiert nach politischer und ökonomischer Stärke. Es strukturiert auch sein Umfeld. Dazu gehören die meist wohlhabenden EFTA-Staaten, deren eigener Integrationsprozeß gescheitert ist. Neu hinzukommen die ehemals "reals-sozialistischen" bürokratischen Gesellschaften Mittel- und Osteuropas, deren ôkonomien auf absehbare Zeit nicht konkurrenzfähig sind und die in Gefahr sind peripher-kapitalistisch, also wie Staaten der 2/3. Welt arbeitsteilig eingeordnet zu werden. Ob auch die Sowjetunion letztlich in dieser Weise eingegeliedert wird, ist gegenwärtig nicht absehbar. Sie kann dieses Schicksal m.E. nur vermeiden, wenn sie zu einem eigenständigen "autozentrierten" Entwicklungsmodell finden kann. Sehr fraglich, ob die bürokratische Sowjetgesellschaft dies leisten kann! Angegliedert an den dynamischen EG-Kern, wenn auch an langer Leine, sind viele Länder der 2/3. Welt, insbesondere die AKP-Staaten (afrikanisch-karibisch-pazifisch), über die LomÇ-Verträge. Es kann keinen Zweifel geben: EG-Europa hat Interessen und enge Verknüpfungen im globalen Maßstab. Es ist eine Weltmacht.
Allerdings entspricht seine politische Integration und damit seine aussenpolitische und militärische Handlungsfähigkeit noch nicht diesem Status. Die gegenwärtigen Anstrengungen, um die Vollendung des gemeinsamen Marktes, die Kernstücke Währungs- und Wirtschaftsunion bis hin zur politischen Union, dienen der öberwindung diese Defizits. Das wird wegen der widersprüchlichen nationalen Interessen schwierig und hindernisreich sein, aber die Antrieb das Ziel, die Politische Union und damit die politische Handlungsfähigkeit zu erreichen, sind stärker, so meine Prognose.
Die Rolle der USA als "Führungsmacht der westlichen Welt" ist stark relativiert. Die USA sind nicht stark verschuldet, sondern selbst in vielen Gebieten der High-Technology nicht mehr konkurrenzfähig. Am stärksten ist ihr Vorsprung noch im militärischen Bereich. Dieser hat jedoch durch die sowjetische Abrüstungsbereitschaft und den Zerfall des Warschauer Paktes an politischer Bedeutung verloren. Westeuropa " muß deshalb jetzt nicht mehr um den amerikanischen Nuklearschirm bangen". Es braucht ihn selbst aus der Sicht der Militärs nicht mehr. Die NATO wird so zwar nach wie vor der militärischen Abstimmung und Kooperation dienen, die eigenständige Rolle der EG-NATO-Staaten darin wird aber so wachsen, daß daraus eine militärisch eigenständige Militärmacht Westeuropa wird, wenn, ja wenn die Europäer ihre Politiker und Militärs nicht daran hindern. Die Funktion der NATO mag in der Tat politisieren und dann vor allem der atlantischen EG-USA-Abstimmung dienen.
Für mich zweifelsfrei wird Westeuropa als Weltordnungsmacht schnell weiter an Bedeutung gewinnen. Bei der Gestaltung der von ihm auferlegten Ordnung ist zwar der marktwirtschaftlich-kapitalistischen Logik und ihren Zwängen unterworfen, aber es ist doch offen, in welcher Form diese Zwänge politisch verarbeitet werden. Wird Westeuropa noch einmal wie in der Phase des Imperialismus seine "Ordnung" militärisch durchzusetzen versuchen? Welche Rolle werden Institutionen der politischen Krisenverarbeitung spielen? Wird die von Westeuropa mit durchgesetzte Weltarbeitsteilung ausreichende Handlungsräume für ôkologiepolitik und zur Bekämpfung inner- und weltgesellschaftlicher Armut lassen?
Diese und andere Fragen der "Pax EG" sind heute nicht beantwortbar.
Die tatsächliche historische Entwicklung in dieser Hinsicht wird nicht unerheblich von dem Verhalten der Europäer bestimmt sein, ob sie für ein ziviles Europa bereit sind, sich zu engagieren; ob sie die weitere Demokratisierung ihrer Gesellschaften zu ihrem Anliegen machen; ob sie begreifen, daß sie ein Teil des ökologischen Problems sind, das nur international zu lösen ist; ob sie die Menschenrechte so ernst nehmen, daß sie bereit sind zu teilen, damit Hilfe zur Selbsthilfe möglich wird.
Europas Rolle in der Weltpolitik entscheidet sich nicht irgendwo in fernen Kontinenten, sondern europäischen-innenpolitisch durch die Europäer selbst, die alles gewußt haben konnten, was zu wissen notwendig war.